«Ein LGBTIQ-Netzwerk der Feuerwehr hätte mir viel gebracht»
Die Feuerwehren bemühen sich um mehr Diversität – mit Erfolg?
Wie verbreitet ist Homophobie in der Männerdomäne Feuerwehr? Schwule und lesbische Feuerwehrleute aus Deutschland und der Schweiz erzählen von ihren Erfahrungen.
Raues Klima, Hierarchieprinzip und Männerdomäne. So das geläufige Bild der Feuerwehr – gar nicht weit weg von der Polizei. Sich in diesem Umfeld zu outen, stellt man sich als eher heikel vor. Doch wie offen erleben homosexuelle Feuerwehrleute die Feuerwehr tatsächlich?
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Marcel ist 16 Jahre alt und Teil der freiwilligen Feuerwehr in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen. «Die Feuerwehr ist wie eine zweite Familie», berichtet er. Er lebt seine Homosexualität sehr offen und hatte in der Feuerwehr deswegen noch nie Probleme. In seiner Feuerwehr wird das Thema aber auch nicht angesprochen. Sie seien nicht dagegen, aber auch nicht grossartig dafür. «Die Feuerwehr hat andere Schwerpunkte und anderes zu tun. Sie müssen sich nicht aktiv dafür aussprechen», findet Marcel.
Etwas anders sieht das Christian Theierl, der seit Juni 2019 Gleichstellungsbeauftragter der Feuerwehr Hamburg ist. Dabei beschäftigen ihn die Gleichstellung der Geschlechter – Stichwort Frauenquote – aber auch Themen wie Rassismus, Homophobie und Sexismus. Innerhalb der Feuerwehr Hamburg wurden deshalb zwei Netzwerke gegründet: Ein Netzwerk für Frauen in der Feuerwehr und eines für LGBTIQ.
Maike ist eine von ungefähr 100 Frauen der Berufsfeuerwehr Hamburg. Verglichen mit den insgesamt über 2’000 Feuerwehrleuten ist der Anteil also noch relativ gering. Sie ist im LGBTIQ-Netzwerk und im Netzwerk für Frauen in der Feuerwehr Hamburg dabei. Im LGBTIQ-Netzwerk gibt es sonst nur Männer – Maike ist die einzige offen lesbische Feuerwehrfrau.
Sie merkt aber, dass manche Männer nur im Netzwerk aber nicht auf der Wache geoutet sind. «Einige möchten noch nicht, dass es öffentlich ist», sagt sie. Ein Coming-out empfiehlt sie aber ungemein: «Sonst führst du zwei Leben.» Die 42-Jährige ist schon seit 17 Jahren in der Feuerwehr dabei und kann von keinen negativen Erfahrungen berichten. «Man wird in jeder Wache offen aufgenommen, egal ob Mann oder Frau», findet sie.
«Homosexualität wird in der Feuerwehr etwas tabuisiert», sagt Theierl. «Es gibt eine Art Ausblenden des Themas oder die Angst, das Thema anzusprechen.» Dennoch gebe es durchwegs positive Reaktionen, wenn sich Kolleg*innen in der Wache outen. «Die Feuerwehr ist familiär eingestellt.»
LGBTIQ-Netzwerke für den Austausch Ziel der Netzwerke sei es, Hilfe und Unterstützung anzubieten, falls diese gewünscht wird. LGBTIQ können sich innerhalb des Netzwerkes frei austauschen und müssen sich gegenüber den Anderen nicht erklären. «Wir haben zwei trans Frauen in der Feuerwehr, die sich während ihrer Zeit bei der Feuerwehr geoutet haben. Es gab wenig bis gar keine Probleme», erzählt Theierl. Probleme oder Unsicherheiten von Seiten der Kolleg*innen seien auch nicht auf Transphobie sondern auf zu wenig Aufklärung zurückzuführen und deshalb schnell geklärt.
«Ein Netzwerk hätte mir damals viel gebracht», findet Walter aus Bern. Der heute 59-jährige Schweizer hat mit Ende 20 bei der Feuerwehr angefangen und mit 30 seinen Freund kennengelernt. Daraus habe er nie ein Geheimnis gemacht. «Er war einfach dabei und hat dazu gehört», erzählt Walter selbstverständlich. «Wenn etwas passiert wäre, hätte ich vom Kommandanten in der Miliz (Freiwillige Feuerwehr, Anm. d. Redaktion) Rückendeckung gehabt», erzählt Walter. «Er würde sich darum kümmern», habe dieser versichert.
