Orbans rechtes Parteien­bündnis – «Neue Ära» für Europa

Die tschechische ANO gibt sich etwas queerfreundlicher als FPÖ und Fidesz

Das Gesicht von Ministerpräsident Viktor Orban ist auf dem T-Shirt einer Person beim Trans Pride Marsch (Foto: Marton Monus/dpa)
Das Gesicht von Ministerpräsident Viktor Orban ist auf dem T-Shirt einer Person beim Trans Pride Marsch (Foto: Marton Monus/dpa)

Im Kampf gegen die «Brüsseler Eliten» lässt der Poltergeist der EU nicht locker. Viktor Orban sammelt Gleichgesinnte um sich, um die Europäische Union aufzumischen.

Für die nächsten sechs Monate hat Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft inne. Vor der Übernahme Ministerpräsident Viktor Orban hatte die Gründung einer neuen Rechtsaussen-Fraktion im Parlament angekündigt. Die Gruppierung «Patrioten für Europa» umfasse neben der ungarischen Regierungspartei Fidesz die rechte österreichische FPÖ und die liberal-populistische tschechische ANO, sagte Fidesz-Chef Orban am Sonntag in Wien im Beisein von FPÖ-Chef Herbert Kickl und dem ANO-Vorsitzenden Andrej Babis.

Während die Erstgenannten einen eindeutig queerfeindlichen Kurs fahren (MANNSCHAFT berichtete), sieht es bei der tschechischen Partei ANO etwas anders aus. Klára Dostálová, die Spitzenkandidatin der Partei bei den Europawahlen, sagte gegenüber dem Portal Euractiv im März, es gebe «keinen Raum für Diskussionen über die Liberalität von ANO“. Sie wies darauf hin, dass ANO-Politiker*innen im tschechischen Parlament für Eingetragene Partnerschaften gestimmt hätten, um die Rechte von Queers zu stärken. Ähnlich hatte sich zuvor die ANO-Abgeordnete Radka Maxová geäussert, eine Mitautorin des Gesetzes. «Das grundlegende Prinzip dieses Gesetzentwurfs ist es, gleichgeschlechtlichen Paaren und deren Kindern die gleiche Würde und den gleichen Schutz ihres Familienlebens zu gewähren, den heterosexuelle Paare und deren Kinder bereits besitzen“. Ein Vorstoss zur Eheöffnung war im im Februar dieses Jahres im tschechischen Abgeordnetenhaus  gescheitert (MANNSCHAFT berichtete).

Der tschechische Premier Babiš hatte es 2021 abgelehnt, einen gemeinsamen Brief mehrerer EU-Länder zu unterschrieben, in dem die Rechte der LGBT-Gemeinschaft in Ungarn unterstützt wurden. Babiš sagte damals zur Begründung, er wolle sich das Anti-LGBTIQ-Gesetz zunächst vom ungarischen Premier Orbán erklären lassen.

Das Bündnis sei für weitere Parteien offen, die sich zu dem am Sonntag von den drei Parteivorsitzenden unterzeichneten «Patriotischen Manifest» bekennen. Mit dem erhofften Zulauf zu den «Patrioten» würde die Gruppierung zur «grössten Fraktion der rechtsgerichteten Kräfte Europas» aufsteigen, so Orban. «Ein neues Zeitalter beginnt», führte er weiter aus. Die neue Fraktion werde Europa «auch gegen den Willen der Brüsseler Eliten verändern». Das «Patriotische Manifest» enthält die bekannten Positionen rechter, rechts-populistischer und rechtsextremer Parteien: Ablehnung von Migration und «Green Deal», keine Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine sowie Rückbau der Integration in der EU zwecks Stärkung der Souveränität der Nationalstaaten.

«Diese Allianz soll eine Trägerrakete darstellen», sagte FPÖ-Chef Kickl. Der ANO-Vorsitzende und tschechische Ex-Premier Andrej Babis erklärte, dass die neue Fraktion im Europäischen Parlament vor allem auf die Verteidigung der nationalstaatlichen Souveränität gegenüber der EU, den Kampf gegen illegale Migration und die Rücknahme der Klima-Massnahmen des «Green Deal» setze.

