Erfüllt der Arbeitgeber bald den Traum der Regenbogenfamilie?
40 Prozent der Unternehmen in den USA bieten solche Leistungen an
Startet die Familienplanung erst später im Leben, ist teils teure medizinische Unterstützung notwendig. Manche Unternehmen übernehmen Kosten. Kommt der US-Trend auch in Deutschland an?
Von Sabina Crisan, dpa
Jobticket, Sportpass, Weiterbildung, Einkaufsrabatte, Kinderbetreuung und nun das Einfrieren von Eizellen? In den USA bieten immer mehr Unternehmen sogenannte Fertility Benefits an und übernehmen damit die Kosten für Kinderwunschbehandlungen. In Deutschland hingegen ist dies bislang noch eine Nische. Doch Experten zufolge steigt der Druck auf Unternehmen.
Vor rund zehn Jahren sorgte die Nachricht für Aufruhr, dass die IT-Konzerne Meta und Apple Mitarbeiterinnen in den USA das Einfrieren ihrer Eizellen zahlten. Man befürchtete, Frauen könnten gezwungen werden, sich nur auf den Beruf zu konzentrieren und den Kinderwunsch auf Eis zu legen.
«Das ist Nonsens. Mindestens 80 Prozent der Frauen, die sich die Eizellen einfrieren lassen, tun das und das zeigen alle Studien, weil sie nicht den richtigen Partner zum richtigen Zeitpunkt haben», sagt Julia Reichert, Gründerin von Onuava. Das Heidelberger Start-up hat eine Plattform entwickelt, über die Unternehmen ihren Mitarbeitern Zugang zu einer breiten Angebotspalette rund um die Familienplanung bieten können.
Mit Fertilitätsleistungen den Fachkräftemangel bekämpfen? Zu Beginn waren Fertilitätsleistungen eine Möglichkeit für das Silicon Valley, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und sich attraktiver zu machen. «Die Unternehmen haben dies nicht aus Gutmütigkeit oder Grosszügigkeit getan, sondern weil es sich für sie auszahlt», sagt Reichert. Angestellte können bei Unternehmen etwa Kosten für In-vitro-Fertilisation (IVF), Adoptionsverfahren oder eben die Entnahme von Eizellen einreichen.
Auch Hannah Zagel, die sich am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung auch mit dem Thema beschäftigt, erklärt, der Fokus liege auf der Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen, der Steigerung von Produktivität und womöglich auch der Mitarbeiterzufriedenheit.
Inzwischen bieten etwa 40 Prozent der Unternehmen in den USA solche Leistungen an, wie eine Auswertung der US-Stiftung für betriebliche Leistungen aus dem Jahr 2022 zeigt. Nach eigenen Angaben hat die gemeinnützige Organisation mehr als 31’000 Mitglieder aus Unternehmen und dem öffentlichen Sektor. An den Kosten für das sogenannte Social Freezing – der vorsorglichen Entnahme von Eizellen – beteiligten sich 14 Prozent. 2016 waren es lediglich 2 Prozent.
Der Trend, Kinderwunschbehandlungen zu fördern, dürfte auch in Deutschland Einzug halten, glaubt Reichert. «Unternehmen müssen sich auch in puncto Fachkräftemangel immer mehr Neues einfallen lassen.»
Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur gaben US-Unternehmen wie Google, Meta, Apple, Microsoft oder Salesforce entweder an, dass sie die Vorteile in Deutschland nicht anbieten oder sie keine Informationen dazu liefern können. Das Beratungsunternehmen McKinsey bietet «grundsätzlich auch in Deutschland» unter anderem «Familienplanung, einschliesslich Unterstützung bei Adoption und Leihmutterschaft und Konservierung von Eizellen» an, sagte eine Pressesprecherin.
Krankenkassen übernehmen nur teilweise Kosten Dem Deutschen IVF-Registers zufolge sind seit 1997 fast 390’000 Kinder nach In-vitro-Fertilisation geboren. Je nachdem, für welche Behandlung sich Patienten entscheiden, liegen die Kosten bei bis zu 10’000 Euro. Längst nicht alles davon übernehmen Krankenkassen.
Laut dem Bundesfamilienministerium übernehmen die Krankenkassen unter bestimmten Voraussetzungen teilweise die Kosten für gesetzlich Krankenversicherte. Ältere oder gleichgeschlechtliche Paare, sowie Alleinstehende, müssen oft selbst zahlen. Auch eine freiwillige Entnahme und Lagerung von Eizellen wird nicht erstattet.
Als Dax-Konzern wagte Merck im vergangenen Jahr den Alleingang und kündigte an, Mitarbeitende beim Kinderwunsch zu unterstützen. Seit dem Start des Angebots in Deutschland im Jahr 2024 seien bis August knapp 200 Anfragen gestellt worden, sagte eine Merck-Pressesprecherin. Die Nachfrage, ob man nicht mithelfen könne, sei auch ein Wunsch aus der Belegschaft gewesen.
Voraussetzung für die Leistungen ist, dass eine*r der Partner*innen während der Behandlung bei Merck beschäftigt sein muss. Das Unternehmen sichert den Mitarbeitenden Vertraulichkeit zu. «Der oder die Vorgesetzte wird nichts von diesem Antrag oder dieser Anfrage erfahren», erklärt Katharina Schiederig, Leiterin der Abteilung für Diversitäts-, Gleichstellungs- und Inklusionsstrategie bei der Merck-Gruppe. Merck sehe sich lediglich als «Abrechnungsstelle», das Höchstbudget sei «immer eine fünfstellige Summe.»
Das Thema werde nicht besonders hervorgehoben. «Es geht uns gar nicht darum, das zu pushen, sondern wir möchten ein breites Angebot der Unterstützung bei Kinderwunsch machen», betont Schiederig. Ziel sei, den Frauen die Wahlfreiheit zu lassen.
Kritik bleibt bestehen Soziologin Zagel hält einen Aspekt für entscheidend: «Die Frage ist, ob Fertility Benefits an Bedingungen geknüpft sind. Erhöhen sie wirklich die Wahlfreiheit der Beschäftigten oder sind sie an eine Erwartung geknüpft, wie: ‹Wir haben dir das angeboten. Warum nimmst du dann jetzt Elternzeit?›»
Es gebe auch andere Massnahmen zur Förderung von Familien, betont Zagel. Man könnte Kinderbetreuung anbieten oder mehr betriebliche Leistungen für Erziehungszeiten. Zudem könnten Unternehmen flexible Arbeitszeiten einführen und die Arbeit von zu Hause aus erleichtern. «Es muss immer klar sein, was es für Alternativen gibt. Es darf auch keinen Druck geben, diese Dienste in Anspruch zu nehmen.»
Mehr: Kriminelle Bande in Engalnd nutzte Grindr, um queere Männer auszurauben (MANNSCHAFT berichtete)
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