«Das Thema Islam und LGBTIQ legen wir nicht ad acta»
Seyran Ateş im Interview
Die LGBTIQ-freundliche Moschee in Berlin bleibt zu. Grund sind Informationen über mögliche Anschlagsrisiken im Zusammenhang mit IS-Terroristen aus Tadschikistan (MANNSCHAFT berichtete). Diese seien zwar inzwischen in Haft. Dennoch könne die Moscheegemeinde nicht weitermachen, als sei nichts passiert, erklärte Gründerin Seyran Ateş.
Seyran, die Ibn Rushd-Goethe Moschee ist jetzt erstmal geschlossen, bis Ende 2024. Wie plant Ihr denn jetzt? Wir haben alle verstärkte Angst. Darum haben wir jetzt erstmal die Entscheidung getroffen, keinen offenen Betrieb mehr zu haben. Am letzten Sonntag haben wir uns getroffen und besprochen, wie wir weitermachen können. Noch haben wir keine endgültige Lösung, weil wir ein über Monate tragbares Konzept benötigen. Bis dahin machen wir unsere Arbeit zum grossen Teil wie beim Corona-Lockdown.
Ihr seid online aber weiter erreichbar und setzt Eure Arbeit fort. Ja, Die Anlaufstelle Islam und Diversity, vor allem das Thema Islam und LGBTIQ, werden wir nicht ad acta legen, ganz sicher nicht. Erst recht nicht, weil es genau dieses Thema ist, warum der Islamische Staat nun auf uns aufmerksam wurde. Solange wir uns «nur» mit Frauenrechten beschäftigt haben, gab es einen bestimmten Grad an Anfeindungen und Drohungen. Aber mit dem Einsatz für LGBTIQ-Rechte innerhalb des Islams stiegen die Anfeindungen signifikant und brachen förmlich durch die Decke. Die Anfeindungen sind auch in der islamischen Welt sehr viel mehr verbreitet worden. Sowas zu hören wie «Homosexualität ist im Islam nicht verboten» oder «Liebe ist halal», macht gewisse Leute wahnsinnig.
Wir werden bedroht, weil wir uns für LGBTIQ-Rechte einsetzen. Da kommt der grösste Hass her. Aus der Ecke derer, die heteronormativ und binär in zwei Gendern denken. Darum rufe ich allen linken und liberalen Gender-Aktivisten zu: Wo bleibt Ihr denn, wenn Islamisten sagen, es gibt nur zwei Geschlechter, nämlich Mann und Frau. Alle, die uns täglich als Gender-Sprachpolizei quälen – und ich sage das als Feministin, die selber darauf aufpasst, dass ich Rechtsanwältin genannt werde. Die grosse Gruppe der Gender-Gesteuerten ist, was Islamisten betrifft, ziemlich blind. Die sind alle nicht da, wenn Muslime gegen LGBTIQ hetzen. Wenn Muslime ihre heteronormativen Vorstellungen verbreiten, dann ist das «deren Kultur» oder «deren Religion».
Haben die Menschen, mit denen du in der Gemeinde arbeitest, Angst? Musst du befürchten, dass jemand geht? Alle in der Gemeinde und jene, die ehrenamtlich für uns tätig sind, sagen: Jetzt erst recht, wir hören nicht auf! Die sind alle noch da, und ich glaube sogar, wenn wir es finanziell hinbekommen, dass noch mehr Leute für uns arbeiten werden. Ich bemühe mich gerade darum, dass wir uns eher noch vergrössern.
Erfahrt Ihr momentan Solidarität, aus Deutschland oder auch international? Tatsächlich bekommen wir auch sehr viel mehr auf Zuspruch, nicht nur Anfeindungen. Stana Iliev, die Berliner Kampagnenmanagerin von AllOut, hat sich gemeldet, der Berliner CSD-Verein, wo ich im Vorstand bin. Bastian Finke von Maneo hat sofort eine Solidaritätserklärung abgeben. Die Superintendentin vom Kirchenkreis Berlin Mitte hat sich gemeldet und auch aus dem Kirchenkreis, wo sich unsere Moschee befindet, gibt es sowieso Solidarität. Aus der Politik melden sich immer Personen, die nachfragen, wie wir weitermachen könnten. Auch von Menschen, die unsere Arbeit in den letzten 6 Jahren persönlich kennengelernt haben, wie z. B. Lehrerinnen und Lehrer, die allein oder mit ihren Klassen uns besucht haben, melden sich liebevoll und ermutigend. Von Leuten, die über die Bombendrohung gelesen oder gehört haben, ohne dass wir sie vorher kannten, bekommen wir herzliche Mails. Sie schreiben: Macht weiter, hört nicht auch. Ihr seid so wichtig!
