Nico Stank: «Ich habe mir selbst nicht mehr vertraut»
Der auftstrebende Comedian im persönlichen Gespräch
Nico Stank ist Musical-Darsteller, Comedian und Schauspieler. Er hat einen Blitzaufstieg hingelegt. Warum er dennoch an sich zweifelt.
So war es nicht geplant. Theateraufführung der vierten Klasse, die Halle ist voll besetzt. Eltern, Grosseltern, Geschwister, alle starren auf das Mädchen, das ausgestreckt auf der Bühne liegt. Sie ist gestolpert und der Länge nach auf den Boden geknallt. Was jetzt?
Der 10-jährige Nico Stank tritt vor. Er spielt einen Müllmann mit Besen und Warnweste. «Jetzt werfen die hier den Müll schon auf die Strasse!», ruft er, dann fegt er das Mädchen weg. Sie spielt mit und rollt beiseite. Das Publikum lacht. Besser hätte es nicht laufen können.
«Das Schauspielen war mein Safe Space.»
Nico Stank
Das war deine erste Improvisation. Wie hat sich dein Leben nach diesem Moment verändert? Mein Traum war es immer, Schauspieler zu sein – ich hatte nie einen anderen. Deswegen hat mir Theater so Spass gemacht. Manche sind auf der Bühne nervös, ich war nie aufgeregt. Das Schauspielen war mein Safe Space.
Auch bei diesem Theaterstück hatte ich keine Angst, deshalb habe ich den Spruch gesagt. Es hat mich danach schon beschäftigt. Von da an habe ich Situationen nachgeahmt. Ich habe angefangen, Comedians zu parodieren. Wenn Freund*innen meiner Eltern zu Besuch waren, habe ich Sketche vorgeführt.
Aus was für einem Elternhaus kommst du? Ich bin Einzelkind und hatte Glück, viel erleben zu dürfen. Wir waren oft im Theater und im Musical. Meine Eltern haben viel gearbeitet, damit wir jeden Winter in den Urlaub fliegen konnten. Meine Mutter hat eine Boutique eröffnet und sonntags an einem Marktstand Kränze und Kleidung verkauft. Mein Vater hat die ganze Woche auf der Deponie gearbeitet. Jeden Montag ist er in den Grossmarkt gefahren, um Waren für die Boutique und den Marktstand zu kaufen.
Hattest du als Kind das Gefühl, gesehen zu werden, oder musstest du dich beweisen? Vorgestern habe ich meine Erinnerungskiste gefunden. Darin sind viele Karten meiner Eltern. Mein Vater war oft auf Montage und hat mir Briefe hinterlassen. «Denk an den Test» und «Ich hab dich lieb». Jeden Abend hat er mir zum Einschlafen vorgesungen.
Ich hatte einen Kassettenrekorder von «König der Löwen». Wenn mein Vater auf Montage war, hat er die Lieder zuvor extra auf dem Kassettenrekorder eingesungen, damit ich sie jeden Abend hören konnte. Ich hatte eine liebevolle Kindheit. Meine Eltern haben mich immer gefördert und unterstützt. Mein Vater war auch derjenige, der gesagt hat, ich soll doch Musical-Darsteller werden. Eigentlich wollte ich gar kein Musical machen.
Ich: Schauspiel Sie: Das geht nicht Ich: Und Tanz? Sie: Ne, das haben die da nicht so Ich: Äh, dann Fotografie? Sie: Ne, das geht auch nicht
Es war immer dein Traum, Schauspieler zu werden. Trotzdem bist du auf die «Stage School» in Hamburg gegangen, eine private Schule für Musical-Darsteller*innen. Warum? Ich habe früher in einer Latein-Formation getanzt und war Teil des Jungen Ensembles im Schauspielhaus Bochum. Ich wollte Schauspieler werden, doch mein Papa meinte, mach doch Musical. Wir gehen doch so oft ins Musical und du tanzt doch auch so gerne. Also habe ich mich für Musical entschieden.
Fiel dir die Entscheidung schwer? Die fiel mir nicht schwer, weil es trotzdem ein kreativer Beruf ist. Musical verbindet Gesang, Tanz und Schauspiel. Mein Papa meinte, warum eins machen, wenn man auch drei machen kann.
Wie wichtig ist dir der Rat deines Vaters? Der war mir immer wichtig. Ich mache nichts, ohne zu Hause zu fragen, was meine Eltern darüber denken. Sie haben mich immer unterstützt und ich weiss, ich kann mich auf ihren Rat verlassen. Ich bin generell eine Person, die immer alle fragt.
Wenn ich etwas mit einem Typen habe, muss ich das mit fünf Leuten besprechen. Ich glaube, das liegt daran, dass ich oft nicht auf mein Bauchgefühl gehört habe. Zum Beispiel: Zu Abi-Zeiten konnten wir ein Praktikum in London machen. Wir wurden von der Lehrerin gefragt, was für ein Praktikum wir machen wollen.
«Das Kreative wurde immer belächelt. Für Aussenstehende war das kein richtiger Job.»
