Neues Schweizer-Kino «Bagger Drama»: «Mein Film ist keine Abrechnung»
In «Bagger Drama» steht der schwule Sohn in der Pflicht, den traditionsreichen Familienbetrieb zu übernehmen. Noch vor der Schweizer Premiere gewann der Film von Regisseur Piet Baumgartner international mehrere Preise. Unser Interview.
Perfekt aufeinander abgestimmt heben die Bagger in der Eröffnungsszene von «Bagger Drama» (ab 1. Mai im Kino) ihre Schaufeln in die Luft und drehen sich um die eigene Achse. Die sorgfältig einstudierte Choreografie ist das Markenzeichen einer Baggerfirma irgendwo im Berner Seeland und wird traditionsgemäss bei Geschäftsanlässen vorgeführt. Am Steuer sitzt Daniel (Vincent Furrer), der selbst im Betrieb arbeitet und bald die Nachfolge des Familienunternehmens antreten soll. Doch Daniel ist schwul, sein Herz schlägt nicht für grosse Maschinen.
Daniel lebt bei seinen Eltern Conny (Bettina Stucky) und Paul (Phil Hayes). Das Familienleben wird überschattet vom Tod seiner Schwester Nadine, die bei einem Kanuunfall ums Leben kam. Die Familienmitglieder trauern einzeln für sich, miteinander gesprochen wird kaum – wenn, dann über Belanglosigkeiten. Mutter, Vater und Sohn driften auseinander und verlieren sich in ihren eigenen Welten.
Mit wenigen Worten und vielen Emotionen erzählt Regisseur Piet Baumgartner mit «Bagger Drama» eine ergreifende Familiengeschichte, die auch autofiktionale Elemente enthält. Das Schwulsein von Sohn Daniel ist nicht zentrales Thema, sondern Puzzleteil eines umfassenden Familienporträts, in dem sich nicht nur schwule Kinobesucher, sondern auch Eltern, Geschwister und Menschen auf dem Land wiederfinden. Und natürlich auch Bagger-Fans.
Piet, ich hätte nie gedacht, dass Baggerbewegungen so elegant sein können. (Lacht.) Ja, tatsächlich. Wenn man Bagger von ihrer reinen Funktion als Arbeitsmaschinen entkoppelt, bekommen sie eine gewisse Poesie. In der Choreografie dieser Maschinen liegt sogar ein subtiler Humor. Gerade Bagger haben etwas sehr Graziles, fast Balletthaftes. Ich suchte nach einem visuellen Kontrast zur Sprachlosigkeit innerhalb der Familie im Film. Diese Familie hat es nie gelernt, offen über Gefühle, Liebe oder Sexualität zu sprechen.
Der Film erzählt eine sehr persönliche Geschichte. Meine Schwester ist vor 15 Jahren plötzlich gestorben. Ich war in meinen frühen Zwanzigern und der Verlust hat unsere Familie neu definiert. Was bedeutet Familie, wenn alle Kinder erwachsen sind? Irgendwann erkennt man, dass die Eltern auch nur Menschen mit Fehlern sind. Bei uns geschah dieser Perspektivwechsel sehr abrupt und ich wollte verstehen, wie die Zurückgebliebenen mit dem Weiterleben umgehen. Ich komme aus dem Berner Seeland, wo man selten direkt fragt, wie es jemandem geht. Es herrscht eine gewisse Schamkultur, die viele Themen – besonders Gefühle – unausgesprochen lässt. Das hat mich gestört.
In San Sebastián bekamst du für den Film den Regiepreis, beim Max Ophüls Preis hast du zwei Auszeichnungen für Regie und Drehbuch gekriegt. Hast du mit internationaler Anerkennung gerechnet? Überhaupt nicht. Für mich war das ein sehr lokal verankerter Film – Berner Seeland pur. Der Film ist gleichzeitig queer, handelt von Familie, Nachfolgeregelungen im Betrieb und Neuanfang. Er ist vieles auf einmal – dadurch ist er schwer einzuordnen. Dann kam die Einladung nach San Sebastián. Plötzlich stand der Film auf einer grossen internationalen Bühne. Wir zeigten ihn vor 700 Leuten – Weltpremiere. Ich war unglaublich nervös. Doch als eine Szene Szenenapplaus bekam, wusste ich: Die Leute sind dabei. Besonders in Spanien, wo das Publikum emotionaler ist, hat das funktioniert. Dass wir dort als erster Schweizer Film den Hauptpreis gewannen, war fantastisch.
In deiner Antwort höre ich typische Schweizer Zurückhaltung heraus: «Wer interessiert sich schon für uns?» Ich bin so aufgewachsen: die Arbeit als höchste Tugend. Als ich mein Kunststudium begann, konnten meine Grosseltern das nicht verstehen. Auch meine Eltern hatten Mühe, als ich nach Zürich zog, beim Fernsehen arbeitete und offen schwul lebte. Unsere Familie ist sehr durchmischt – politisch, gesellschaftlich. Trotzdem gibt es ein tiefes Vertrauen.
«Viele meiner schwulen Freunde haben komplizierte Familienverhältnisse.»
