Vom Idol zum Menschen: Thomas Mann als «Hochstapler» in neuem Film

Sebastian Schneider in «Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann»
Sebastian Schneider in «Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann». (Bild: Vinca Film)

«Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann» startet in den Schweizer Kinos. Hauptdarsteller Sebastian Schneider setzte sich intensiv mit der komplexen Persönlichkeit des Schriftstellers auseinander.

Der Film «Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann» gewährt einen tiefen Einblick in das Leben des gefeierten Schriftstellers und beleuchtet die komplexe Beziehung zwischen ihm und seiner literarischen Figur Felix Krull. Während Krull als charmanter Hochstapler die Elite verführt und täuscht, ringt Thomas Mann mit seinen inneren Konflikten, seiner Sehnsucht nach Anerkennung und dem Druck, die Rolle des perfekten Familienvaters zu spielen.

Der Film verwebt geschickt Originalzitate mit fiktionalen Szenen und zeigt auf humorvolle, aber auch ernste Weise, wie Manns literarisches Alter Ego Krull seine eigene Identität inszeniert. Dabei wirft der Film die Frage auf, wie sich die Themen Selbstinszenierung und Identität im Leben des Schriftstellers spiegeln. Wir erhalten einen neuen Blick auf den Menschen hinter dem Mythos und den Hochstapler in uns allen.

Sebastian, wie hast du dich auf die Persönlichkeit von Thomas Mann vorbereitet? Sehr stark anhand des Buches «Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull» und der Grundidee des Films. Hätte ich versucht, mich vollständig auf Thomas Mann vorzubereiten, hätte ich mich in seiner Biografie verloren. Sein Leben ist lang und gut dokumentiert. Mein Zugang war daher emotional. Eine zentrale Idee war für mich die Spannung zwischen der Sehnsucht nach einem Leben, das man gerne führen würde, und der Unmöglichkeit, es zu leben. Diese Dynamik zieht sich durch den ganzen Film und darauf habe ich mich konzentriert.

Welche Emotionen hattest du zu Beginn der Arbeit? Als ich das Drehbuch im Frühling 2023 bekam, hatte ich riesige Ehrfurcht. Das erste Gefühl war Angst – Angst vor dem Scheitern, aber gleichzeitig eine grosse Freude auf diese Herausforderung. Thomas Mann ist eine Ikone, viele Menschen haben ein festes Bild von ihm. Mein Ziel war es herauszufinden, was uns heute an dieser Geschichte interessieren kann. Während der Dreharbeiten sind wir dann gemeinsam in einen Flow gekommen, der uns getragen hat. Das war sehr schön. Ich habe mich gezielt und emotional mit seinen Texten auseinandergesetzt und wollte mit meiner Stimme seine Sprache so transportieren, dass sie auch heute noch berührt.

«Thomas Mann war nicht nur das patriarchale Familienoberhaupt, sondern auch ein zweifelnder Künstler, ein Mann, der an seinen Sehnsüchten und der Welt verzweifelte.»

Sebastian Schneider

Wie viel von Thomas Mann steckt in Felix Krull? Unsere Perspektive im Film ist, dass Felix Krull eine Figur der grossen Freiheit ist. Er kann sich jeden Tag neu erfinden, sowohl in seinem Selbstbild als auch in der Liebe. Ich fand es faszinierend, dass Thomas Mann über 50 Jahre an diesem Roman schrieb. Es wirkte, als hätte er alles, was er nicht leben konnte oder wollte, in diese Figur projiziert.

Seine lange Arbeit am Roman hatte also mit dieser inneren Zerrissenheit zu tun. Ja durchaus. Mich interessieren widersprüchliche Figuren. Thomas Mann war nicht nur das patriarchale Familienoberhaupt, sondern auch ein zweifelnder Künstler, ein Mann, der an seinen Sehnsüchten und der Welt verzweifelte. Seine Tagebücher zeigen, dass viele seiner Figuren entstanden sind, weil er verliebt war. Diese Zartheit und moderne Sensibilität finden sich besonders im Krull wieder und haben mich als Schauspieler interessiert.