Nico Stank
Das Kreative wurde immer belächelt. Für Aussenstehende war das kein richtiger Job. Deswegen habe ich oft an mir gezweifelt. Ich habe immer eine Meinung eingeholt, weil ich mir selbst nicht mehr vertraut habe.
Deine Musical-Ausbildung ging über drei Jahre. Hast du darüber nachgedacht, doch noch auf eine Schauspielschule zu gehen? Im letzten Jahr habe ich mich für die «Ernst Busch» beworben. Ich war auch beim Vorsprechen, das war kurz vor der Abschlussprüfung. Zu dieser Zeit hatte ich schon erste Musical-Jobangebote. Ich konnte auf die Bühne, ich konnte jetzt Geld verdienen mit dem, was mir Spass machte. Da fand ich es unlogisch, nochmal vier Jahre Schauspiel zu studieren. Ich blieb beim Musical.
Manchmal kommt er heim und seine ganze Wohnung ist umgestellt. Die Untermieterin hat das «Fühl dich wie zuhause» mal wieder zu ernst genommen. Monatelang ist er nicht da gewesen. Er lebt aus einem orangenen Koffer mit nur zwei Rollen. Den hat er nach Wien geschleppt, nach Dortmund, Gelsenkirchen, Essen und Hamburg. Überall dahin, wo es freie Musical-Rollen gibt. Die Proben beginnen meist um zehn und enden, wenn er Glück hat, gegen 18 Uhr, ansonsten um Mitternacht. Seine Eltern kommen zu jeder Premiere und weinen vor Stolz.
Dann hast du dich vom Musical abgewandt. Warum? Ich bin mit meinem Papa oft im Kino gewesen. Am Ende habe ich immer fast geweint, weil ich mir so gewünscht habe, dass irgendwann mein Name im Abspann steht. Beim Musical hat Schauspiel nicht die höchste Priorität. Das fehlte mir. Ich wollte vor die Kamera. Manchmal hatte ich Castings – für «Pfefferkörner» und sowas. Ich konnte aber keine Rollen annehmen, weil ich Sperrtermine vom Musical hatte. Das Musical versperrte mir den Weg, Schauspieler zu werden. Dazu kam, dass meine Stimme nur normal war. Bei den Hauptfiguren steht der Gesang an erster Stelle. Ich war immer nur der Lustige – nicht die Heldenfigur. Ich wusste, ich würde nie Hauptrollen bekommen. Deswegen habe ich aufgehört.
Das stimmt nicht. Beim Musical «Yakari» hattest du eine Hauptrolle. Warum zweifelst du so an dir? Das ist schon immer so gewesen. Ich glaube das kam, weil alle anderen an mir zweifelten. Ich wurde von den Leuten nie für voll genommen, wenn ich sagte, ich werde Schauspieler. Ich hatte den Traum, erfolgreich zu sein. Die Leute belächelten das. Dann wurde ich 30 und dachte: Habe ich eine falsche Selbstwahrnehmung? Bin ich der Einzige, der an mich glaubt? Natürlich wusste ich, dass meine Eltern an mich glauben und mich unterstützen. Aber wer schafft es schon berühmt zu werden? Irgendwann dachte ich: Vielleicht schaffe ich es nicht.
Wie ging es weiter? Ich habe alles versucht, um meinem Ziel näher zu kommen. 2016 hatte ich meinen ersten Stand-up-Auftritt. Ich habe nur mit Stand-up angefangen, weil ich hoffte, erfolgreich zu werden und so in Filmrollen zu rutschen. Carolin Kebekus und Chris Tall spielen ja auch in Filmen mit. Ich dachte, wenn ich es auf dem normalen Weg nicht schaffe, dann vielleicht über den Umweg Comedy. Zu dieser Zeit hatte ich keine Einnahmen. Ich habe mit dem Synchronsprechen begonnen, um Geld zu verdienen. Mit Musical aufzuhören war total der Geldeinbruch. Ich musste wieder bei Null anfangen.
Du hast dir selbst den Boden unter den Füssen weggezogen. Dazu kam, dass sich meine Schauspielagentur auflöste. Ich bin nie in eine andere Agentur gekommen, weil die meine Stimme komisch fanden. Ich hatte keine Möglichkeit auf Schauspieljobs. 2017 habe ich über ein Portal eine Rolle bei der Serie «Die Spezialisten» bekommen. Das habe ich dann gedreht. Die Rolle war schwul. Ich dachte: Oh mein Gott! Sie haben es entdeckt.
Ich habe immer gesagt, wenn ich Schauspieler sein möchte, darf ich keine Skandale haben. Ich war nie betrunken, habe nie Drogen genommen und dachte, ich darf niemals schwul sein.
Du dachtest, deine Homosexualität ist ein Skandal? Ich habe mich sehr spät als schwulen Mann akzeptiert. Ich habe nicht zu dem gestanden, wer ich bin, mich immer angepasst, damit ich nicht auffalle. Mein erster Freund war geheim. Er durfte niemandem erzählen, dass wir zusammen waren. Ich habe ihm gesagt, dass ich mich in Menschen verliebe. Ich hatte vorher ja auch schon Freundinnen. So habe ich für mich gerechtfertigt, dass es diesmal zufällig ein Mann war. Aber als wir uns das erste Mal geküsst haben, wusste ich sofort: Genau das hat mir in meinem Leben immer gefehlt.
