Miese Reprise? Oder: Wiederholt sich das Rad der Geschichte?
Mona Gamie sinniert darüber, ob die Zeiten wieder unsicherer geworden sind
Rechtskonservative bis faschistische Ströme erwecken den Eindruck, dass sich die Geschichte wiederholt. Warum das nicht stimmt. Der Kommentar* von Mona Gamie.
Ganz oft, wenn ich auf der Bühne stehe, singe ich die Lieder der Diven von einst – Zarah Leander, Marlene Dietrich, Hildegard Knef, Edith Piaf und wie sie alle hiessen . . . Die Stücke stammen aus einer Zeit vor der Unsrigen und gehen mir – und zu hoffen wäre: auch meinem Publikum – trotzdem ans Herz: Eine Piaf’sche Hymne an die Liebe oder ein Leander’sches Wissen darum, dass einmal ein Wunder geschehen wird, lässt einen auch heute, viele Jahre nach deren Entstehung und Uraufführung, nicht kalt.
Im weitesten Sinne bringe ich damit ein Stückchen Geschichte auf die Bühne. Auf meiner Bühne nimmt die Geschichte also im Idealfall eine wohlige Rolle ein. Jedoch macht sich bei vielen das Gefühl breit, dass die Geschichte auf der Bühne der Welt in den letzten Jahren eine zunehmend unrühmlichere Rolle zu spielen beginnt.
Immer öfter muss ich daran denken, dass es so scheint, als ob die Zeiten in vielen Belangen wieder unsicherer geworden sind: Man denke nur an die Pandemie, die neuerlich aufflammenden Kriege (die vielleicht gar nie richtig weg waren) und den unheilvollen Vormarsch von rechts bis faschistisch in der Schweiz (siehe JSVP), in Deutschland (AfD) und anderswo in Europa.
Und manchmal beschleicht auch mich das ungute Gefühl, dass sich die Geschichte wiederhole. Denken wir zurück: Vor rund hundert Jahren hielt die Spanische Grippe die Menschen in ihrem Bann, gewannen menschenverachtende Bewegungen an Zulauf und befand sich die Welt zwischen Abgründen der zwei Weltkriege. Fast wie heute? Sind die aktuellen Entwicklungen etwa bedrohliche Vorboten einer Wiederholung?
Nun bin ich ja im Nebenberuf Historikerin und weiss: Die Geschichte wiederholt sich nicht. Zum Glück. Sie ist zu jeder Zeit neu und spezifisch. Es gibt kein Naturgesetz, das die Geschichte dazu zwingen würde, ihre Schrecken in einem immer gleichen Kreislauf erstehen zu lassen.
Das ist eine gute Nachricht. Im Umkehrschluss heisst das aber leider nicht, dass wir vor gefährlichen Entwicklungen gefeit wären. Auch wenn sich die Geschichte nicht wiederholt, so kann sie doch in neue Abgründe führen.
Doch wir können etwas dagegen tun. Gerade dank der Geschichte wissen wir, wie schnell erkämpfte Errungenschaften wieder abgeschafft werden können. Dagegen müssen wir uns stellen. Darum dürfen wir uns nicht auf dem Erreichten ausruhen. Es gilt, sich weiterhin für eine offene Gesellschaft einzusetzen (indem wir zum Beispiel die Wurzeln der Pride als Demonstration nicht vergessen), sich solidarisch innerhalb und ausserhalb der queeren Community zu zeigen (aktuell gerade mit Blick auf die Rechte von trans Menschen) und sich jenen, die das Rad zurückdrehen möchten, in den Weg zu stellen.
Wenn wir zusammenstehen, dann schaffen wir es vielleicht, dass die einzige Geschichte, die sich wiederholt, der Chanson-Klang der Diven von einst ist.
Mann, Frau Mona!
Mona Gamie: Dragqueen mit popkulturellem Schalk und nostalgischem Charme. Diven-Expertin, Chansonnière und queere Aktivistin.
[email protected] Illustration: Sascha Düvel
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