Nach Ehe für alle soll Elternzeit für alle kommen
Eine neue Initiative verspricht sich enorme positive Effekte für queere Paare
Je 18 Wochen Elternzeit – für alle. Das sieht die neue Familienzeit-Initiative in der Schweiz vor.
Die Familienzeit würde für jeden Elternteil bei Geburt oder Adoption gelten. Durch die neue paritätische Verteilung der Elternzeit soll Gleichstellung als zentrales Hauptziel der Initiative gefördert werden. Denn wer Gleichstellung ernst nimmt, muss auch Elternschaft umdenken und zwar für alle Familienformen.
Die Familienzeit-Initiative wird getragen von einer breiten überparteilichen Allianz. Zu den Unterstützer*innen gehören Alliance F, die Grünen Schweiz, die GLP, die Mitte-Frauen und Travail.Suisse. Gefordert wird: je 18 Wochen Familienzeit für beide Elternteile. Die Initiative befindet sich derzeit in der Unterschriftensammlung in der ganzen Schweiz. Für eine Volksabstimmung braucht sie 100‘000 gültige Unterschriften binnen 18 Monaten.
Robin Bartlett Rissi, interne Verantwortliche und Politikberaterin bei der Alliance F in Bern, erklärt im Interview mit MANNSCHAFT die zentralen Gleichstellungsaspekte der Initiative und weshalb diese auch für queere Paare von hoher Relevanz ist.
In der Schweiz besteht bisher ein gesetzlich geregelter Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen und ein Urlaub für den anderen Elternteil von zwei Wochen. Für adoptierende Eltern wurde 2023 erstmals ein zweiwöchiger Adoptionsurlaub eingeführt.
Mit der Familienzeit-Initiative sollen diese verschiedenen Urlaube zu einer gleich langen Elternzeit für beide ausgebaut werden. Dadurch erhalten beide Elternteile 18 Wochen, womit die Arbeit von Anfang an geteilt wird und beide eine gleich tragende Rolle spielen können.
«Für uns ist ganz klar, es geht hier um Gleichstellung. Es geht darum, dass Eltern werden eine gemeinsame Verantwortung ist», sagt Rissi.
Unbezahlte Care-Arbeit Was Elternzeit mit Gleichstellung zu tun hat: In der Schweiz leisten Frauen deutlich mehr unbezahlte Care-Arbeit (Fürsorgearbeit) und sind häufiger von Erwerbsunterbrüchen und den damit verbundenen finanziellen Lasten betroffen. Die Ungleichheit beginnt bereits beim Berufseinstieg.
Studien wie jene der European Association of Labour Economists zeigen auf, dass die Lohndiskriminierung bereits beim Arbeitseinstieg bei Frauen stattfindet und nicht erst im Verlauf der Karriere entsteht. Ein Grund dafür ist die sogenannte «statistische Diskriminierung»: Arbeitgeber*innen rechnen oft unbewusst mit zukünftiger Mutterschaft und setzen deshalb tiefere Löhne an. Dies ist ein treibender Faktor des Gender-Pay-Gap (geschlechtsspezifische Lohnlücke), noch bevor sich Unterschiede in Leistung oder Erfahrung zeigen können.
Weiter wurde in sogenannten Prüfstudien mit fiktiven Bewerbungen Mütter deutlich seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen und erhielten bei gleichen Qualifikationen, aber unterschiedlichem Elternstatus niedrigere Lohnangebote.
Durch eine Aufteilung der Verantwortung der Eltern in der Phase direkt nach der Geburt soll die gebärende Person entlastet werden und der Wiedereinstieg ins Berufsleben vereinfacht werden. Dadurch, dass beide Elternteile gleich für das Kind verantwortlich sind und nicht nur eine geschlechtsspezifische Belastung für die Unternehmen besteht, soll die Lohndiskriminierung vor und nach der Geburt des Kindes nachhaltig zurückgehen.
Hartnäckige Rollenverteilung Die bisherige Aufteilung der Kinderbetreuung im Familienleben in der Schweiz erklärt Rissi mit zwei wesentlichen Komponenten: Erstens, in der Schweiz wird Familienleben als Privatsache und nicht als gesellschaftliches Thema betrachtet. Zweitens, das moderne Familienbild der Schweiz ist eher neu aufgrund der Einführung des Frauenstimmrechts 1971.
«Damals galt Hausarbeit und Kindererziehung als Frauensache. Arbeit und Politik als Männersache. Das hat sich gewandelt in den letzten Jahren, ist aber systemisch immer noch verankert», sagt Rissi, die Politikwissenschaften in Bern studiert hat.
Das Ziel der Familienzeit-Initiative ist es, diese festgefahrenen Stereotypen aufzubrechen, durch gemeinsame Verantwortung beider Elternteile und durch rechtliche Rahmenbedingungen, die moderne Familienmodelle aktiv ermöglichen, anstatt sie zu behindern.
Der bereits bestehende Wandel und die Entwicklung der gelebten Familienmodelle bedürfen einer Anpassung. Über zwei Drittel der Väter in der Schweiz wünschen sich, nach der Geburt ihres Kindes länger als zwei Wochen zu Hause zu bleiben und eine aktive Rolle in der Familie und Erziehung zu übernehmen. Langfristig wächst so eine ganze Generation von Kindern heran, die neue Rollenbilder erlebt und verinnerlicht.
Wer länger bleibt, bleibt mehr beteiligt «Wir wissen, je länger der zweite Elternteil daheim ist, desto mehr Kinderbetreuung und Hausarbeit übernehmen sie langfristig und desto ausgeglichener ist das Familienleben.»