Gegen aussen war Thomas Mann der heterosexuelle Familienmann, innerlich kämpfte er mit homosexuellen Gefühlen. War alles nur eine Show? Definitiv war Mann ein grosser Meister des Selbstinszenierung – genau wie Felix Krull. Im Film eröffnen wir einen Raum für seine Sehnsüchte und stellen immer wieder die Frage: Was wäre gewesen wenn?

Hattest du überhaupt überlegt, die Rolle anzunehmen? Wenn die Angst am grössten ist, weiss ich, dass ich es machen muss. Das war hier der Fall.

Wie hat sich dein Bild von Thomas Mann durch den Film verändert? Gänzlich. Vorher war er für mich eine unantastbare Statue, ein brillanter Autor mit feiner Ironie. Durch die Arbeit am Film wurde er menschlicher: ein Mann, der Angst vor dem Scheitern hatte, der sich verliebte, aber nicht dazu stehen konnte, der zwischen Ekel und Liebe zur Welt schwankte. Ich habe das Gefühl, ihm sehr nahe gekommen zu sein.

Gab es Momente aus Thomas Manns Biografie, die du besonders erforscht hast? Seine politische Entwicklung war spannend: Anfangs unpolitisch, später im Exil eine wichtige Stimme gegen den Nationalsozialismus. Und dann die persönlichen Aspekte: seine Sehnsüchte, seine unerfüllte Liebe, seine banalen Alltagsprobleme wie Schlafstörungen oder Verdauungsbeschwerden. Diese Gegensätze haben mich besonders interessiert.

Welche Dreharbeiten sind dir besonders in Erinnerung geblieben? Ich hatte das Glück, an unglaublichen Orten zu drehen, zum Beispiel in Thomas Manns Arbeitszimmer in Pacific Palisades in L.A. Besonders eindrucksvoll war ein Tag im Tonstudio, an dem ich 10 bis 11 Stunden am Stück Texte einsprach. Ich kam heraus und wusste: Das ist ein unglaubliches Glück, diesen Beruf ausüben zu dürfen.

«Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann»
Schauspieler Sebastian Schneider: «Thomas Manns Themen sind zeitlos.» (Bild: Vinca Film)

Der Film wirkt sehr reduziert, fast intim. Wie war die Arbeit mit so einem kleinen Team? Das gab uns enorme Freiheit. Besonders die Zusammenarbeit mit Kameramann Janis Mazuch war magisch. Nach ein paar Wochen atmeten wir fast synchron, unsere Bewegungen harmonierten intuitiv. Das war eine sehr persönliche Erfahrung.

Die Kostüme und das Make-up hatten moderne Elemente. Mit Flauschjacke in Pink und lackierten Fingernägeln spazierst du durch Paris. Die Zusammenarbeit mit Kostümbildnerin Lara Marie Kainz und Make-up-Artistin Lisa Sophie Neumann war auf ganzer Linie kreativ und bereichernd. Sie haben mir einen Safe Space gegeben, in dem ich mich ausprobieren konnte, und gemeinsam mit mir die Figuren erschaffen. Filme sind Teamarbeit, und ohne dieses Team wäre der Film nicht entstanden.

Wie würde Thomas Mann heute über die Gesellschaft denken? Wahrscheinlich wäre das die Frage, die ich ihm als erstes stellen würde, wenn ich ihm begegnen könnte. Seine Themen sind zeitlos. Er würde sich sicher in modernen Diskussionen wiederfinden. Er würde sich entschieden gegen jede Form von rechtsradikalem Gedankengut stellen und sich für Humanismus, Freiheit und Demokratie einsetzen.

«Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann» ist ab 6. März in den Schweizer Kinos zu sehen. In Deutschland lief der Film bereits und wird demnächst auf Streaming verfügbar sein.

Mehr: Für die schwule romantische Komödie «A Nice Indian Boy» gibt es einen ersten Trailer. Der Film mit Jonathan Groff und Karan Soni kommt im April in die US-Kinos (MANNSCHAFT berichtete).

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