Gigi Perez: «Wir müssen uns dem Hass entgegenstemmen»

Die lesbische Sängerin weiss, wie Matrosen küssen

Gigi Perez
Sängerin Gigi Perez (Bild: Universal Music)

Mit ihrem «Sailor Song» stand die 25 Jahre alte Gigi Perez unlängst wochenlang an der Spitze der britischen Charts. Auch bei uns ist der intim-akustische und unverblümt von der Lust auf eine Frau handelnde Song ein Riesenerfolg.

MANNSCHAFT unterhielt sich mit in Köln mit der in Florida lebenden Perez, die seit etwa fünf Jahren beruflich Musik macht und gerade ihre neue Single «Chemistry» veröffentlicht hat, über Liebe, Gott und ihre ungewöhnliche Karriere.

Gigi, «Kiss me on the mouth and love me like a sailor», singst du in deinem «Sailor Song». Wie küsst denn eine Matrosin oder ein Matrose?

Mit ganzer Leidenschaft. So, dass es etwas bedeutet. Denn wenn du erstmal auf See bist, siehst du den geliebten Menschen womöglich monatelang nicht.

Erinnerst du dich, wie der «Sailor Song» entstanden ist?

Ja, und ob ich das tue. Anfang 2024 war ich wieder in meinem Elternhaus, in meinem alten Zimmer, in dem ich so viele meiner Lieder geschrieben habe. Und als erstes war da plötzlich genau der Satz, über die wir gerade gesprochen haben. Ich wusste: Daraus lässt sich was machen.

Dann kam meine kleine Schwester vorbei, Bella ist 22 und hat Superahnung von Musik. Sie hörte, wie ich diese Zeile sang, wie der Song sich irgendwie sehr schnell entwickelte, und sie schaute mich an und meinte nur: «Gigi, das ist es.» Ich bastelte noch Strophen dazu, die ich lange vorher ursprünglich für ein anderes Lied geschrieben hatte, textete sie um, nahm alles auf – und fertig war «Sailor Song».

Probierst du häufig neue Stücke an deiner Schwester aus?

Oh ja, so gut wie immer. Sie ist die beste und ehrlichste Testperson der Welt. Sie singt sogar in meinem Song «Fable» ein wenig mit. Bella ist definitiv Teil meines Kreativteams und einfach ein wundervoller Mensch.

«Sailor Song» ist so eine Art Neustart für deine Karriere, die etwas seltsam verlaufen ist, oder?

Das kann man absolut so sagen. Ich glaube, bei mir ist in fünf Jahren so viel passiert wie bei anderen Menschen im gesamten Leben. Als ich 18 war, sang ich in einer Indie-Pop-Band, wenig später zog ich nach Boston, um am Berklee College of Music zu studieren, dann ging Corona los, die Beziehung zu meiner Partnerin endete, und im Juli 2020 starb unerwartet meine ältere Schwester Celene, sie war 22. 

In meiner Trauer schrieb ich einen Song nach dem anderen, ich lud sie hoch, und plötzlich hatte ich einen Plattenvertrag und spielte im Sommer 2022 im Vorprogramm von Coldplay in Stadien. Total irre. Irgendwie hatte ich scheinbar das goldene Ticket gewonnen.

Im April 2023 hast du dann deine erste EP «Never Catch A Falling Knife» rausgebracht.

Ja. Ich lebte in New York zu der Zeit, die EP zündete nicht wie erhofft, und die Plattenfirma liess mich fallen. Vor einem Jahr trat ich in Fussballstadien auf, tourte mit Noah Cyrus, und nun konnte ich die Miete nicht mehr bezahlen und zog wieder bei meinen Eltern in Palm Beach ins alte Kinderzimmer.

Was für eine Achterbahnfahrt.

Voll. Ich lag richtig auf der Schnauze. Aber wer weiss, vielleicht ging die Jahre vorher alles viel zu schnell und zu glatt. Ich denke, ich brauchte noch ein bisschen, um zu reifen. Ich habe das Gefühl, nun bin ich bereit und kann besser mit dem Druck umgehen, den das Musikbusiness auf Künstlerinnen und Künstler ausübt. Seit «Sailor Song» hat sich der Wind wieder gedreht, ich bin obenauf, alles super. Aber heute weiss ich, wie schnell es auch wieder in die andere Richtung gehen kann.

Lebst du momentan noch bei deinen Eltern?

Technisch gesehen ja. Allerdings bin ich die grösste Zeit des Jahres irgendwo unterwegs. Sobald ich wieder etwas Zeit habe, mache ich mir Gedanken, wo ich hinmöchte. Bis dahin geniesse ich den kostenlosen Frühstücksservices, wenn ich daheim bin (lacht).

