«Gerade habe ich das Gefühl, wir sind alle ganz schön verklemmt»
Peter Plate und Ulf Leo Sommer im Interview
Sie arbeiten mit Sarah Connor und Michelle, schreiben die Musik für die «Bibi und Tina»-Filme und das Musical zur TV-Serie «Ku’Damm 56», und ein neues Label haben sie auch noch gegründet: Milch Musik, auf dem Peter Plate und Ulf Leo Sommer unter anderem Marcella Rockefeller rausgebracht haben.
Peter und Ulf, langweilig wird euch so schnell nicht, oder? Peter: Wir sind Workaholics! Früher, als wir jung waren, war das auch gar kein Problem. Wir waren im Studio bis drei oder vier Uhr und haben aufgenommen. Ich bereue nichts davon, das hat so viel Freude gemacht. Irgendwann mussten wir aber sehen: Das geht nicht mehr so einfach.
Ulf: Wir arbeiten auch immer zehn Stunden. Alle sind hier auch ziemlich geschlaucht von uns. Wir sind anstrengend.
Was macht euch anstrengend? Ulf: Wenn wir an einem Song arbeiten, streiten wir beide uns ziemlich, von morgens bis abends. Wir lassen auch nur etwas durchgehen, wenn wir beide 100%ig dahinterstehen. Das ist für einen Dritten oder Vierten, der mit uns arbeitet, teilweise eine Katastrophe.
Peter: Das Tolle ist aber auch: Wir sind hier zwei Generationen, die anderen sind ungefähr 25 – wir 50. Das macht einerseits wahnsinnigen Spass, gibt aber andererseits auch extreme Reibung. Und wir arbeiten durch, auch beim Mittagessen. Weil es für uns keine Arbeit ist. Wir lieben das, was wir machen. Wenn hier jemand mit uns mit-arbeiten soll, darf oder muss, dann möchte er vielleicht auch mal abschalten, aber das geht bei uns nicht. Die Jüngeren sind meist noch auf dem Balkon und rauchen, wir sind aber schon wieder am Diskutieren.
Es gibt gerade viel Output von euch: Ihr habt Sarah Connor produziert, auch das neue Michelle-Album, das im Herbst erschienen ist; dann Marcella Rockefeller mit ihrem Debütalbum «Anders als geplant» . . . Das passiert aber nicht coronabedingt, oder? Weil ihr mehr Zeit habt als sonst? Ulf: Du kriegst ja die ganzen Flops nicht mit (Peter lacht). Du hast nur die erfolgreichen Sachen aufgezählt. Wir hatten eigentlich ganz andere Pläne für 2020, das «Ku’damm-Musical» sollte ja Premiere feiern. Aber es hat sich dann wegen Corona anders ergeben. Bei uns ist es so: Wir lieben es total, zwischen den ganzen Genres hin- und herzuspringen. Wir finden es spiessig, zu sagen: Sowas machen wir nicht. Nächste Woche kommt Max Raabe, heute ist Marcella da – wir lieben das!
Ihr habt schon mit vielen unterschiedlichen Leuten gearbeitet, mit Patricia Kaas, mit Jimmy Somerville und 2raumwohnung, jetzt noch Michelle. Gibt es jemanden, mit dem ihr nicht arbeiten würdet? Ulf: Wenn uns irgendwas wichtig ist, dann: dass wir die Künstler*innen mögen. Und sie müssen irgendeine Art von Botschaft haben. Dann ist egal, ob es Schlager, Pop oder Chanson ist. Wobei . . . «Schlager» versteht ja immer niemand ausserhalb von Deutschland. Wenn du Leuten in Spanien Schlager erklärst, Michelle zum Beispiel, dann sagen die: Das ist doch Pop!
Es ist auch so ein Kult. Da hat man hier Michelle sitzen und denkt: Die macht das doch auch schon seit 30 Jahren! Da bin ich auch immer ein bisschen Kleinstadtjunge und freue mich total. Das war ein toller Sommer! Wer könnte das von letztem Jahr schon sagen?
