Zu schön, um wahr zu sein? Édouard Louis schreibt über seine Mutter
In «Monique bricht aus» geht es wieder ums Elend der Arbeiterklasse – und wie man daraus ausbrechen kann
Frankreichs schwuler Star-Autor Édouard Louis hat ein zweites Buch über seine Mutter geschrieben. Es ist zu einer liebevollen Hommage geworden.
Als vor elf Jahren Édouard Louis' Debütroman «Das Ende von Eddy» erschien, bedeutete das den radikalen Bruch des jungen Schriftstellers mit seiner Familie (MANNSCHAFT berichtete). Während Louis von Publikum und Kritik gefeiert wurde und in Frankreich zum Shootingstar der autofiktionalen Erzählung avancierte, fühlte sich seine Familie blossgestellt.
Schonungslos hatte er in dem Buch seine von Armut, Gewalt und Ausgrenzung geprägte Kindheit beschrieben und dabei auch seine Homosexualität thematisiert. Vor allem seine Mutter zeigte sich davon zutiefst verletzt. Bei einer Lesung ihres Sohnes in Paris machte sie ihm heftige Vorwürfe.
Zwei Trennungen von gewalttätigen Partnern
In seinem neuen Buch «Monique bricht aus» erinnert sich der heute 32-jährige Édouard Louis an diese verstörende Szene. Seither hat sich viel verändert im Leben von Mutter und Sohn. Denn nicht nur der Sohn konnte sich aus bedrückenden Verhältnissen befreien, auch die Mutter.
In wenigen Jahren trennte Monique sich zweimal von gewalttätigen, dominierenden Männern, zuerst von Édouard Louis' Vater, dann von einem Pariser Lebensgefährten. Während Louis in «Die Freiheit einer Frau» den ersten Ausbruch der Mutter schilderte, folgt nun die Fortsetzung.
Ein Anruf unter Tränen
Die Erzählung beginnt mit einem verzweifelten Anruf der Mutter beim Sohn, der sich gerade im Ausland befindet. Unter Tränen schildert sie, dass sich mit ihrem aktuellen Lebensgefährten in Paris die Schrecken ihrer Ehe wiederholen: Alkohol, Beschimpfungen, Demütigungen. Der Sohn rät ihr, sofort auszuziehen und bietet ihr vorläufigen Unterschlupf in seiner verwaisten Pariser Wohnung an.
Aus der Ferne dirigiert er ihre Wohnungssuche. Schliesslich kommt Monique in einem kleinen Haus in einem nordfranzösischen Dorf unter, in dem auch ihre Tochter lebt. Sie ist glücklich wie nie zuvor.
Édouard Louis schildert das Leben seiner Mutter als Folge massiver gesellschaftlicher Benachteiligungen. Monique gehört zu den Frauen, die nie eine Chance hatten. Aus einfachen Verhältnissen stammend und sehr früh schwanger geworden, konnte sie keinen Beruf erlernen. Mit fünf Kindern und finanziell abhängig, war sie an den Ehemann gebunden, ein erster Ausbruchsversuch scheiterte.
Was Armut mit Frauen der Arbeiterklasse macht
Vor zwei Jahren schilderte Édouard Louis' Freund und Mentor Didier Eribon in seinem viel beachteten Buch «Eine Arbeiterin» das ähnlich schwere Leben seiner Mutter (MANNSCHAFT berichtete). Beide Mutterschicksale werden von ihren Söhnen als bittere Konsequenz von Armut und Ausgrenzung von Frauen der Arbeiterschicht gesehen.
«In meiner Kindheit, als ich mit ihr zusammengewohnt hatte, war meine Mutter eine harte Frau gewesen», schreibt Louis. Diese Härte, so sieht er es heute, resultierte aus einem «Zustand permanenter Angst und Beklemmung» durch die unerträgliche Ehe.
Aber mit ihrer Befreiung wird Monique eine andere Frau, gefühlvoll und weich und damit bekommt auch das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn einen anderen, liebevollen Charakter. Geradezu rührend begleitet der Sohn die Mutter auf ihrem Weg zur Selbstbestimmung. Er bringt ihr etwa behutsam den Umgang mit dem Computer bei. Denn Monique hat vieles nicht erlernt, was für die meisten Menschen heutzutage selbstverständlich ist.
Schuldgefühle nach einem abgesagten Abendessen
Das Geld des Sohnes hilft ihr ganz erheblich: «Was meine Mutter früher als Verrat empfunden hatte, ermöglichte uns jetzt, ihr ein Leben in Freiheit aufzubauen.» Reisen und Restaurantbesuche bereiten Monique geradezu kindliche Freude. «Wir zwei beide haben es weit gebracht, was?», stellt sie stolz fest. Als der Sohn einmal ein von ihr herbeigesehntes gemeinsames Abendessen schnöde absagt, empfindet er nachher grosse Scham.
«Monique bricht aus» ist in einer klaren, dabei längst nicht so schonungslosen Sprache geschrieben wie vorangegangene Bücher von Édouard Louis. Das ist auch kein Wunder, denn es ist eine Hommage an seine Mutter und von grosser Liebe getragen. Fast zu schön, um wahr zu sein, endet das Buch dann auch in einem fast märchenhaften Triumph. «Sie hat gewonnen», heisst es zum Schluss.
Von Sibylle Peine, dpa
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