Blinded by Heteronormativität: Warten auf das Entzücken
Der Friedrichstadt-Palast in Berlin feiert Weltpremiere
Am Mittwochabend feierte «Blinded By Delight», die neue Grand Show im Friedrichstadt-Palast, ihre Weltpremiere und brach bisherige Rekorde. Leider keine qualitativen, meint unser Rezensent.*
Am Mittwochabend feierte die neue Grand Show im Friedrichstadt-Palast eine umjubelte Weltpremiere und brach mit «Blinded By Delight» bisherige Rekorde. Doch nicht nur aus queerer Sicht war das, was auf der Bühne passierte, enttäuschend.
Immerhin, unter den Gästen waren viele queere Promis aus Politik und Unterhaltung, darunter der Ex-Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, der einstige Kultursenator Klaus Lederer, Jean Paul Gaultier kam ebenso wie die ESC-Zwillinge Jedward und die Dragqueens Gloria Viagra und Barbie Breakout, ferner Riccardo Simonetti und Julian FM Stöckel.
In der Begrüssung von Intendant Bernd Schmidt musste gleich Martin Luther King herhalten. Dessen Zitat «I have a dream» stellte er der neuen Grand Show über die Macht der Träume voran - es war dann gemessen, an dem was folgte, etliche Nummern zu gross.
Aber zugegeben, es waren schon traumhafte Zahlen, die Schmidt verkünden durfte: So seien bereits jetzt über 180'000 Tickets verkauft worden, noch einmal deutlich mehr als zum Start der letzten Grand Show. Ein neuer Rekord: Und es handelt sich um die mit 15 Millionen Euro bis dato teuerste Produktion des Palastes.
Nur ehrlich gesagt: Man sieht es der Show nicht an. Die Bühne und ihre technischen Möglichkeiten sind spektakulär, da gibt es gar nichts zu meckern. Auch den Tänzer*innen und Artist*innen kann man keinen Vorwurf machen. Bemerkenswert biegsam etwa ist die Ukrainerin Viktoria Dziuba, Shootingstar der internationalen Zirkusszene. Ein echter Hingucker ist auch der Schleuderbrett-Act «Arte Algo» der Brüder Rafa und Paco Olmos, die gemeinsam mit Absolvent*innen der Staatlichen Artistik-Schule Berlin durch die Luft wirbelten.
Aber dass ausgerechnet ein stock-heterosexueller Comedian wie Ingo Appelt hinterher mäkelt, es sei zu wenig Glitzer gewesen, lässt aufhorchen. Wenn es das nur wäre.
Und es ist auch nicht so, dass es der Palast nicht könnte: Ich habe dort schon einige Shows mit deutlich mehr Wumms und, ja, auch mehr Glitzer gesehen.
Die meisten Songs fallen in zwei Kategorien: Sogenannte Gute-Laune-Musik, gerne auch mit lateinamerikanischen Rhythmen, die in etwa soviel Spass machen wie aufgedrehte Moderator*innen mit Schlafdefizit in der Morningshow eines Lokalradios im Sauerland (warum muss man einen musikalisch und textlich unterirdischen Song wie «Happy Hour» zweimal performen?), und vor Kitsch triefende Balladen.
Man singt mal Englisch, mal Deutsch, mit Texten, die voller Klische stecken, da reimt sich Sinfonie auf Galaxie, Versatzstücke wie das zur Genüge ausgelutschte «Spread your wings and fly» kommen zum Einsatz. Das ist das Niveau von Groschenromanen. Schade, bei den Texten hätte man durchaus etwas mehr Geld investieren können. Es war ja offenbar genug da.
Und überhaupt: Statt Deko und Ausstattung sorgen riesige Videoleinwände für Farb- und Stimmungswechsel. Oft nicht gerade geschmackssicher, wirkten sie wie von einer frühen unausgereiften KI entwickelt.
Auf der grössten Theaterbühne der Welt wirken bei jeder Vorstellung rund 100 Künstler*innen aus 28 Nationen mit. Sie tragen fast 600 massgeschneiderte Kostüme von US-Stardesigner Jeremy Scott, zu dessen Kund*innen Stars wie Madonna, Beyoncé und Lady Gaga gehören. Für die er aber offenbar seine besten Ideen reserviert hat, schon die Kostüme der Eröffnungsnummer sehen aus wie eine Mischung aus Mondrian und Zauberwürfel. Aber Entzücken, wie im Titel der Show versprochen («Blinded By Delight»), wollte sich da nicht recht einstellen.
Designer Scott war übrigens in Begleitung von Heidi Klum in den Palast gekommen, die am Ende des Show Blümchen verteilen durfte und über alle Videoleinwände grinste, als hätte sie auch nur das Geringste mit der Show zu tun.
Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt: In «Blinded By Delight» erwacht eine junge Frau, Luci, in der prachtvollen und bunten Traumwelt ihrer ungelebten Wünsche. Als der Mann ihrer Träume vor ihr steht, mag sie ihrem Glück kaum trauen. Luci steht nun vor einer schweren Entscheidung: realistisch bleiben oder lieber mutig sein und ihre Träume leben?
Für eine Show in der selbsternannten Regenbogenhauptstadt sind die Story und die Umsetzung erstaunlich unqueer. Sellbst wenn die Story der beiden Hauptpersonen gespiegelt wird durch Tänzer*innen oder Artist*innen – immer sind es Mann/Frau-Paare. Mag sein, dass mein trübes Auge mal zwei Tänzerinnen beim flüchtigen Kuss erwischt hat, queerer wurde es nicht. Schade eigentlich.
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Rezensionen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
MANNSCHAFT stellt vor: Diese 10 queeren Shooting Stars machen von sich reden, etwa Miles Heizer, bekannt aus «Tote Mädchen lügen nicht – 13 Reasons Why».
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