Homohass und Hetze haben mit Meinungsfreiheit nichts zu tun
«Scheiss-Christ» ist ebenso diskriminierend und menschenverachtend wie «Scheiss-Schwuchtel». Das eine ist gesetzlich verboten, das andere nicht.
Zunehmende Beleidigungen, Pöbeleien und Gewalttaten gegen die LGBTIQ-Community erfordern einen Diskriminierungsschutz. Denn Homohass und Hetze haben in der Meinungsfreiheit nichts verloren. Darum muss am 9. Februar 2020 ein Ja her, fordert Predrag Jurisic im Samstagskommentar*.
«Ach, waren das noch Zeiten, als mein frei gewachsener Schnabel unter der eidgenössischen Sonne noch Spaghettifresser und Scheiss-Jugos rausschnattern konnte, ohne dafür belangt zu werden … Nun will mir der linksgrüne Gesinnungsterror auch noch die Schwuchteln verbieten.» So oder ähnlich mag es im Kopf eines Komitee-Mitglieds zu- und hergehen, das sich gegen die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm einsetzt, über die das Schweizer Stimmvolk am 9. Februar 2020 abstimmt.
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Gemässigtere Genossen des Abstimmungskomitees «Nein zu diesem Zensurgesetz!» finden, die Ausdehnung der Anti-Rassismus-Strafnorm im Art. 261 bis im Strafgesetzbuch sei eine Zensur der kritischen Auseinandersetzung mit der Homosexualität und ein Pseudo-Schutz, weil angeblich schon jetzt genügend Rechtsmittel bestünden, sich gegen Beleidigungen, Pöbeleien und Gewalttaten mit homo- oder transphobem Hintergrund zu wehren. Auch seien gleichgeschlechtlich empfindende Menschen längst gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft: «Sie haben es nicht nötig, per Gesetz zu einer vermeintlich schwachen und schützenswerten Minderheit degradiert zu werden.»
Homohass im Jahr 2019 Und doch sieht die Realität anders aus: Küssende Männer werden mitten in Zürich wegen ihrer sexuellen Orientierung spitalreif verprügelt (MANNSCHAFT berichtete). Ein gläubiger Moslem aus dem Kanton Bern schneidet seinem Sohn die Kehle durch, weil dieser schwul ist (MANNSCHAFT berichtete). Oder erst gerade passiert: GLP-Politiker Michel Rudin und sein Begleiter werden in einem Restaurant in Lyss den ganzen Abend lang wegen ihrer sexuellen Orientierung beleidigt.
Was die Gleichwertigkeit in Sachen Ehe angeht: Auch hier hinkt die gleichgeschlechtlich eingetragene Partnerschaft der Ehe hinterher. Heteropaare werden gegenüber den Homopaaren nach wie vor bevorzugt, weil erstere juristisch keine zusätzlichen Abmachungen via Rechtsanwälte und Notare treffen müssen, um vor dem Gesetz gleich behandelt zu werden und dafür finanziell zur Kasse gebeten werden.
Dann sprengt das Argument mit der «Degradierung als schwache Minderheit» den Rahmen: Was wäre, wenn wir Kinder nicht schützen würden, bloss weil sie bevölkerungstechnisch eine Minderheit bilden? Sind sie deswegen ungleichwertig? Ist ihr Dasein und ihr Leben deshalb weniger wert als eine abscheuliche Gesinnung wie die entsetzliche Hetze in Oppenheim gegen eine trans Frau (MANNSCHAFT berichtete)?
Ganz sicher nicht.
Darum, liebe Referendumskomitee-Mitglieder: Gehören die oben erwähnten Hasstaten unter den Schutzmantel der Meinungs-, Gewissens- und Gewerbefreiheit? Oder zu euren immer wieder gepredigten «christlichen oder abendländischen Werten»?
Die Meinungsfreiheit ist kein Freipass für Hass Die Meinungsfreiheit ist verfassungsrechtlich geschützt. Das soll auch so bleiben und ist für ein demokratisches Zusammenleben wichtig. Was jedoch seit einigen Jahren im gesamteuropäischen Raum Einzug hält, ist die Vorstellung einer Meinungsfreiheit, Minderheiten sprachlich zu entmenschlichen und sie damit minderwertig hinzustellen, um letzten Endes Diskriminierungen oder Gewalttaten gegen sie zu legitimieren.
Wozu das führt, hat der Zweite Weltkrieg mehr als verdeutlicht: Rund 60 Millionen Menschen mussten wegen ähnlich gestrickter Gedanken und Ideen sterben. Trotzdem sind homo-, trans- und xenophobe Rechtspopulisten, Identitäre und Anhänger*innen aus dem braun- oder religiös-fanatischen Gesinnungssumpf auf dem Vormarsch, weil sie die Meinungs- oder Religionsfreiheit dazu missbrauchen, andere Menschen zu diskriminieren und abzuwerten.