Wie sieht es auf politischer Seite aus? Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner war im Mai bei Eurer Hissung der Regenbogenflagge. Ich habe Kai Wegner wiederholt bei Veranstaltungen getroffen. Er sagt immer: Du weisst, wir stehen hinter dir. Er muss das gar nicht wiederholen, ich glaube ihm. Auch die Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch hat gefragt: Was können wir tun, damit Ihr weitermachen könnt? Das ist etwas, was ich bei früheren Anfeindungen, etwa im letzten Jahr, von Seiten des rot-grün-roten Senats nicht erlebt habe, trotz Anfragen. Wir haben seinerzeit sogar Ferda Ataman (die unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Anm. d. Red.) angeschrieben. Wir wollten hören, was sie sagt. Es kam nur der Hinweis, dafür sei sie nicht zuständig, wir sollten uns bei den Strafermittlungsbehörden melden. Sie hat nicht mal eine Solidaritätsbekundung abgegeben. Auch vom früheren Senat gab es die nicht nach den Anfeindungen, der jetzige CDU-SPD-Senat steht dagegen hinter uns. Wobei ich das auf die CDU zurückführe, nicht auf die SPD.
In der SPD haben wir nur vereinzelt Unterstützung. Ich führe die Ignoranz unserer guten Arbeit durch grosse Teile der SPD auf die Politik des Raed Saleh und seinen Anhängern in der SPD zurück. Wobei ich keine Vorstellung mehr davon habe, für was und wen die SPD noch steht. Von Links dürfen wir im Allgemeinen keine Unterstützung erwarten. Dennoch möchte ich unterstreichen, dass es einige großartige Linke gibt, die uns immer unterstützt haben, etwa der ehemalige Kultursenator Klaus Lederer.
Wie geht es jetzt weiter mit der Gemeinde? Es könnte aktuell der Eindruck entstehen, dass sich niemand mehr bei uns meldet, weil die vorübergehende Schliessung für offene Veranstaltungen Menschen abschreckt. So ist es nicht. Vorgestern kam wieder eine Anfrage von einem interreligiösen heterosexuellen Pärchen, ob wir die islamische Eheschliessung-Zeremonie für sie machen könnten. Ein Partner ist evangelisch-lutherisch, der andere afghanisch-muslimisch. Standesamtlich sind sie schon verheiratet, aber sie schreiben: „Ihr könnt euch vorstellen, dass wir keinen Imam finden, der uns traut.» Über diese Anfrage habe ich mich sehr gefreut. Und wir hatten weitere Eheschliessungen und Termine für Gruppenbesuche und Schulklassen, die wir auf jeden Fall realisieren werden.
Mit Hass, Anfeindungen und Drohungen habt Ihr schon länger zu tun. Jetzt kommen nochmal zusätzliche Bedrohungen nach den monströsen Angriffen von der Hamas auf Israel. Ihr habt, zusammen u.a. mit «Jehi ˈOr» dem Jüdischen Bildungswerk für Demokratie – gegen Antisemitismus (JBDA), angemessene Sicherheitskonzepte gegen antisemitisch motivierte Übergriffe gefordert. Findest du, dass sich die Moschee-Verbänden in Deutschland klar genug positionieren? Nein. Alles, was ich höre, klingt nach Lippenbekenntnissen und als hätten sie ziemlich viel Kreide gefressen. Denn wenn wir uns z. B. die Übersetzungen türkischer Predigten anschauen, das kursiert gerade alles in Whatsapp-Gruppen, und die türkischen Nachrichten schauen, dann wird gerade sehr viel Antisemitismus verbreitet wird.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser lädt dieses Jahr wieder zur Deutschen Islamkonferenz (DIK) ein. Schwerpunkt: Muslimfeindlichkeit. Und wieder sind problematische Islamverbände mit an Boot, die in den letzten Tagen und Wochen die Chance verpasst haben, die Hamas als das zu verurteilen, was sie ist: eine Terrororganisation.
