Gewalt gegen LGBTIQ: «Bayern verschliesst bisher die Augen»
Die Grünen im Freistaat machen Druck
Um einen Überblick über queerpolitische Missstände in Bayern zu erhalten, reichen die Landtags-Grünen eine Grosse Anfrage mit dem Titel «Queer in Bayern – damals, heute und in Zukunft» ein (MANNSCHAFT berichtete). Die Staatsregierung aus CSU und Freien Wählern muss Stellung nehmen zur Förderung von Akzeptanz und zur Bekämpfung von Diskriminierung in allen Lebensbereichen.
Dazu befragten wir den Grünen-Abgeordneten Florian Siekmann, queerpolitischer Sprecher der Grünen Fraktion im Bayerischen Landtag.
Als erste bayerische Kommune hat Nürnberg kürzlich einen Aktionsplan zur besseren Berücksichtigung der Belange von LGBTIQ beschlossen (MANNSCHAFT berichtete). Was hat Nürnberg verstanden, das im Rest des Freistaats noch ignoriert wird? Nürnberg ist eine der beiden Queer-Metropolen in Bayern. Das Zusammenspiel aus engagierter Community und progressiven politischen Mehrheiten hat den Weg für den städtischen Aktionsplan geebnet. Einen besonderen persönlichen Dank verdient an dieser Stelle auch Uwe Scherzer alias Uschi Unsinn. Natürlich gibt es auch an vielen anderen Orten in Bayern eine engagierte Community, die CSU-Regierung hat deren Bedürfnisse aber jahrelang ignoriert. Deshalb sind einige Städte selbst in die Presche gesprungen und haben queere Angebote unterstützt und Finanzierungen übernommen. Unser Job im Landtag ist es, Beratung, Unterstützung und queere Infrastruktur überall im Freistaat bereitzustellen, damit Bayern endlich seiner Verantwortung gerecht wird, so wie eben München und Nürnberg. Der Einsatz gegen Diskriminierung und für Akzeptanz ist in vielen Bereichen von der Schule bis zur Polizei Landesaufgabe.
Es gibt ja schon Aktionspläne in den anderen Bundesländern. Auch im Ausland arbeitet man damit. Was wird dadurch konkret besser? Ein Aktionsplan sorgt für Sichtbarkeit und Verbindlichkeit. Er erfasst alle Ministerien und Bereiche der Verwaltung. Dadurch wird verhindert, dass Einzelne sich ihrer Verantwortung entziehen. Für die Verbesserung der Situation von LGBTIQ braucht es mehr als die blosse Förderung von Beratungsangeboten durch das Sozialministerium. Das Innenministerium mit seinen Polizeidienststellen, das Justizministerium mit der Strafverfolgung von Hasskriminalität und das Bildungsministerium mit der Verantwortung für die Lehrpläne sind genauso gefordert.
Natürlich müssen dem Aktionsplan die zur Umsetzung nötigen finanziellen Mittel im Staatshaushalt folgen. Verbindlichkeit und Selbstverpflichtung erleichtern es, die Bereitstellung der Haushaltsmittel auch durchzusetzen. Mit der Einbindung der Community und durch eine regelmässige Evaluation wird sichergestellt, dass der Aktionsplan auch wirklich zu Verbesserungen für LGBTIQ führt.
Wie steht es um die Anzeigebereitschaft von Queers: Reicht es, was bisher an Fortbildung und Sensibilisierungsmassnahmen der Polizei getan wird? Nein, das reicht bei Weitem nicht. Deswegen gehen die Zahlen der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik und die von Fachstellen und Anti-Gewalt-Projekten so weit auseinander. Diskriminierung von queeren Menschen ist Alltag – das hat unsere Studie «Queeres Leben in Bayern» ganz klar gezeigt. Und dass sich mehr Opfer queerfeindlicher Delikte an die Fachstelle Strong! in München wenden, als an die Polizei in ganz Bayern, hat Gründe. Bisher hat die Staatsregierung die Augen vor diesem Thema verschlossen und es versäumt, mehr in Schulung und Sensibilisierung von Polizei und Staatsanwaltschaft zu investieren. Aber um Vertrauen aufzubauen, muss man eben einen Beitrag leisten und nicht einfach nur die Augen verschliessen.
Seit 2020 gibt es die Strong!-Fachstelle für ganz Bayern, die neben der Stadt München auch das Land finanziert. Dort heisst es: «Die relativ geringen absoluten Zahlen sprechen für ein immenses Dunkelfeld». (MANNSCHAFT berichtete). Warum gelingt es nicht, das Hellfeld zu vergrössern? Dazu braucht es klare, vertrauensbildende Massnahmen, zum Beispiel feste Ansprechpersonen für Opfer queerfeindlicher Delikte, an die man sich ohne Angst vor weiterer Diskriminierung wenden kann. Sowohl bei der Polizei als auch bei der Staatsanwaltschaft. Zum anderen muss mehr Wert darauf gelegt werden, bei Straftaten eine richtige Einordnung vorzunehmen. Eine queerfeindliche Körperverletzung oder Beleidigung muss auch explizit mit dem Merkmal der Queerfeindlichkeit versehen, richtig eingeordnet und dementsprechend auch so in der Statistik erwähnt werden. Dass das funktioniert, zeigt das Land Berlin ganz deutlich.