Piet Baumgartner, Regisseur
Menschen, die nicht miteinander reden, sind ein universelles Thema. Ich kenne keine Familie, in der es nicht gewisse Tabus oder unausgesprochene Themen gibt. Mein Film ist keine Abrechnung, sondern ein Versuch, zu verstehen. Ich bin 40 – viele meiner schwulen Freunde haben komplizierte Familienverhältnisse. Es ist nicht alles plötzlich gut, nur weil die Gesellschaft sich öffnet. Im Gegenteil, es gibt neue Backlashes. Ich wollte Kunst machen, die Verbindungen schafft. Ich merkte beim Film, wie schön es ist, wenn ein Baggerfahrer und ein queeres Crewmitglied gemeinsam an dieselbe Premiere kommen. Wir müssen mehr ausserhalb unserer Bubbles kommunizieren.
Haben deine Eltern auch einen Familienbetrieb geführt? Ja, aber Maschinenbau, nicht Bagger. Meine Schwester war eine der ersten Maschinenmechanikerinnen im Kanton Bern. Trotzdem war bei uns klar: Der Sohn soll übernehmen. Ich habe Maschinenzeichner gelernt, weil der Berufsberater, ein Freund meines Vaters, das mir nahelegte. Aber ich wusste immer: Das ist nichts für mich. Ich kann nicht in diesem Dorf bleiben. Das hat die Beziehung zu meinem Vater belastet – es war eine grosse Enttäuschung. Heute haben wir ein sehr gutes Verhältnis. Er hat mir kürzlich gesagt, dass er froh sei, dass ich meinen Weg gegangen bin.
Wie hat deine Familie den Film aufgenommen? Mit viel Vertrauen. Sie lasen das Drehbuch, konnten sich aber wenig darunter vorstellen. Ich mietete das Kino Rex in Bern und zeigte ihnen den fertigen Film in einem privaten Screening – das war sehr emotional. Für mich war das auch eine Form der Trauerverarbeitung, fast eine Therapie.
«Ich verstehe heute, dass meine Familie aus einer kleinen, engen Welt stammt.»
Piet Baumgartner, Regisseur
Hast du irgendeine Erkenntnis gewonnen? Ich verstehe heute, dass meine Familie aus einer kleinen, engen Welt stammt. Früher war ich gnadenloser. Ich hatte mir mehr Offenheit gewünscht, besonders als ich merkte, dass ich schwul bin. Heute sehe ich vieles differenzierter. Im Dorf wird man nicht gefragt, man schaut nur – und irgendwann wird akzeptiert, aber eben nicht gefragt.
Gab es Herausforderungen bei den Dreharbeiten? Eine Bagger-Firma sagte uns ab, weil Daniel im Film schwul ist. Sie begründete das offiziell damit, dass die Bagger nicht negativ dargestellt werden sollten. Zum Glück fanden wir eine offene Firma, die mitmachte. Mit Spielzeugbaggern zeigte ich den Fahrern, was ich mir vorstelle – sie machten begeistert mit. Am Ende waren sie stolz. Es ist schön, wenn Leute merken, dass man sich für ihre Arbeit interessiert.
Wegen einer schwulen Figur abzusagen ist für 2025 schon ein bisschen krass. Ja, das fand ich auch. Offenbar war ihnen wichtig, dass die Bagger «positiv dargestellt» werden – das war wohl ein vorgeschobener Grund. Ich weiss nicht genau, was ich dazu sagen soll. Aber ich hoffe, sie haben es inzwischen bereut. Ich lade sie auf jeden Fall zur Premiere ein. Auch aus Prinzip – sie sollen sehen, was wir wirklich gemacht haben.
Das letzte Mal miteinander sprachen wir 2011 über deinen Kurzfilm «Alle werden». Dort ging es um ein Coming-out. Wie hat sich Queerness im Film seither entwickelt? Es hat sich einiges getan. Mittlerweile gibt es gefühlt den hundertsten Coming-out-Film. Und viele folgen dem gleichen Schema. In meinem Film fand ich es zum Beispiel wichtig, dass Daniel ganz selbstverständlich sagt: «Du weisst, dass ich schwul bin.» Nicht: «Übrigens, ich bin schwul.» Diese Selbstverständlichkeit, dieses Wissen um die eigene Identität, das ist für mich 2025.
Trotzdem ist die Reaktion des Umfelds, etwa der Eltern, weiterhin ein Thema. In vielen Familien stellt sich die Frage: «Was werden die anderen denken?» Das kommt oft aus einem Schutzimpuls – aber dieser Schutz kann auch sehr verletzend sein.
Ich finde es schön, wenn sich queere Themen mit anderen Genres vermischen – wenn ein Film nicht nur ein queerer Film ist, sondern auch ein Familienfilm. Das ist realistisch.
Es ist nach wie vor wichtig, queere Geschichten zu erzählen. Davon gibt es immer noch viel zu wenige. Die Frage ist nur: Wie erzählt man sie heute? Ich weiss es selbst noch nicht genau. Ich bin immer noch am Suchen.
Kinostart in der Schweiz: 1. Mai
Ein Kinostart in Deutschland oder Österreich ist derzeit noch nicht bekannt.
Mehr: Reif für die Liebe – und die Inse? «Alone Together»: SRF sucht queere Singles für Dating-Experiment (MANNSCHAFT berichtete)
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