«Maestro in Blue»: Eine Männerliebe auf Paxos
Der Netflix-Hit aus Griechenland geht in die 3. Runde
Dass Netflix in regionale TV-Märkte geht und Serien aufkauft, ist bekannt – schliesslich verdanken wir der Strategie einige der besten LGBTIQ-Angebote. Auch die erste griechische Serie, die vom Streaminggiganten gekauft wurde, bietet eine intensive schwule Lovestory.
Die Rede ist von «Maestro», ursprünglich vom griechischen Fernsehkanal Mega Channel produziert und ab Oktober 2022 einmal pro Woche ausgestrahlt. Sie spielt auf Paxos, einer der Ionischen Inseln, vor einer traumhaften sommerlichen Urlaubskulisse. Weil die erste Staffel dort 2021 in Corona-Zeiten gedreht wurde, sieht man viele Darsteller*innen mit Masken rumlaufen. Was auch ein Thema ist, also die Pandemie mit ihren diversen Kontakteinschränkungen. Aber scheinbar waren die in Griechenland anders, denn irgendwie hält sich auf Paxos niemand so recht daran, zumindest nicht vor der Kamera. Und schon gar nicht, wenn’s ums Küssen und um Sex geht (MANNSCHAFT berichtete).
Die Geschichte kreist um den korrupten Bürgermeisterkandidaten der Stadt, Fanis, der auf seiner Insel ein Musikfestival organisieren will, um den Menschen wieder Hoffnung zu geben, um für sich zu werben, vor allem aber, um diese Kulturveranstaltung als eine Art Geldwäscheoperation zu nutzen. Bei der wird er vom zwielichtigen Fischer Charalampos unterstützt, der für Fanis Drogen in Richtung Italien und Balkan schmuggelt.
Verführung wider Willen
Fürs Festival engagiert man den Musiker/Dirigenten Orestis aus Athen, der anreist und gleich anfängt, mit den Locals ein Orchester, Chöre usw. zu organisieren. Als attraktiver Mit-Vierziger verliebt er sich in die 19-jährige Klelia, die Tochter es Bürgermeisters, die ihn – gegen seinen anfänglichen Willen – so lange verführt, bis er nachgibt. Trotz Bedenken wegen des Altersunterschieds.
Während diese heterosexuelle Romanze zwischen Orestis und Klelia – die sich an Stränden, im Meer, auf Booten und in Ferienhäusern entfaltet, zu sehr viel griechisch-klassischer Musik – das ist, worüber die Serie primär verkauft wird, gibt es weitere, parallellaufende Handlungsstränge, die aus queerer Sicht viel spannender sind.
Spyros und Antonis
Denn: Klelias jüngeren Bruder Antonis verbindet seit Kindertagen eine enge Freundschaft mit Spyros, dem Fischerssohn des schmuggelnden Vaters. Als beide in die Pubertät kamen, wurde daraus mehr. Während Antonis, als jemand der aus einem kosmopolitisch eingestellten Elternhaus kommt, keine Probleme hat, seine Gefühle für Spyros zuzugeben und sich auch öffentlich zu seiner Homosexualität zu bekennen, ist das bei Spyros anders. Sein gewalttätiger Vater – der Ehefrau und Sohn brutal schlägt und tyrannisiert – pocht auf «traditionelle» Familienformen, was es für Spyros unmöglich macht, offen schwul zu leben. Stattdessen inszeniert er sich als unwiderstehlicher Frauenheld, der eine Beziehung mit einer blondierten Insel-Influencerin führt, um jeden Verdacht auf seine sexuelle Orientierung zu verscheuchen. Sehr zum Ärger von Antonis, der Spyros nur heimlich zwischendurch sehen kann. Und der auch öffentlich so tun muss, als wäre zwischen beiden nichts, um Spyros' Geheimnis zu «decken». Was bedeutet, dass er sich selbst verleugnen muss.
Eskalierende Situation
Die zehn jeweils einstündigen Folgen von Staffel 1 sind wie ein Cozy Crime aufgebaut. Denn neben den verschiedenen Liebesgeschichten der Charaktere in verschiedenen Altersgruppen – auch die verwitwete Oma von Antonis findet einen Jugendfreund wieder – dreht sich die Handlung um die eskalierende Situation mit Charalampos. Wir sehen früh, am Ende jeder Folge, dass er tot ins Meer sinkt. Aber wer hat ihn umgebracht? Seine Frau Maria? Sein Sohn? Fanis? Antonis? Orestis? Und wenn Charalampos tot ist, steht dann einer Beziehung zwischen Spyros und Antonis nichts mehr im Wege?
Gerade weil der lockenköpfige Orestis Chalkias als Antonis und der vollbärtige Giorgos Benos als Spyros so intensiv spielen und vor der Kamera perfekt zueinander passen, ist ihre Beziehungsgeschichte in der Serie ein echtes Highlight. Man könnte einwenden: Sind wir nicht aus der Phase der LGBTIQ-Repräsentation raus, wo sich Figuren mit ihrer Homosexualität «quälen»? Sollten wir heutzutage nicht klare positive Darstellungen bevorzugen, wie sie etwa «Heartstopper» bietet (MANNSCHAFT berichtete)?
