Offen schwuler Kasselakis wird Oppositionsführer in Griechenland
Mathe-Talent, Politneuling und Kämpfer für LGBTIQ-Rechte
Überraschung in Griechenland: Der 35-jähriger offen schwule Stefanos Kasselakis ist trotz seiner fehlenden politischen Erfahrung zum Chef des grössten Oppositionsblocks, der linken Syriza-Partei, gewählt worden.
Die linke griechische Partei Syriza wird künftig der bisherige Geschäftsmann Stefanos Kasselakis leiten. In der Stichwahl um den Vorsitz der wichtigsten Oppositionspartei setzte sich der 35 Jahre alte Politneuling am Sonntag gegen Ex-Arbeitsministerin Efi Achtsioglou durch. Drei andere Kandidat*innen waren bereits in der ersten Wahlrunde ausgeschieden. Rund 136’000 Syriza-Mitglieder hatten an der Wahl teilgenommen.
Nach Auszählung von 70 Prozent der Wahlbezirke kam Kasselakis auf fast 57 Prozent der Stimmen, Achtsioglu auf rund 43 Prozent. Noch während der Stimmenauszählung rief sie ihren Kontrahenten an, um ihm zum Sieg zu gratulieren. Nötig wurde die Abstimmung, weil der bisherige Parteichef Alexis Tsipras nach dem schwachen Ergebnis bei der vorgezogenen Parlamentswahl im Juni sich zum Rückzug entschlossen hatte. Tsipras war von 2015 bis 2019 Ministerpräsident und hatte Griechenland durch die schwere Finanzkrise gesteuert.
Syriza verspürte offenbar einen Wunsch nach einem radikalen personellen Wandel. Der bisher in Miami wohnhafte Kasselakis war in Griechenland kaum bekannt, bis ihn Syriza auf die Parteiliste für die Parlamentswahlen setzte. Zwar reichte es am Ende für Kasselakis nicht für ein Abgeordnetenmandat. Doch sorgte eine Videobotschaft des Politneulings für Furore, in dem er seine Lebensgeschichte und seine Vision darlegte. Das Video ging viral und Kasselakis wurde zu einem ernstzunehmenden Anwärter auf den Parteivorsitz.
Die alte Partei-Garde beäugte Kasselakis‘ Kandidatur mit Argwohn. Ein Rivale um den Vorsitz, Ex-Finanzminister Euklid Tsakalotos, warf ihm vor, eine seichte, von sozialen Medien befeuerte «Post-Politik» zu betreiben. Achtsioglou stimmte in die Kritik mit ein und hielt ihrem Kontrahenten politische Unerfahrenheit vor.
In seiner Jugend galt der in Athen geborene Kasselakis als Mathe-Talent und erhielt ein Stipendium der Phillips Academy, einer renommierten Highschool im US-Staat Massachusetts. Ein weiteres Stipendium ermöglichte ihm ein Studium an der University of Pennsylvania, wo er Bachelor-Abschlüsse in Finanzen und in Internationalen Beziehungen erwarb. Kasselakis arbeitete später für die Investmentbank Goldman Sachs und gründete eine Reederei. Alle fünf Schiffe des Unternehmen verkaufte er 2022 für eine stattliche Summe, wie der Branchendienst Tradewinds meldete.
Als Parteichef könnte es Kasselakis nach Einschätzung von Expert*innen schwer haben, dem konservativen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis effektiv die Stirn zu bieten. Denn der neue Oppositionsführer habe kein Abgeordnetenmandat, erklärten die Fachleute. Fürs erste setzt Kasselakis jedoch vor allem auf Volksnähe. Er reist viel durchs Land und sucht das Gespräch mit Bürger*innen.
Dabei spricht der 35-Jährige auch offen über seine Sexualität. In Interviews sagte er zum Beispiel, dass sein Partner und er sich einen Kinderwunsch mit der Hilfe einer Leihmutter erfüllen wollten. «Das griechische Volk ist bereit, einen fähigen, unbestechlichen und unversehrten Ministerpräsidenten zu haben, der zufällig schwul ist», so Kasselakis. Weiter solle aus der griechischen Gesetzgebung «die fortschrittlichste der europäischen Länder in allen Fragen der Gleichstellung und des Schutzes für Frauen, Alleinerziehende, Behinderte sowie LGBTIQ Personen» werden.
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