Mit der Aufteilung der Elternzeit auf beide Eltern wird nicht nur Gleichstellung im Arbeitsleben gestärkt, sondern prägt auch nachhaltig die Rollenaufteilung als Verhaltensänderung innerhalb der Familie. Wer von Anfang an Verantwortung übernimmt, bleibt auch langfristig aktiver Teil der Fürsorgearbeit.
«Je mehr man als Partner macht, desto mehr sind beide Partner verantwortlich, aber gleichzeitig entlastet. So können Männer in die Rolle hineinwachsen und es besteht Vertrauen über die Fürsorge zum Kind in der Partnerschaft.»
Diese Veränderung hat nicht nur Auswirkungen auf die Eltern-Kind-Beziehung, sondern auch auf die «Care-Arbeit». Diese umfasst Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, Haushalt und emotionale Fürsorge und wird mehrheitlich unbezahlt von Frauen geleistet.
«Wir erhoffen uns, dass mit dieser Initiative mehrere junge Familien dazu ermutigt werden, sich die Care-Arbeit eher egalitär aufzuteilen», so Robin gegenüber MANNSCHAFT.
Gesellschaftlicher Nutzen bringt wirtschaftlichen Gewinn Die Initiative lohnt sich nicht nur gesellschaftlich, sondern auch wirtschaftlich. Durch die Aufteilung der Verantwortung kehren deutlich mehr Mütter früher, häufiger und mit höherem Pensum in den Beruf zurück. Das führt langfristig zu einer Refinanzierung und Investition für den Staat durch zusätzliche Steuern und Sozialabgaben.
Die Zahlen des Berichts des Schweizer Bundesrates vom Februar 2025 sprechen für sich: Nach der ersten Geburt reduzieren drei von vier Frauen ihren Beschäftigungsgrad auf weniger als 70 Prozent oder steigen ganz aus dem Berufsleben aus. Selbst dann, wenn sie zuvor das höhere Einkommen im Paar hatten.
Fast alle Väter (92 Prozent) behalten hingegen ihr ursprüngliches Pensum bei, und lediglich zwei Prozent arbeiten danach weniger als 70 Prozent. Für 51 Prozent der Mütter bedeutet die Geburt einen Einkommensrückgang von mehr als der Hälfte. Langfristig summiert sich der Unterschied: Mütter verdienen im Vergleich zu Vätern im Durchschnitt 67 Prozent weniger, was als «Long-run child penalty» (langfristige Lohneinbusse durch Kinder) bezeichnet wird.
Sind mehr Frauen erwerbstätig nach einer Geburt, bringt das nicht nur Staatseinnnahmen, sondern bekämpft zusätzlich den drohenden Fachkräftemangel und die Finanzierung der AHV, verursacht durch den demographischen Wandel in der Schweiz.
Inklusive Familienpolitik Die Initiative sieht bewusst eine Familienzeit für alle Familienformen vor und spricht deshalb von Elternschaft. Damit inkludiert sie gleichgeschlechtliche Paare in eine Diskussion, welche mehrheitlich in einem heteronormativen Kontext stattfindet.
«Es ist eine moderne Initiative, die nicht ständig von Müttern und Vätern redet, sondern von Eltern. Und das ist viel inklusiver, wenn es zwei Menschen sind, die nicht als Mutter oder Vater, sondern als Eltern eine Familie bilden», sagt Robin.
Die Initiative hätte enorme positive Effekte auf gleichgeschlechtliche Paare.
Sind zwei Frauen in einer Beziehung, unterliegen diese einer Doppelbelastung. Beide Partnerinnen sind potenziell von der Lohndiskriminierung, vom Gender Pay Gap und von der Care-Verantwortung betroffen. Wenn beide im Lauf des Familienlebens ein Kind bekommen, addieren sich Erwerbsunterbrüche, Lohnverluste und finanzielle Belastung.
Auch für Männer in gleichgeschlechtlichen Beziehungen hat die Initiative einen grossen Einfluss. Mit Adoption als einziger Möglichkeit, eine Familie im Sinne eines Eltern-zu-Kind-Verhältnis zu gründen sind Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub nicht anwendbar. Seit 2023 ist in der Schweiz ein zweiwöchiger Adoptionsurlaub insgesamt für beide Elternteile vorgesehen.
Dieser Zeitraum ist in keiner Weise ausreichend, um die tiefgreifende Umstellung durch eine Adoption aufzufangen. Gerade bei adoptierten Kleinkindern ist das erste Jahr entscheidend für die Bindungsentwicklung, emotionale Sicherheit und das Entstehen einer stabilen Eltern-Kind-Beziehung.
Dadurch sehen sich viele Eltern gezwungen, darüber hinaus unbezahlte Urlaubstage oder Teilzeitlösungen in Anspruch zu nehmen. In der Praxis übernimmt diesen zusätzlichen CareAufwand meist der Elternteil, der weniger verdient. Die Folge ist wiederum eine langfristige strukturelle Benachteiligung dieses Elternteils.
Je 18 Wochen für Gleichstellung Die Familienzeit-Initiative schafft, was bisher fehlt: Mehr Zeit für Eltern und gleiche Zeit für beide Elternteile. Sie stärkt die Gleichstellung im Arbeits- und Familienleben und trägt damit nachhaltig zum Aufbrechen von Rollenbildern in der Zukunft bei. So besteht die Hoffnung, dass Phänomene wie die statistische Diskriminierung und Mutterschaftsstrafe abnehmen und Care-Arbeit sich breiter auf die Gesellschaft verteilt.
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