Die dramatische Fallhöhe, die Regisseur Christoforos Papakaliatis und die Drehbuchautor*innen für Spyros und Antonis schaffen, macht die Beziehung der beiden komplexer als alles, was bei «Heartstopper» zu sehen ist – und, ja, auch ergreifender. Denn es geht nicht (nur) darum, ob sie sich nun lieben oder nicht. Das tun sie. Sondern darum, was sie real im Leben mit dieser Liebe machen könnten.
Neue «Denkrichtungen»
Dabei wird offen ausdiskutiert, dass es in Griechenland verschiedene «Denkrichtungen» gibt, wie sich ein Mann zu verhalten habe und welches Familienideal er anstreben sollte. Es wird auch diskutiert, warum sich manche mit neuen «Denkrichtungen» so schwertun und wie man damit umgehen könnte.
Und auch wenn die Kamera die Liebesszenen von Klelia und Orestis öfter und freizügiger einfängt, so sind die von Antonis und Spyros mindestens genauso «hot». Und Staffel 1 endet nach zehn Folgen nicht nur mit einem überwältigend schönen musikalischen Finale, sondern einem Cliffhanger-Schluss, der trotz Auflösung der Frage zum Tod von Charalampos so viele neue Fragen aufwirft, dass klar ist: es wird eine zweite Staffel geben.
Keine deutsche Synchronisation
Ende 2022 wurden die internationalen Vermarkungsrechte, wie erwähnt, an Netflix verkauft. Zunächst war die Serie dann nur in Griechenland und Zypern abrufbar, ab März 2023 auch weltweit als «Maestro in Blue». (Die Ergänzung «in Blau» war nötig, um Verwechslungen mit der Netflix-Produktion «Maestro» zum Leben von Leonard Bernstein zu vermeiden, MANNSCHAFT berichtete über das Biopic.)
Die Serie sicherte sich international schnell einen Platz unter den zehn beliebtesten Serien auf Netflix (Platz 8). Aber scheinbar dachte man, eine solche Griechenlandgeschichte würde im deutschsprachigen Raum nicht interessieren. Denn es gibt keine deutsche Synchronfassung – dafür aber Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch und Türkisch. Immerhin: Untertitel sind auf Deutsch verfügbar, neben den anderen genannten Sprachen übrigens auch auf Ukrainisch.
Vielleicht ist das der Grund, warum «Maestro in Blue» im deutschen Sprachraum nicht prominenter ausgespielt und beworben wurde. So dass man sie als LGBTIQ-Zuschauer*in leicht übersehen konnte. Sie lohnt aber in jedem Fall, auch in der englischen Synchronfassung (falls man nicht stundenlang Untertitel lesen will).
Wie geht es weiter?
Im Frühjahr 2024 kam dann der erste Teil von Staffel 2 bei Netflix raus, sechs Folgen bislang. Darin hat sich Antonis nach Athen verabschiedet, Spyros bleibt auf der Insel Paxos zurück mit seiner Freundin. Sie versuchen ein Leben ohne den jeweils anderen. Ob das eine echte Option ist, wenn die (verleugneten) Gefühle füreinander so stark sind?
Folge 6 von Staffel 2 endete mit einem verblüffenden Knallmoment. Und Fans von «Maestro in Blue» mussten jetzt monatelang warten, um zu erfahren, wie es weitergeht. Letzte Woche hat der Darsteller des Spyros, Giorgos Benos, auf Instagram angekündigt, dass der zweite Teil von Staffel 2 nun am 2. Dezember bei Netflix an den Start geht. Allerdings zuerst nur in Griechenland und Zypern. Der Rest der Welt müsse bis zum 28. Dezember warten, schreibt die Zeitung Greek Reporter, die von «Staffel 3» spricht (was aber «nur» die drei restlichen Folgen von Staffel 2 sind, die man aber sicherlich auch als eigene Kurz-Staffel betrachten und zählen kann).
Im Trailer sieht man auf jeden Fall Spyros und Antonis im Bett und sonst wo (es sind hier aber vor allem Rückblicke, die gezeigt werden, also keine Spoiler).
Ob danach Schluss ist und Spyros/Antonis ihr Happy End kriegen, bleibt abzuwarten. Vielleicht kommt ja jemand bei Netflix auf die Idee, den beiden einen eigenen Film oder eine eigene Serie zu widmen? Die Darsteller Giorgos Benos und Orestis Chalkias sind jedenfalls ein spannender Neuzugang am LGBTIQ-Serienhimmel. Bei denen die Chemie stimmt und die eine altbekannte Geschichte mit neuem Twist und neuer Energie überzeugend spielen.
Nun heisst es also für hiesige Fans: Warten bis kurz nach Weihnachten. Für alle, die «Maestro in Blue» noch nicht kennen, ist jetzt die Chance die bislang veröffentlichten 16 Folgen (also 16 Stunden Streamingmaterial) anzuschauen, mit viel Urlaubsfeeling, viel Musik und sehr viel intensiver schwuler Liebe, die als roter Faden die ganze Serie durchzieht. Einfach weil der Mord an Charalampos – mit all seinen verwickelten Konsequenzen – die Handlung zusammenhält.
Jetzt hat er’s doch geschafft: Florian Klein aka Hans Berlin bringt im November sein romantisches Pornomusical «Shooting Star» über den Atlantik zur europäischen Erstaufführung (MANNSCHAFT berichtete).
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