Lesben sind vielfältig – auch ohne Sternchen

Am Sonntag endet die Lesbian Visibility Week

Foto: Unsplash
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Muss lesbische Identität, wie oft gefordert, vielfältiger gesehen werden? Brauchen Lesben ein Sternchen? Dazu unser Samstagskommentar*.

Seit einigen Jahren wird in Berlin in jedem Jahr der Preis für «Lesbische* Sichtbarkeit» verliehen. Im Rahmen einer feierlichen Zeremonie wurde der Preis in diesem Jahr am 26. April an die Aktivistin Saideh Saadat-Lendle, lange Leiterin des Antidiskriminierungs- und Antigewaltarbeitsbereichs der Lesbenberatung Berlin – LesMigraS, verliehen (MANNSCHAFT berichtete).

Sie ist Psychologin, Diversity-Trainerin und freiberufliche Dozentin zu den Schwerpunkten Mehrfachdiskriminierung, Rassismus, Geschlecht/Gender, sexuelle Lebensweise, Flucht und Queers sowie Sprache und Diskriminierung. Der Preis wurde von der Senatorin für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung, Lena Krec, im Roten Rathaus in Berlin überreicht. Damit wurde sie für ihr Engagement ausgezeichnet, mehrfach ausgegrenzte Lesben sichtbar zu machen. Mit Saadat-Lendle ist eine grossartige Preisträgerin gefunden worden.

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Aber wozu braucht es überhaupt einen Preis für lesbische Sichtbarkeit? Weil Sichtbarkeit das grösste Manko für Lesben ist. Frauen und ihre Bedürfnisse sind in der Gesellschaft bis in die medizinische Forschung unterrepräsentiert. Lesben, Frauen, die Frauen lieben, sind sogar auf mehrfache Weise unsichtbar. Ein Tag reicht dafür wohl kaum aus, um auf die Anwesenheit von Lesben in der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Wir werden gern für «beste Freundinnen», «Single» oder «hoffnungslos untervögelt» gehalten. Alles Quatsch. Zwei Frauen am Tisch warten auch nicht immer auf einen Kerl, der sich zu ihnen setzt. Wir sind auch ungern wahlweise die Leiche oder die psychopathische Mörderin im «Tatort». Kurz: Wir sind mehr als die Hälfte von einem Heteropaar, mehr als ein Buchstabe, mehr als ein Klischee, wir sind lesbisch – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

In den letzten Jahren schlagen wir Lesben uns ein bisschen damit herum, dass der Begriff «lesbisch», das L in LGBTIQ, immer mehr hinterfragt und mit Sternchen versehen wird. Immer wieder wird auch darüber diskutiert, ob der Begriff inklusiv ist. Gehen wir auf den Ursprung zurück, so ist «lesbisch» ein politischer Begriff. Ursprünglich wurden frauenliebende Frauen abfällig als «Lesben» tituliert. Bis heute wird er von Feind*innen frauenliebender Frauen zu gern in den Mund genommen, um sie abzuwerten. Die frühe neue Frauenbewegung hat den Begriff genommen und ihn für sich positiv uminterpretiert und auf ihre Transparente auf Frauendemos geschrieben: «Wir sind Lesben, wir sind viele». Gemeint waren alle frauenliebenden Frauen.

Ich erinnere mich an Plakate mit behinderten, jungen, alten, schwarzen Frauen und Frauen aus anderen Ländern. Gemeint waren alle Frauen, die Frauen lieben. Alle weiteren Aspekte ihrer komplexen Identitäten wurden ebenfalls sichtbar gemacht, aber es waren eben andere Aspekte ihres Daseins. Demnach waren Lesben vielfältig.

Deshalb finde ich die Diskussion, lesbische Identität müsste vielfältiger gesehen werden, manchmal befremdlich. Das L allein ist Vielfalt und Frauenliebe, die immer noch sichtbar gemacht werden muss. Das Sternchen suggeriert aber, dass das Wort eigentlich auf junge, weisse und nichtbehinderte Lesben zutrifft, die erst durch das Sternchen Vielfalt ausdrückt. Für mich nimmt das dem L in LGBTIQ die Kraft und Glaubwürdigkeit. Aber gern würde ich darüber diskutieren – wenn das noch ohne Unterstellungen möglich ist.

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen LGBTIQ-Thema. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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