Peter: Und Michelle war auch die Rettung für unseren Sommer. So konnten wir all den jungen Leuten in unserem Label Milch Musik eine Perspektive für Arbeit geben.
Ulf: Ein Label zu gründen, wie wir es gemacht haben, ist eigentlich ein Witz. Du verdienst eigentlich nichts mehr damit.
Peter: Tim Renner und seine Frau Petra, mit denen wir befreundet sind, sagten deshalb auch zu uns: «Ihr habt doch voll einen an der Waffel.» Aber wir machen das ja auch, um junge Künstler*innen zu unterstützen.
Ulf: So blöd das klingt: Wir haben ja keine Kinder, und so ein bisschen ist das der Grund. Man muss auch ein bisschen was weitergeben. Und es macht auch Spass!
Peter: Grosse Plattenfirmen verdienen wie irre und haben aber überhaupt kein Interesse an den Künstler*innen.
Ulf: Pop in Deutschland ist ganz arm dran, fast non-existent gerade. Schau dir die Chats an. Die sind voll mit deutschem Hiphop.
Ihr habt euch für eine Quote für deutsche Musik ausgesprochen. Peter: Es ist eine Tatsache, dass junge Künstler*innen ohne das Livegeschäft momentan nicht von der Musik leben können. Das ist in Corona-Zeiten eine Katastrophe. Hier war unser Vorschlag, dass es doch klasse wäre, wenn die Radiostationen etwas mehr regionale Künstler*innen spielen würden. Ein Anstoss zur Diskussion. Weder müssen sie nun «deutsch» singen noch geht es um Lindenberg, Grönemeyer oder Sarah Connor. Das findet nur in ihrem Kopf statt.
Bei den neuen Sachen, etwa von Marcella, steht immer auch Peters Name dabei. Aber du singst gar nicht mit, auch wenn es zum Teil Rosenstolz-Songs in neuen Versionen sind. Die Bühne reizt dich nicht mehr? Peter: Ganz ursprünglich wollte ich eh nur Songs schreiben, gar nicht auf die Bühne. Ich fand Konzerte eigentlich lästig und war ganz unsicher. Dann hat es plopp! gemacht, und ich fand es ganz toll, bis ich 2009 meinen Zusammenbruch hatte. Und seitdem ist das für mich gegessen. Ich bin total dankbar, dass alles so gekommen ist. Ich habe jetzt auch viel mehr Zeit. Die ganzen Fotosessions vermisse ich zum Beispiel gar nicht – grässlich! Ich kann mich auch gar nicht selber sehen auf Bildern!
Ulf: Es ist so schwer, Aufmerksamkeit zu kriegen für junge neue Künstler*innen. Gerade in einem Genre, das von allen Seiten so sehr stiefmütterlich behandelt wird wie Pop. Darum machen wir das mit Peters Namen. Auch für die alten Rosenstolz-Fans, um die anzulocken und für was Neues zu interessieren.
Peter: Die Hiphopper machen das ja auch alle so, verlinken sich, um bei Spotify mehr Streamings zu bekommen.
Ihr habt gesagt, ihr mögt alle Genres. Seid ihr auch für Rap zu haben? Ulf: Bei «Bibi und Tina» haben wir auch Rap gemacht, den Song «Jungs gegen Mädchen, Mädchen gegen Jungs».
Peter: Ich glaube, «Bibi und Tina» war das Erfolgreichste, was wir je gemacht haben. Und niemand kriegt es mit. Das ist so angenehm (lacht). Wir sind beide Generation Pipi Langstrumpf: Uns haben immer Kinderlieder genervt, die etwas Belehrendes haben. Darum schreiben wir freche Songs. Und haben dabei eine riesige Freude.