Wir haben gegenwärtig ein gewaltiges Antisemitismus-Problem auf deutschen Strassen, das Jüdinnen und Juden Angst macht. Der Antisemitismus in der muslimischen Community gehört auch auf die Tagesordnung. So oder so ähnlich haben Menschen mit einem gewissen Einfluss unsere Kritik der Bundesinnenministerin vorgetragen. Nun wird auf der DIK auch ein wenig über Antisemitismus gesprochen.
Aber insgesamt gesprochen duckt sich auch diese Regierung weg vor dem Problem mit dem politischen Islam und innermuslimischen Konflikten und spricht wieder mit den alten üblichen Verdächtigen, von denen wir – aus meiner Perspektive – nichts Gutes für die Demokratie zu erwarten haben. Die Diyanet (staatliche Einrichtung zur Verwaltung religiöser Angelegenheiten in der Türkei, Anm d. Red) agiert hier mit dem verlängerten Arm der DITİB (die grösste sunnitisch-islamische Organisation in Deutschland, Anm d Red.). Es wäre mehr als naiv, ich würde sogar sagen, sehr fahrlässig, mit diesen Menschen weiter zusammenzuarbeiten. Sie sind in meinen Augen verantwortlich dafür, dass sich eine Parallelgesellschaft mit islamischer Identität gefestigt hat, in vielen Regionen des Landes sind es gar Gegengesellschaften geworden. Aber Feinde der Demokratie werden weiter hofiert.
Das Thema Integration, Einwanderung und der Umgang mit Gefährdern beschäftigt dich schon lange. Jetzt will die deutsche Bundesregierung schneller und mehr abschieben. Was hältst du von dieser Ankündigung? Ich bin immer dafür, dass man etwas tut. Es sollte jedoch realistisch und umsetzbar sein. Wenn man sich diese Massnahmen konkret anschaut, sehe ich da aber den Erfolg nicht. Weil allen bewusst ist, dass sehr viele Länder diese Menschen nicht haben wollen. Bei vielen wissen wir gar nicht, wohin man sie abschieben könnte. Eine erhebliche Anzahl der Geflüchteten aus bestimmten Ländern haben absichtlich ihre Pässe verbrannt und falsche Angaben gemacht, weil sie wissen, dass sie nur auf diese Art und Weise in Deutschland bleiben können. Wir wissen, dass diesbezüglich sehr viel Lug und Trug mit im Spiel war. Dies geht alles zu Lasten derer, die ehrlich sind und berechtigterweise Zuflucht bei uns suchen. Die Mehrzahl derer, die sich illegal bei uns aufhalten bringen im Gegensatz zu den wirklich verfolgten und ehrlichen Geflüchteten ein Moral- und Politikverständnis mit, dass absolut nicht zu unseren Werten und Staatsverständnis passt. Es gibt eine sehr hohe Kriminalitätsrate in genau diesen Gruppen sowie massive Integrationsprobleme, aber vor allem ein Demokratieproblem.
Man sollte mal nachfragen, ob alle betroffenen Behörden und Berufsgruppen überhaupt in der Lage sind, das umzusetzen, was die Politik in Talkshow gerne eifrig verbreiten, wenn es zu eng um ihr politisches Image wird.
Zugleich sage ich: Langfristig brauchen wir gut gesteuerte und geregelte Zuwanderung. Wir brauchen eine vernünftige Zuwanderungspolitik und nicht nur Lippenbekenntnisse Deutschland als Einwanderungsland zu bezeichnen, sondern Gesetze, in denen sich dies abbildet und Forderungen und Förderungen für alle, die in Deutschland leben und arbeiten wollen.
Es gibt Menschen, die das Gefühl haben, sie könnten im Moment nicht für das Leid der Palästinenser, das es ja auch gibt, ihre Anteilnahme ausdrücken. UN-Generalsekretär Guterres hat viel Kritik bekommen, weil er gesagt hat, der Angriff der Hamas komme «nicht aus dem Nichts». Wie siehst du das: Warum ist diese Kontextualisierung ein Problem? Die aktuelle sogenannte Kontextualisierung ist Teil des Problems wie auch die verlogenen und heuchlerischen Sonntagsreden und politischen Einordnungen des Nahost-Konflikts. Sie dienen in meinen Augen wieder nur dem Antisemitismus, der viel verbreiteter ist, als zugegeben wird. Ich finde die Äusserungen des Generalsekretärs ganz ehrlich sehr problematisch. Vor allem in seiner Position. Ich erwarte diesbezüglich eine Aufklärung, damit man seine Intension und Motive besser einordnen kann.