Welchen Einfluss haben die rassistischen und teils auch homophoben Vorfälle innerhalb der Polizei auf das Bild der Behörde bei Queers? Das können die Fachstellen viel besser einschätzen als ich. Aus vielen Gesprächen habe ich aber den Eindruck gewonnen, dass die Polizei selbst dieses Image nicht haben will. Es braucht hier den nötigen politischen Willen für Veränderung, und der wird mit einer CSU-geführten Regierung nicht kommen. Die Polizei selbst ist da teilweise viel weiter, und ich bin dankbar, dass es so engagierte Menschen innerhalb der Polizei gibt, die für Verbesserungen kämpfen, zum Beispiel VelsPol Bayern.
Die internen Probleme für queere Polizeibedienstet sind kein Geheimnis. Hierzu wurden Anfang letzten Jahres auch Forschungsergebnisse veröffentlicht – im Magazin der Gewerkschaft GdP. Teils sind die Probleme konkret begründet, teils resultieren Ängste und daraus entstehende Probleme aber schon allein aus der Annahme, dass man als LGBTIQ nicht willkommen sein könnte unter Kolleg*innen. Das spricht Bände! Die Türen für trans und inter Personen sind eh erst seit 2021 geöffnet worden. Viele aus dieser Gruppe konnten gar keinen Polizeidienst antreten, weil sie durch die alte Polizeidienstvorschrift 300 ausgeschlossen wurden.
Laut der von den Grünen in Auftrag gegebenen Studie «Queeres Leben in Bayern» erfahren queere Teilnehmer*innen mit geringerem Einkommen häufiger Diskriminierung als Besserverdienende. Wie ist das zu erklären? Das Leben in den grossen Städten ist zwar teurer als das Landleben, aber dort finden sich häufig auch die höher dotierten Jobs. Mit einem hohen Einkommen lebt es sich nicht nur sorgenfreier, das Geld bringt schlicht auch Zugang zu Räumen, zu denen geringer Verdienende oft nur einmal im Monat Zugang finden. Gerade in grösseren Städten gibt es eine queere Infrastruktur, die entsprechende Cafés und Kulturangebote für die Community bietet und letztlich auch die Stadtbevölkerung im Hinblick auf queere Sichtbarkeit sensibilisiert. Vieles davon gibt es auf dem Land nicht.
Zudem würde ich die Frage auch umdrehen wollen: Verdient man weniger Geld, weil man diskriminiert wurde oder Angst davor hat? Ist es die trans Frau, die in einem Männerumfeld die Beförderung erhält? Eher nicht. Sonst würden wir eine Menge kennen. Zu gering verdienenden Menschen gehören auch Arbeitslose. Die Arbeitslosigkeit unter trans Menschen liegt vierfach über dem Durchschnitt. Und dafür gibt es triftige Gründe. Man muss eben hinsehen und diese Gründe analysieren und beseitigen. Und da sind wir wieder beim Aktionsplan, der in Bayern fehlt.
Ist der Kampf gegen LGBTIQ-Feindlichkeit nicht längst eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe? Queerfeindlichkeit, vor allem gegen trans Personen, ist ja längst im Bundestag angekommen und wird offen bekundet, wie bei Beatrix von Storch (AfD) kürzlich zu beobachten (MANNSCHAFT berichtete). Das muss das Ziel sein, ja. Und die vielen tollen Vereine, Gruppen und Einrichtungen zeigen, dass das in grossen Bereichen bereits gesamtgesellschaftlicher Alltag ist. Auch politisch tut sich endlich etwas, weil die neue Bundesregierung für eine echte Queerpolitik steht. In den vergangenen 16 Jahren hat sich die Gesellschaft viel schneller entwickelt, als die alte Bundesregierung Schritt halten konnte oder wollte.
Zum Verhalten der AfD habe ich eine klare Haltung: Wer nur mit persönlichen Angriffen und bewusster Provokation sichtbar wird, ist in der Politik fehl am Platz. Wir stehen selbstverständlich solidarisch zu meiner Kollegin Tessa Ganserer und allen Queers im Land und in den Parlamenten. Und wenn wir das positiv tun, mit Argumenten und den nötigen Emotionen, dann gewinnen wir auch die Gesellschaft, fördern Toleranz und Akzeptanz und Zivilcourage, wo sie nötig ist.
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