Die Oppositionspartei FPÖ, die oppositionelle ANO und der rechtspopulistische Fidesz bekamen bei der EU-Wahl in ihren jeweiligen Ländern die meisten Stimmen. Fidesz stellt elf Abgeordnete im neuen Europaparlament, ANO sieben und die FPÖ sechs. Insgesamt verfügen sie damit über 24 der 705 Vertreter in dem EU-Gremium. Für die Bildung einer Fraktion sind insgesamt mindestens 23 Abgeordnete aus 7 Ländern erforderlich.

Weder Orban noch Kickl noch Babis deuteten am Sonntag an, welche Parteien aus welchen Ländern mit Sitzen im Europaparlament sich der neuen Fraktion anschliessen könnten. Inhaltlich bestehen vor allem bei Fidesz und FPÖ viele Berührungspunkte mit der AfD, die kurz vor der Europawahl am 9. Juni aus der rechten ID-Fraktion ausgeschlossen worden war (MANNSCHAFT berichtete).

Am Rande des AfD-Bundesparteitags in Essen wollte sich AfD-Chef Tino Chrupalla am Sonntag auf Anfrage nicht zu Orbans Plänen äußern. Beim Eröffnungsspiel der Fussball-EM in München hatte er im Stadion ein Selfie mit Orban verfertigt und dieses auf seinem Instagram-Kanal geteilt. Die lesbische Co-Chefin Alice Weidel erklärte am Sonntag: „Kurzfristig werden wir nicht dazustoßen, aber wer weiß, was wir mittel- und langfristig machen.“

Ungarn hat am Montag turnusgemäss den halbjährigen Vorsitz in der EU übernommen. Orban, der das Land seit 14 Jahren regiert, ist in der EU umstritten. Unter dem Vorwand des «souveränen Regierungshandelns» hat er nach Ansicht von Kritikern den Rechtsstaat und die Demokratie in Ungarn abgebaut und damit gegen Geist und Buchstaben der Europäischen Verträge, der Grundlagendokumente der EU, verstossen. Dazu gehöre auch, dass er zentrale Segmente der Volkswirtschaft – darunter Banken und den Telekom-Sektor – unter die Kontrolle ihm nahestehender Oligarchen gebracht habe.

Gegen Ungarn läuft wegen verschiedener massiver Verstösse ein sogenanntes Artikel-7-Verfahren, das mit dem Entzug der Stimmrechte in der EU enden könnte. Weiterhin hält die EU mehrere Milliarden Euro an Fördergeldern zurück, die Ungarn zustehen würden, deren Auszahlung aber aufgrund des Rechtsstaatsmechanismus der EU ausgesetzt ist. Als Regierungschef des Vorsitzlandes kann Orban allerdings in diese Vorgänge nicht eingreifen. Einen gewissen Spielraum hat er beim Setzen von Themen und bei der Lenkung von Debatten in den EU-Spitzengremien.

Die Abgeordnetengruppe der von Orban geführten Fidesz-Partei war wiederum im Europaparlament isoliert, nachdem sie 2021 aus der Fraktion der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), der auch CDU und CSU angehören, nach jahrelangen Streitigkeiten hinausgedrängt worden war (MANNSCHAFT berichtete). Der Versuch Orbans nach der Europawahl, seine Fidesz-Abgeordneten in der rechten Fraktion Europäische Konservative und Reformer (EKR) unterzubringen, scheiterte an der ablehnenden Haltung der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Die bestimmenden Kräfte in der EKR, Melonis Fratelli d’Italia und die polnische PiS, halten Orbans Nähe zu Russland für unannehmbar.

Orban und der Fidesz vertreten offen Positionen des äussersten rechten Randes des europäischen Parteienspektrums, darunter die Verschwörungserzählung vom «Bevölkerungsaustausch»: «Globale Eliten», unter ihnen der ungarischstämmige US-Milliardär und Philanthrop George Soros, würden die Einwanderung von Muslimen nach Europa nach Kräften fördern, um die europäischen Völker ihrer «christlichen und nationalen Identität» zu berauben, wird da behauptet. Belege dafür gibt es keine.

Die queere Regisseurin Erica Tremblay mit indigenen Wurzeln spricht über ihren Werdegang und über die Entwicklung der Hollywood-Industrie, die bis vor zehn Jahren noch behauptete, Native Americans hätten vom Filmemachen keine Ahnung und könnten weder schreiben noch spielen (MANNSCHAFT+).

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