Ich kann allen sogenannten Antifa, Linken und Liberalen und queeren Menschen, die auf Demos gehen und «Free Palestine!» rufen, zurufen: Geht einfach mal dorthin, in den Gaza-Streifen, ins Westjordanland und überall da, wo der Islam hauptsächlich regiert. Wie sieht es dort mit den Menschenrechten, Frauenrechten und LGBTIQ-Rechten aus? Wie gross ist die Chance als Hamas-Terrorist offen schwul zu leben? Würde es sich um eine rechte deutsche Terrororganisation handeln, würde man sich all die Fragen stellen. Warum stoppt das politische Hirn bei Islamisten?
Ich lehne mich mal so weit aus dem Fenster, zu sagen, dass mindestens 80% der Muslime, die auf den «Pro-Hamas»-Demos mitlaufen, die Einführung eines Kalifats unter Scharia-Gesetzen wünschen. Aus diesem Grunde ordne ich sie zu den rechten Islamisten ein, vor denen auch wir säkularen und demokratischen Muslime Angst haben.
Wie geht es dir gerade persönlich? Mein Seelenzustand ist eine Achterbahnfahrt. Es kommen Nachrichten rein wie: «Jemand sollte euch alle enthaupten.» Oder: «Brandstiftung bei Euch würde mich nicht traurig machen». Also, Hass und Beschimpfungen wie gehabt. Mich nennt man «Hurentochter» oder «Hure». Das Wort höre ich, seit ich klein bin. Ich habe es lange nicht verstanden, als Kind erst recht nicht.
Du sagst das mit einem leisen Schmunzeln. Verletzen dich diese Beleidigungen noch? Ich bin persönlich dagegen immun geworden. Es gab Zeiten, da war ich ganz am Boden zerstört, ich krauchte regelrecht vor Betroffenheit und Verletztheit. Ich war nervlich am Ende und konnte das alles rational gar nicht bewältigen. Ich habe erlebt, wie es ist, Unwahrheiten über mich zu lesen, Gemeinheiten – dazu noch diese konkreten Drohungen, fast immer aus der Anonymität heraus. Es sind ja alles Feiglinge, die anonym schreiben.
Ich habe mich damit beschäftigt, was Menschen dazu bringt zu sagen, sie wollen mich enthaupten.
Heute habe ich so eine Schutzblase, einen Panzer. Denn ich habe mit der Zeit erkannt: Ich bin gar nicht die Adressatin dieser Nachrichten. Ich habe mich damit beschäftigt, was Menschen dazu bringt zu sagen, sie wollen mich enthaupten. Wenn ich mir genau angucke, wofür die Menschen mich töten wollen, dann ist es meine politische Arbeit für die Gleichberechtigung der Geschlechter, für LGBTIQ-Rechte, gegen Zwangsheirat, Ehrenmorde und häusliche Gewalt. Ich kann es an fünf Fingern abzählen, das sind die Hauptthemen, alles andere kann man subsumieren. Und es ist vor allem das LGBTIQ-Thema, das diese Leute so sehr triggert.
Für meinen Einsatz in diesen Bereichen wollen solche Menschen mich töten. Ich habe Ihnen nicht ihr Eigentum weggenommen, ich habe niemanden körperlich angegriffen oder habe ihnen wegen ihrer politischen Meinungen gedroht. Ich weiss, was ich nicht gemacht habe. Dies alles habe ich mir in den letzten 17 Jahren sehr intensiv bewusst gemacht. Und deshalb habe ich es geschafft, mir eine dicke Haut zuzulegen: Heute im Jahr 2023, und natürlich mit dem Luxus des Personenschutzes, kann ich sagen: Es verletzt mich schon lange nicht mehr. Mein Schutzschild wird immer dicker, weil ich Tag für Tag schöne Nachrichten bekomme und kein Tag vergeht, an dem ich einem Menschen helfe seine Probleme zu lösen oder der Lösung seiner Probleme näher zu kommen.
Ich frage mich am Ende immer wieder nur: Mein Gott, was habt Ihr hasserfüllten armen Menschen für ein Problem mit Eurer Sexualität oder mit Eurem Menschsein, Euren zwischenmenschlichen Beziehungen? Dass Ihr einer Frau wie mir bei jeder Gelegenheit zuruft: diese Hure! Definiere «Hure»! (lacht)
Die libanesischen Behörden greifen Menschenrechtler*innen zufolge systematisch die grundlegenden Menschenrechte von LGBTIQ an (MANNSCHAFT berichtete).
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