Gianna Nannini wird 70: «Alter ist eine Option»
Sie fühle sich wie 41
Gianna Nannini ist Italiens Rock-Sängerin Nummer eins. Die Musikerin liebt die Provokation: Zu ihrem 70. Geburtstag erzählt sie etwa von ihrer «Wiedergeburt» im Jahr 1983. Was passierte damals?
Die Freiheitsstatue mit einem in den Himmel gereckten Vibrator, ein Lied über Masturbation und späte Mutterschaft – Gianna Nannini liebt die Provokation. Die italienische Sängerin mit der einprägsamen Reibeisenstimme ist für ihren Kampf gegen Konventionen bekannt. Vor allem in ihrem Heimatland eckte sie damit oft an. Ihre Musik geriet dabei nicht selten in den Hintergrund.
Am 14. Juni wird die Liedermacherin 70 Jahre alt. In ganz Italien, und auch international, ist Nannini derzeit omnipräsent. Sie hangelt sich von Interview zu Interview, bringt ihr neues Album «Sei nel l’anima» (Du steckst in der Seele) heraus, ein Netflix-Film über ihre jungen Jahre erscheint – und obendrein geht die Italienerin ab November auf grosse Tournee in Deutschland (MANNSCHAFT berichtete). Geht das alles noch mit 70? Ja, sagt Nannini im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Denn sie sei ja erst 1983 wirklich geboren.
«Ich bin Jahrgang 1983. Wenn du das nicht glaubst, ist das dein Pech», amüsiert sich Nannini. Nach ihrem eigenen Verständnis ist die Italo-Rockröhre also erst 41 Jahre alt. 1983 einerseits, weil sie damals nach einer überstandenen schweren persönlichen Krise als neuer Mensch hervorging, andererseits, weil sie sich überhaupt nicht wie 70 fühlt. Nannini macht sich gern über ihr Alter lustig. Und so heisst auch das erste Lied ihres neuen Albums «1983». «Der Tod kommt ganz sicher, aber das Alter ist nicht festgelegt», singt sie dort selbstbewusst.
Das Alter ist eine Option, sagt Nannini. Doch der ernste Hintergrund ihrer «Wiedergeburt» im Jahr 1983 sitzt noch immer tief. 1979 gelang der Italienerin ihr erster grosser Erfolg. Nach einem Amerikaaufenthalt produzierte sie das Album «California» mit dem zentralen Song «America». Auf dem Cover ist die Freiheitsstatue abgebildet – statt Fackel hält sie jedoch einen Vibrator in die Höhe. Und in «America» geht es um weibliche Selbstbefriedigung. Im konservativen Italien ein Skandal. Doch der Song wird ein grosser europaweiter Hit und macht die Sängerin zum Star. 1982 folgte «Latin Lover», ein Song, der auch in Deutschland Fans begeisterte.
Unter dem Druck ihres jungen Erfolgs brach Nannini 1983 jedoch zusammen. «Ich hatte ein grosses Problem mit der mentalen Identifikation mit mir selbst, ich habe mich beim Schreiben der Stücke verloren, ich konnte mich nicht mehr finden, es war eine schreckliche Sache.» Sie habe sich damals verloren und den Wahnsinn erlebt, sagt sie. All das spielte sich in einem Tonstudio in Deutschland ab, als sie mit dem Produzenten Conny Plank zusammenarbeitete.
Nach der Krise folgen die grossen Hits Sie konnte sich wieder fangen – und fühlte sich wie «wiedergeboren», sagt sie. Ein Jahr später folgte ihr Song «Fotoromanza» (Fotoromantik), der der italienische Sommer-Hit des Jahres 1984 wurde. Die Durststrecke war gebrochen: Mit ihren Liedern «Bello e impossibile» (Schön und unmöglich) oder der von Giorgio Moroder komponierten Hymne der Fussball-Weltmeisterschaft von 1990 «Un’estate italiana» (Ein italienischer Sommer) begeisterte sie auf der Bühne ihre Fans auf der ganzen Welt. Mitte der 90er Jahre galt Nannini dann endgültig als eine der ganz grossen Rockgrössen im Geschäft.
Seit jeher ist Nannini eine Künstlerin, die es liebt, zu provozieren. In ihrer Jugend geriet die im toskanischen Siena geborene Sängerin deswegen oft mit ihrem konservativen Vater aneinander. Schon früh interessierte sie sich für Musik. Ihr Vater verbat ihr zunächst Gesangsunterricht, gab aber nach. Doch die Spannungen blieben bestehen: Nach dem «California»-Cover wollte er ihr sogar verbieten, ihren Familiennamen zu nutzen.
Die Provokation war und ist immer ein Bestandteil ihrer Karriere und ihres Lebens. Im Sommer 2010 machte sie Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass sie mit Mitte 50 erstmals Mutter wird. Ihre späte Mutterschaft sorgte weltweit für grosses Aufsehen. Erneut eckte sie damit in ihrem Heimatland an: Einerseits ein Skandal, dass eine Frau so spät schwanger ist, andererseits löste ihr Mutterglück im geburtenschwachen Italien eine Grundsatzdebatte aus.
«Ich gehöre keiner Kategorie an» Konventionen interessieren sie nicht. Nannini spricht schon lange offen über ihre Bisexualität und heiratete 2010 ihre langjährige Partnerin. Einige Zeit lebten sie mit Tochter Penelope in London, inzwischen wohnt Nannini wieder in Mailand. «Ich bin 1983 geboren, ohne Geschlecht», singt sie in dem neuen Lied «1983» weiter. Ohne sexuelles Geschlecht, stellt sie klar. «Ich gehöre keiner Kategorie an.» Neben dem Bruch mit Normen legt sie seit jeher grossen Wert auf Unabhängigkeit, was ebenso ihren Lebensweg und ihre Karriere ausmacht.
So sehr sie in all den Jahren auf der Bühne herumwirbelte, auf Gerüste kletterte und immer alles gab, will sie doch ihren eigenen Geburtstag nicht feiern. Sie feiere zwar gern, aber lieber die Geburtstage anderer. Ausserdem ist die Powerfrau vollbeschäftigt: Demnächst tourt sie wieder kreuz und quer durch Europa. «Ich höre niemals auf!», sagt Nannini.
«Was ist normal?» – Kritik an rechter Kulturkampf-Rhetorik. Kanzler Nehammer hat eine gefährliche Diskussion angestossen (MANNSCHAFT berichtete).
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