Zum Thema freche Texte: Ihr habt mit Sarah Connor vor zwei Jahren «Vincent» produziert. Der Song wurde teils boykottiert wegen der Zeile «Vincent kriegt keinen hoch, wenn er an Mädchen denkt.» Manche fanden das sogar homophob, ein Song, den zwei Schwule produziert haben – ihr! Peter: Bei «Vincent» war ich ziemlich geschockt über die Reaktionen. Der Vorwurf der Homophobie war so absurd. Es war lächerlich! Man muss als Gesellschaft echt aufpassen. Wie viel wollen wir uns denn noch zensieren? Ich glaube, das wird immer schlimmer. Gerade habe ich das Gefühl, wir sind echt ganz schön verklemmt. Mein erster Produzent damals meinte, ich soll mich nicht outen. Der war hetero und hatte so eine Angst, dass mit mir ganz schlimme Sache passieren. Der mochte mich und war bestimmt nicht schwulenfeindlich. Für mich war das aber undenkbar – natürlich oute ich mich!
Ulf: Das Tolle an Sarah ist auch, dass sie sowas einfach macht. Die Plattenfirma war auch nicht wahnsinnig happy darüber. Sie reden einem nicht rein oder sagen: Das geht nicht! Aber sie legten uns nahe, vielleicht darüber nachzudenken, keine Single daraus zu machen. Das war alles noch vor der Veröffentlichung: Alle fanden den Song toll, und es ging darum: Was wird die erste Single? Und Sarah hat entschieden: «Vincent» muss als Erstes kommen, das ist mein wichtigster Song. Das sagte sie schon, bevor es ein Hit wurde.
Aber mit Rosenstolz hattet ihr nie so ein Theater? Ulf: Die Songs wurden ja zum Teil gar nicht erst gespielt. Es gab aber eine tolle Geschichte mit der «ZDF-Hitparade» damals mit Uwe Hübner. Es ging um die Rosenstolz-Single «Ich stell mich an die nächste Wand». Die B-Seite war «Die Schlampen sind müde». Und «Schlampe» ist ein Wort, das ging damals eigentlich nicht. Aber: Bei der Hitparade gab es ein Komitee, das vorab über die Songs entschied, und die wollten unbedingt die B-Seite haben, nicht die A-Seite.
Peter: AnNa und ich wollten eigentlich nie in die ZDF-Hitparade. Dann kam der Anruf, mit der B-Seite. Da habe ich aus dem Bauch heraus gesagt: Klar machen wir das! Wenn wir so in die Sendung dürfen, wie wir sind, dann gehen wir da auch hin.
Habt ihr jetzt manchmal beim Schreiben eine Schere im Kopf? Peter: Wenn wir uns da irgendwo beschränken müssten, würde ich aufhören und den Beruf wechseln. Ulf: Wenn wir mit jungen Texter*innen arbeiten, sagen wir denen immer: Ein Text darf nicht zu glatt durchgehen, du musst da eine Stolperfalle einbauen, sonst erinnert sich niemand dran. Du musst aber auch etwas wollen und meinen.
Gibt es jemanden, mit der*dem ihr unbedingt mal arbeiten wollt? Ulf: Am liebsten würden wir Agnetha Fältskog von Abba produzieren . . . Ich würde auch Frida nehmen! (Peter lacht laut) Das wäre ein Traum. Ich würde nur noch heulen.
Peter: Nach ihrem letzten Album «A» im Jahr 2013 rief ich bei der Plattenfirma an: Ich will die Spuren haben zum Remixen, ich will kein Geld! Die Spuren habe ich auch bekommen. So kam es zu unserem Remix von «Dance your pain away.» Näher bin ich der Sache nie gekommen.
Ulf: Ansonsten hatten wir selten bei einem Projekt so viel Spass wie bei dem «Ku’damm»-Musical. Alles, was wir geliebt haben bei Rosenstolz, haben wir jetzt auch in dieses Projekt gesteckt. Die Shows waren uns immer genauso wichtig wie die Platte, die Lichtproben und die Frage: Was hat AnNa an?
Peter: Das habe ich total vermisst. Auf der Bühne zu stehen weniger.
Ulf: Da kriege ich auch richtig Gänsehaut. Das ist die Königsdisziplin für uns. Da sehen wir uns jetzt und in den nächsten Jahren.
Peter: Es ist auch geil, das alles zu lernen. Da sind wir mal die Neuen.
Ulf: Am Theater sind wir jetzt die jungen Wilden. Im Popbusiness sind wir schon die Opis.
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