«Ich möchte leben!» – Lesbisches Drama bewegt Wien
Das Musical «Briefe an Ruth» entwickelt sich zum Publikumshit
Leider gibt es viel zu wenig lesbische Musikstücke. In der Wiener Kammeroper wird gerade das Musical «Briefe an Ruth» aufgeführt.
Der Inhalt ist traurig: Es geht um Ruth Maier, die vor den Nazis von Wien nach Norwegen floh. Doch das Glück währte nur kurz. Denn die Nazis marschierten 1940 in Norwegen ein. Damit war das Schicksal der jüdischen und lesbischen Frau besiegelt.
Gleich zu Beginn des Musicals wird auf das tragische Ende verwiesen, als Ruth in Oslo von den Nazis festgenommen wird. Auch das imposante Bühnenbild mit einem umgekipptem Viehwaggon macht während des gesamten Stücks deutlich, dass Ruth den Nazi-Schergen nicht entkommen konnte. Die Nazis haben Jüd*innen wie Ruth wie Tiere im Viehwaggon in ein Konzentrationslager gebracht. Ruth wurde 1942 im Alter von nur 22 Jahren in Auschwitz ermordet.
Trotzdem ist das Musical nicht nur traurig, sondern auch abwechslungsreich. Das Stück enthält Tanzeinlagen und mitreissende Lieder mit Ohrwurmpotenzial. Denn das Leben von Ruth hatte auch schöne Phasen wie die Kindheit und Jugend in Wien, wo sie beispielsweise ins Burgtheater ging.
In Norwegen lernte sie ihre Freundin Gunvor Hofmo kennen. Daraus entwickelte sich die grosse Liebe. Die Frauen genossen romantische Momente, dazwischen fühlte sich Ruth auch einsam. Sie war in Norwegen weit weg von ihrer Familie und ahnte, was auf sie zukommen wird.
In dem Musical ist Gunvor zunächst eine Erzählerin, die am Rande steht. Dann wird sie immer mehr Teil der Handlung. Den Sängerinnen Emily Mrosek (als Ruth) und Dorothea Maria Müller (als Gunvor) gelingt es hervorragend, die vielfältigen Charaktere zu verkörpern.
Als Ruth in Wien zur Schule ging, schrieb sie im Alter von 14 Jahren in ihr Tagebuch: «Ich möchte leben! Und etwas hinterlassen, ein Dokument, dass ich da war. Ein grosses, schönes Werk.» Das grosse Werk ist ihr gelungen. Ruth hat während ihres kurzen Lebens viele Tagebücher und Briefe geschrieben.
Diese befanden sich im Nachlass ihrer Freundin Gunvor Hofmo. Die Tagebücher wurden in Norwegen erstmals 2007 veröffentlicht und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Ruth hat in ihren Tagebüchern auch Träume, Phantasien und Märchen festgehalten. Diese werden in dem Musical zu musikalischen Szenen umgearbeitet.
«Ich schreibe nicht Tagebuch, um ‹Reflexionen› niederzuschreiben ... Ich schreibe, um Gefühle auszulösen, die mich sonst ersticken würden»
Ruth Maier
Das Schreiben der Briefe und Tagebücher hat Ruth geholfen, um mit ihren Gefühlen klarzukommen. «Ich schreibe nicht Tagebuch, um ‹Reflexionen› niederzuschreiben, geistreiche Gedanken zu verewigen. Ich schreibe, um Gefühle auszulösen, die mich sonst ersticken würden», betonte Ruth. Auch ihre intensiven Gefühle zu Gunvor werden in den Tagebüchern festgehalten. «Gunvor ist hinter allem, was ich tue. Meine Liebe zu ihr füllt mein ganzes Sein. Ich glaube nicht, dass ich je jemanden so geliebt hab' wie sie», schreibt Ruth.
Auf Grundlage der Briefe und Tagebücher hat der norwegische Komponist Gisle Kverndokk das Musical verfasst. Das Stück zerre «an unseren Nerven, weil das Werk wie eine Oper gnadenlos die ganze Tiefe der Figuren auslotet», sagt Philipp Moschitz, der in Wien Regie führt.
Nach der erfolgreichen Uraufführung 2023 in Gmunden wurde das Stück «Briefe von Ruth» beim Deutschen Musicaltheaterpreis mit vier Preisen ausgezeichnet. Auch in Wien entwickelt sich das Stück zum Publikumshit. Viele Vorstellungen sind ausverkauft.
«Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann» startet in den Schweizer Kinos. Hauptdarsteller Sebastian Schneider setzte sich intensiv mit der komplexen Persönlichkeit des Schriftstellers auseinander (MANNSCHAFT berichtete).
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