In deinem «Sailor Song» hat die Matrosin Ähnlichkeit mit der Schauspielerin Anne Hathaway. Passiert nicht so häufig, dass ein klar queerer Song auf Platz eins in Grossbritannien und auch in der übrigen Welt sehr weit oben landet.

Ich weiss. Richtig fassen kann ich das alles immer noch nicht, was mit dem «Sailor Song» passiert ist. Er hat mein Leben auf den Kopf gestellt. Ich meine, an sich ist das passiert, was ich mir jahrelang in meinen allerkühnsten Phantasien ausgemalt habe. Ich schreibe einen Song über die Liebe, und die ganze Welt wird ihn hören. Dass er von der Liebe zwischen zwei Frauen handelt, macht die ganze Geschichte für mich noch besonderer. Für die LGBTIQ-Gemeinde ist das eine grosse Sache. Denn so wahnsinnig viele lesbische Liebeslieder gibt es im Pop noch gar nicht. Ich bin überglücklich, den vielen schönen Farben der queeren Community einen weiteren Farbtupfer hinzugefügt zu haben.

Wie bist du mit deiner eigenen Homosexualität zurechtgekommen?

Nicht so toll. Mein Coming-out war sehr komplex und kompliziert. Umso mehr macht es mich stolz und glücklich, wenn mich nun jüngere Menschen nach meinen Erfahrungen fragen und mich vielleicht sogar um Ratschläge oder um Hilfe bitten. Ich selbst hätte diese Art von Unterstützung dringend nötig gehabt, denn ich war ein ziemlich verlorener Teenager.

In welcher Hinsicht verloren?

Ich hatte Angst. Und Scham, unendlich viel Scham. Ich habe mich vor meiner Familie geschämt, vor meinen Freunden, auch vor mir selbst. Erschwerend kam hinzu, dass ich in einem Umfeld aufwuchs, das lesbischen Mädchen nicht besonders aufgeschlossen gegenüberstand.

Du bist in einem streng christlichen Haushalt grossgeworden.

So ist es. Homosexualität kam in unserer Kirche nicht vor. Es hiess immer «Gott macht sich auf die Suche nach einem Ehemann für dich». Ich war vollkommen verwirrt. Ich war mir meiner Sexualität ziemlich früh in meinen Teenagerjahren bewusst, und gleichzeitig glaubte ich an Jesus. Für mich hat das überhaupt keinen Sinn ergeben, dass die Religion etwas gegen meine Gefühle hatte.

Auf gewisse Weise bin ich dankbar für diese Erfahrungen, die mich zwar oft überfordert haben, aber durch die ich gelernt habe, dass es sich lohnt, für seine Gefühle einzustehen. Gerade jetzt, wo wieder ein Kulturkampf gegen alles ausbricht, was mit LGBTIQ zu tun hat. Religion wird wieder als Waffe benutzt, um eine Agenda durchzudrücken, die randvoll ist mit Hass und Verachtung. Wir müssen uns dem entgegenstemmen. Ich kenne die Bibel. Für mich hat Glaube nichts mit sexueller Präferenz zu tun.

gigi perez
Gigi Perez (Bild: Photosbynae/Universal)

«I don’t believe in God, but I believe that you’re my saviour» singst du in «Sailor Song».

Ich weiß, es ist ziemlich widersprüchlich. Diese Zeile entspringt einem Gefühl der Enttäuschung und der Niedergeschlagenheit nach dem Tod meiner Schwester. Ich konnte nicht begreifen, dass ein Gott so etwas zulässt. Ich wandte mich von ihm ab und zugleich fühlte ich mich schrecklich und angsterfüllt, weil ich immer an meinem Glauben hatte festhalten wollen.

Ich versuche heute, mich damit abzufinden, dass ich nicht weiß, ob Gott real ist oder nicht. Und dass ich nicht weiss, wo meine Schwester nun ist. Ist sie bei ihm? Ja, aber was, wenn es Gott nicht gibt? Ich wäre froh, wenn ich Antworten hätte auf diese Fragen. Aber das ist nicht Fall, und doch fühlt es sich gut und richtig an, über meine Zweifel zu sprechen.

Wie sehr hilft dir das Songschreiben, um mit deinen Zweifeln und Ängsten zurechtzukommen?

Immens. Ich wüsste beim besten Willen nicht, wie ich ohne diese Gabe durchs Leben kommen sollte. Ohne meine Musik würde ich es nicht aushalten.

Das «Tuntenhaus» ist das älteste queere Wohnprojekt Berlins. Nach dem Verkauf der Immobilie kämpften die Bewohner*innen um ihr Zuhause. Hier erzählen sie, was ihnen das Haus bedeutet (zur MANNSCHAFT-Story).

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