Dem gilt es, Einhalt zu gebieten. Und zwar energisch und von allen Seiten – insbesondere auch von konservativ denkenden LGBTIQ-Vertreter*innen: Da helfen auch keine schwul-lesbischen Galionsfiguren wie der SVP-Politiker und bekennende Schwule Michael Frauchiger, der die Ausdehnung der Anti-Rassismus-Strafnorm in der Schweiz bekämpft. Oder Alice Weidel von der AfD, die zwar selbst lesbisch und mit einer Ausländerin zusammen ist, aber eine Partei vertritt, die immer wieder gegen Lesben, Schwule und Ausländer*innen hetzt. Bloss, um aufzuzeigen, dass alles halb so wild ist – nach dem Motto: «Schaut her, wir haben zwar was gegen böse Ausländer*innen, Atheist*innen und nicht-heterosexuelle Menschen, aber wir sind trotzdem nett genug, um ein paar Vorzeige-Homos in der Partei zu haben.»
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Dass sich diese vorgegaukelte Duldung ins Gegenteil verdrehen kann, lässt sich in Staaten wie Polen, Russland oder der Türkei beobachten: Sobald Rechtspopulisten oder autoritär-religiöse Politiker*innen die Regierungsmehrheit bilden, dreht sich der Wind, und die Repressionen gegenüber der LGBTIQ-Community nehmen zu.
Darum wird am 9. Februar 2020 ein Ja für die Ausdehnung der Anti-Rassismus-Strafnorm wichtig. Denn die Meinungsfreiheit ist kein Freipass für Hass: Sie hört dort auf, wo sie die Grundrechte anderer Menschen verletzt. Homophobie ist keine Meinung, sondern Diskriminierung.
Hass und Hetze vs. kritische Auseinandersetzung mit Homosexualität Die Gegner*innen der Ausdehnung der Anti-Rassismus-Strafnorm begründen ihre Ablehnung damit, die kritische Auseinandersetzung mit der Homosexualität wäre damit gefährdet. Was völliger Humbug ist: Denn Hass und Hetze haben weder in der Meinungsfreiheit noch in der kritischen Auseinandersetzung mit der Homosexualität zu suchen. Eine sachliche Auseinandersetzung wird nach wie vor durch das Recht auf eine freie Meinung geschützt.
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Warum also dieses Gezeter um die Zensur?
Die vorgeschobene Angst vor der Zensur dient einmal mehr dazu, die eigenen repressiven und rückständigen Vorstellungen gegenüber Menschen durchsetzen zu wollen, die für ihr Dasein nichts können: Das wäre so, als würden all die Gegner*innen der Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm alle blauäugigen Menschen weniger schützenswert betrachten, sondern dazu verdammen wollen, endlich braun- oder schwarzäugig zu sein, obwohl sie so sind, wie sie sind.
Wer sich kritisch mit der Homosexualität und ihrer Ausprägung auseinandersetzen will, wird auch künftig die Gelegenheit finden – ganz ohne die Ausdehnung der Anti-Rassismus-Strafnorm. Allerdings wird dabei der Ton die Musik bestimmen: Eine sachliche und keine abwertende Haltung wird vonnöten sein – also das, was eine zivilisierte Gesellschaft von pöbelnden Primaten unterscheidet.
Worte führen zu Taten Das möglicherweise wichtigste Argument für ein Ja zur Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm am 9. Februar 2020 ist, dass Worte früher oder später zu Taten führen: Was die Nazis vor bald 90 Jahren tröpfchenweise der deutschen Bevölkerung eingeimpft haben, geschah auch zunächst über Worte, dann über grösser angelegte Hetzkampagnen und diskriminierende Gesetze, bis daraus ein beispielloser Völkermord folgte, an dessen Ende sich alle fragten, wie das nur möglich sein konnte.
Der Prozess von diskriminierender Sprache zur rohen Gewalt ist schleichend. Wer die Kommentarspalten der gängigen sozialen Netzwerke liest, merkt, wie verroht die Sprache bereits geworden ist. Die Folge: Vermehrt psychische Gewalt, die vom Mobbing bis zur Anstiftung zum Suizid reicht. Oder die Gewaltverherrlichung ganzer Gruppierungen oder Einzeltäter, die in Attentaten wie vor einem Monat in Halle, im März 2019 in Christchurch oder in den NSU-Morden endet.
Kollektive Haltung gegen Homohass sozial regulierend Ein Diskriminierungsschutz hat nämlich auch eine Komponente der sozialen Kontrolle, was einen Lerneffekt begünstigt, weil ab dann keine diskriminierenden und abwertenden Äusserungen mehr gesellschaftlich salonfähig sind. Zwar haben die Gegner*innen der Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm recht, wenn sie sagen, ein Gesetz allein ändert noch lange nicht die Einstellung einzelner. Das Gesetz nicht, aber die kollektive Haltung ändert sich, weil es nun strafbar ist. Und diese kollektive Haltung wirkt auch sozial regulierend – ob in der Schule, bei der Arbeit oder aber auch im Verein, weil Lehrpersonen, Arbeitgeber*innen und Vereinsverantwortliche eingreifen müssen, wenn Hass und Hetze verbreitet werden. Droht nämlich dem eigenen Verhalten keine Konsequenz, erfolgt auch keine Verhaltensänderung. Deswegen am 9. Februar 2020 ein eindeutiges Ja zur Ausdehnung der Anti-Rassismus-Strafnorm – Ja zum Schutz vor Hass!
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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