«Der Koran und das Fleisch»: Sind Islam und Homosexualität vereinbar?
Imam Ludovic-Mohamed Zahed bringt seine wegweisende Autobiografie auf Englisch raus
Die Autobiografie des offen schwulen Ludovic-Mohamed Zahed ist ein Jahrzehnt nach der französischen Erstausgabe nun auch auf Englisch erhältlich. Der Autor versucht darin, seine Sexualität und seinen Glauben in Einklang zu bringen.
Es gibt nicht viele offen schwule Imame, nicht ohne Grund: Muhsin Hendricks wurde kürzlich erschossen (MANNSCHAFT berichtete).
Der heute 48-jährige Ludovic-Mohamed Zahed wurde in Algerien geboren, wuchs später aber in Frankreich in einem Arbeiterklassevorort von Paris auf, als Teil einer Immigrantenfamilie. In «Le Coran et La Chair» (dt. «Der Koran und das Fleisch») beschreibt der Autor seine Erziehung, seinen Weg, als gläubiger Muslim seine sexuelle Orientierung zu akzeptieren, seine Arbeit als HIV- und LGBTIQ-Aktivist. Das Buch wurde in Frankreich 2012 von Max Milo Editions veröffentlicht. Nun folgt, 13 Jahre später, eine englische Übersetzung.
«Ich habe das Buch für mich selbst geschrieben», sagt Zahed im Interview mit dem Magazin britischen LGBTIQ-Magazin Attitude, «aber queere Muslime sind mein Kernpublikum». Dieses Publikum wolle er anfeuern, Kraft und Energie zu investieren, um eine Community aufzubauen und miteinander in Kontakt zu treten.
Selbstzweifel und Erniedrigungen
Zahed selbst merkte mit acht Jahren in Algerien, dass er «anders» war als die Jungen in seinem Umfeld. Er durchlebte eine Phase von Selbstzweifel und Erniedrigungen. Auf der Suche nach Antworten habe er sich auf die Religion gestürzt und ging zu einer ultrakonservativen Koranschule. Dort schmiss man ihn jedoch raus – weil er zu «effeminiert» wirkte.
Er sympathisierte teils mit Islamisten, die 1995 einen Bombenanschlag in Algerien verübt hatten. Und er sehnte sich noch in seinen späten Teenagerjahren und Anfang 20 – inzwischen in Paris lebend – nach einem Glauben, der ihm Stabilität geben könnte. Er outete sich schliesslich gegenüber seiner Familie als schwul und HIV-positiv.
Obwohl sexuelle Minderheiten in den meisten aus Algerien stammenden Familien in seiner Pariser Umgebung kein Thema waren, hätten seine Eltern dennoch den Versuch unternommen, ihn zu verstehen und zu akzeptieren, so Zahed.
Pilgerreise nach Mekka
Nach Phasen, in denen er sich dem Buddhismus zuwandte und durch Tibet reiste, kehrte er nach einer Pilgerreise nach Mekka wieder vollständig zum Islam zurück. Und erkannte, dass – in seiner Interpretation – im Koran nichts steht, was sexuelle, ethnische, politische und Gender-Diversität ausgrenze (MANNSCHAFT berichtete).
Seither hat es Zahed zu seiner Lebensaufgabe gemacht, Homosexualität und den Islam miteinander in Einklang zu bringen. Er gründete die Gruppe Homosexuelle Muslime in Frankreich (HM2F) im Jahr 2010. Ein Jahr später heiratete er seinen aus Südafrika stammenden Ehemann Qiyaammudeen Jantjies-Zahed in Kapstadt. Als sie ihre Ehe später als religiöse Zeremonie von einem Imam neu schliessen liessen, sorgte das für Schlagzeilen.
Schlagzeilen machte auch der erste «inklusive» Gebetsraum in Paris, den er mitgründete und den es nach wie vor gibt. Später eröffnete Zahed das CALEM Institut in Marseille, wo Imame – sowohl männliche als auch weibliche – ausgebildet werden um progressivere und auch feministische Werte zu vermitteln. 2017 strahlte der TV-Sender arte eine Reportage über seine Arbeit aus.
«Die meisten Muslime sind ziemlich offen»
Wie Zahed im Interview mit Attitude sagt, seien viele innerhalb der muslimischen Gesellschaft «sehr offen», besonders hier in Europa. «Auch wenn einige ältere Menschen vielleicht eher konservativ sind und auch wenn manche junge Personen ein bisschen extrem radikalisiert sind. Aber die meisten Muslime sind ziemlich offen.»
Zahed lebt inzwischen selbst in Marseille und hofft, dass die englischsprachige Ausgabe seines Buchs die Themen, die er darin diskutiert, einem breiteren Publikum zugänglich macht. «Mein Ratschlag an junge queere Muslime ist: sie sollten sich immer mit Menschen verbinden, die mit den gleichen Themen beschäftigt sind. Zusammen sind wir stärker.»
In seinem Debütroman «Paradiesstrasse» macht Sina Kiyani auf das Leid homosexueller Männer im Iran aufmerksam. Seit der islamischen Revolution wurden dort zwischen 4000 und 6000 schwule Männer hingerichtet (MANNSCHAFT berichtete).
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