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Seine offene Homosexualität habe ihm bei der Feuerwehr nie Probleme gemacht. «Wir sind eine Milizrettungsorganisation. Wenn es bei meinen Eltern auf dem Land brennt, dann rennen sie und helfen. Da hat es keinen Platz für sowas. Sonst sind das die falschen Leute, die bei der Blaulichtorganisation arbeiten», sagt Walter.
Auch wenn er in der Feuerwehr keine schlechten Erfahrungen gemacht hat, hätte er in einem Netzwerk den Austausch sicherlich geschätzt, meint er rückblickend. «Vielleicht auch jetzt noch.» In der Schweiz gibt es kein LGBTIQ-Netzwerk für Feuerwehrleute, wohl aber beispielsweise bei der Polizei.
Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es ein Netzwerk der Feuerwehr, wo sich LGBTIQ austauschen können. Max Blasius ist seit 12 Jahren in der Feuerwehr dabei. Seit eineinhalb Jahren arbeitet der gelernte Krankenpfleger nun Teilzeit als Projektleiter des Netzwerk Vielfalt. Es umfasst circa 100 Feuerwehrleute aus ganz NRW. Unlösbare Probleme seien bisher nicht gemeldet worden. «Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass es in einzelnen Feuerwehren Probleme gibt», relativiert der 26-Jährige.
Probleme lassen sich schnell klären Die meisten Reibereien seien in einem Gespräch lösbar. So wurde einem schwulen Feuerwehrmann ein Penissticker auf den Helm geklebt. Die Kolleg*innen hatten das als Jux meint, so sei das beim Betroffenen aber nicht angekommen. In einem Gespräch mit den Beteiligten konnte die Situation geklärt werden, erzählt Max.
Jenseits dieses Vorfalls gebe es aber viele weitere Momente im täglichen Dienstbetrieb, in denen ein vermeintlicher Witz oder eine unüberlegte Aussage oder Aktion dazu führt, dass eine betroffene Person noch mehr Angst vor einem geplanten Coming-out hat oder sich als nicht-heterosexuelle Person in der Gemeinschaft unwohl fühlt. «Die Feuerwehren schaffen damit, und zwar ohne es zu wollen, ein internes Klima, welches der Vielfalt entgegensteht. Da wollen wir aufklären und sensibilisieren», erklärt Max.
Dem Netzwerk Vielfalt geht es vor allem darum, Führungskräfte für die Thematik zu sensibilisieren. «Jeder sollte wissen, dass wir da sind, dass man uns ansprechen kann und dass wir über Themen informieren können.» Führungskräfte sollen dabei als Vorbilder agieren, eingreifen und positive Fürsprecher sein. Damit können Vorurteile und Stereotypen ausgeräumt werden, erklärt Max.
Als Zeichen der Sichtbarkeit hat das Netzwerk Vielfalt von NRW letztes Jahr das erste Mal am CSD in Köln teilgenommen. «Wir haben den damaligen Präsidenten des Deutschen Feuerwehrverbandes, Hartmut Ziebs, angefragt, ob er auf unserem Mottowagen mitfahren möchte», erzählt Blasius. Dieser habe zugesagt. «Das hat uns besonders gefreut, weil er zu dem Zeitpunkt der höchste Feuerwehrmann Deutschlands war», so Max.
Letzten Dezember ist Hartmut ZIebs allerdings auf Druck des Verbandes zurückgetreten. Ziebs hat sich für eine Modernisierung des Verbandes eingesetzt, was nicht allen gefallen hat. Neben anderen Punkten ist er auch für seine Teilnahme am CSD kritisiert worden. «Er hat unser Netzwerk gelobt und unser Vorhaben unterstützt», sagt Max. Verbandsintern sei aber von einer «unnötigen Provokation» die Rede gewesen.
Coming-out in der Feuerwehr Sein eigenes Coming-out hatte Max erst vor zweieinhalb Jahren über Social Media. Nur seine nächste Familie und engsten Freunde wussten bereits vorher davon. Besonders Bammel hatte Max vor dem ersten Übungsabend mit der Feuerwehr nach seinem Coming-out. Grundlos, denn er hat nur positive und unterstützende Rückmeldungen erhalten. «Für meine besten Freunde in der Feuerwehr war es eh schon klar, die gehen jetzt auch nicht anders mit mir um», erzählt Max.
Auch durch die Führungskräfte habe er Rückhalt bekommen. «Falls Probleme auftreten sollten, soll ich es sofort melden und die kümmern sich darum», sagt Max. Er erlebt die Feuerwehr grundsätzlich als sehr offen. «In den letzten Jahren gibt es viele Bestrebungen, sich modern zu reformieren», sagt Max. Beispielsweise werden Frauen bei der Feuerwehr stärker gefördert und die Frauenquote sei angestiegen. «Aber Luft nach oben hat man natürlich immer noch».
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