Auftritt im Quatsch-Comedy-Club. Nico Stank witzelt über seine Ex-Freundin. Was niemand weiss: diese Frau, deren Stimme und Aussehen er so ausschweifend beschreibt, existiert überhaupt nicht. Nach der Show nimmt ihn die Künstlerische Leiterin Renate Berger beiseite. «Wie wäre es, wenn du aus deinem echten Leben erzählst?», sagt sie. Er sieht sie an und versteht. Von nun an will er nicht mehr lügen.
Wie war dein öffentliches Coming-out? Ich habe einfach angefangen, über meine Sexualität zu sprechen und keinen Hehl daraus gemacht. Ich habe von meinem Ex-Freund und von Dates erzählt und den Leuten keine Chance mehr gelassen, meine Sexualität zu erraten.
Tour
2025 ist Nico Stank mit seinem Soloprogramm «Akte Ex» in ganz Deutschland unterwegs, eine Show führt ihn nach Österreich: am 22. Mai in Wien.
Termine und Tickets: nicostank.de
Im Podcast «Free Hugs» von Riccardo Simonetti und Anke Engelke erzählst du von einem Ex-Partner, der dir zu dieser Zeit sehr zugesetzt hat. Er sagte immer: Dein Traum geht nie in Erfüllung, du bist peinlich, deine Eltern schämen sich für dich. Ich habe ihm geglaubt, weil er mein Partner war. Selbst als er weg war, fiel es mir schwer, mich zu öffnen. Ich hatte immer im Hinterkopf, dass er vielleicht Recht hatte. Dann habe ich Riccardo Simonetti und Strify kennengelernt und ein neues Umfeld bekommen. Da waren viele Leute aus der queeren Bubble und viele Influencer*innen. Ich wollte jetzt einfach auf mein Bauchgefühl hören – einfach ich sein.
Die Perücke hat er seit Jahren. Sie ist aus dem Fundus des «König der Löwen»-Musicals und hat fünf Euro gekostet. Er weiss, wie witzig er aussieht, wenn er sie falsch herum trägt. Er weiss auch, dass ihm für seine Idee nur ein Kleid und etwas Make-Up fehlen. Ist das zu feminin? Seine Freund*innen sagen: «Mach es, es ist zum Schreien!» Er traut sich und postet ein Video. Nico Stank in der Rolle der Nicola. Eine Friseurin mit sächsischem Dialekt und Hang zu Leomustern. Die Leute lieben sie. Während der Pandemie postet er täglich. Heute hat er über 400’000 Follower*innen auf Instagram.
Zeitgleich mit Social Media bist du in der Comedy-Szene aufgestiegen. 2022 hast du den Comedy-Preis als bester Newcomer gewonnen. Im Juni bist du in der Kölner Lanxess Arena aufgetreten. Ich habe den ganzen Tag geweint, weil ich nicht glauben konnte, dass ich alleine in so einer Arena stehe. Zum ersten Mal war meine ganze Familie da, bestimmt 30 Leute. Ich hatte das Gefühl, danach haben sie mich anders gesehen. Ich dachte, jetzt haben sie verstanden, dass es kein Traum mehr ist.
Dein neues Comedy-Programm heisst «Akte Ex». Wie lange schreibst du schon daran? Ende August habe ich ein Moodboard erstellt. Ich bin jetzt bei 16 Seiten. Das letzte Programm waren 20 Seiten. Immer wenn etwas passiert, schreibe ich es unter dem Betreff «Comedy» in meine E-Mail-Entwürfe. Daraus kann ich schöpfen, und natürlich aus der Vergangenheit. Es gibt viel, über das man erzählen kann.
Über deine Ex-Freunde? Ich weiss noch nicht, ob ich über alle erzähle. Aber ich erzähle mein komplettes Coming-out und von meinem ersten Freund. Das ist das Hauptthema.
In den letzten zwei Jahren konnten wir dich auch im Kino sehen. Unter anderem in «Liebesdings» neben Elyas M’Barek. Lass uns zurück an den Anfang gehen. Wie wäre dein Leben wohl verlaufen, wenn dieses Mädchen beim Auftritt in der vierten Klasse nicht hingefallen wäre? Ich wollte immer Schauspieler sein. Ich glaube, Talent findet einen Weg. In den letzten Jahren habe ich gelernt, dass man dranbleiben muss, wenn man einen Traum hat.
Manche sagen: «Du hattest super viel Glück.» Ja, es gehört eine Portion Glück dazu, aber auch Arbeit. Vor ein paar Jahren noch sass ich mit meinem Ex auf dem Bett. Ich hatte minus 8000 Euro auf dem Konto. Ich dachte: Wie soll ich das alles schaffen? Es muss jetzt funktionieren. Du musst weiter an dich glauben. Wenn du dran bleibst und gut bist, kann es klappen.
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