Wien soll ein eigenes Queer Museum bekommen
Nach Vorbild des Schwulen Museum Berlin und dem Leslie Lohman Museum of Art in New York
In der österreichischen Presse war diese Woche zu lesen, dass eine Gruppe queerer Künstler*innen, Kurator*innen und Historiker*innen am Aufbau des ersten «Queer Museum Vienna» arbeite, das seine Türen im Januar 2021 öffnen wolle. MANNSCHAFT hat Vertreter*innen der Gruppe kontaktiert, um mehr über das Projekt zu erfahren.
Worum geht es bei diesem neuen Queer Museum – und wer genau steckt dahinter? Florian Aschka: Die Gruppe besteht eigentlich aus zwei Gruppen, QWien mit Hannes Sulzenbacher und Andreas Brunner, und aus dem Verein Queer Museum Vienna, zu dem u. a. ich gehöre.
Andreas Brunner: Aber wir verstehen uns nicht als fixe Gruppe, sondern vielmehr als Initiativgruppe, die ein queeres Museum auf den Weg bringen will. Wichtig wird dabei ein breit angelegter Diskussionsprozess sein, was eine queeres Museum leisten kann – und soll!
Aschka: Ganz genau, wir sind gerade dabei, unser Team zu erweitern.
Als Vorbilder werden im Zeitungsartikel das Schwule Museum Berlin (SMU) oder das Leslie Lohman Museum of Art in New York genannt – zwei sehr unterschiedliche Institutionen. Wo setzt ihr den Schwerpunkt? Thomas Trabitsch: Die Idee ist, Kunst und Geschichte zu verknüpfen, also künstlerische Arbeiten in gesellschaftspolitischen Kontext setzen. Genauso wie Aktivismus in direkter Wechselwirkung mit parteipolitischen Entwicklungen steht, lässt sich das auf die Kunst und gesellschaftliche Veränderungen anwenden: Sie beeinflussen einander ständig. Das kann zum Beispiel bedeuten, was als Tabu zensiert wird und wurde.
Das projektierte Museum zielt ab auf eine Verschiebung von Randpositionen, hin zu einer Kanonisierung, von «peers and allies» gemacht und mit selbst gewählten Parametern, eine Normalisierung davon, dass queere Arbeiten im Museum gezeigt und solcherart in Wechselwirkung zwischen Kunst und Gesellschaft kontextualisiert werden.
Brunner: Ich sehe zwischen Kunst und Geschichte keinen Widerspruch. Keine Kunstausstellung ist geschichtslos. Es soll, so unser zur Diskussion gestelltes Konzept, sowohl «reine» Kunstausstellungen geben, sowie es sich vorwiegend der Geschichte widmenden Ausstellung geben wird. Und dann wird es ein Mix aus beidem geben.
Es gibt innerhalb des SMU und auch beim LL heftige Diskussionen darüber, was genau «queer» bedeutet, im Gegensatz zum zuvor verwendeten Begriff «schwul» bzw. «gay and lesbian». Wie definiert ihr euren queeren Ansatz? Trabitsch: Der aus dem Englischen stammende Begriff «queer» birgt das Potenzial, dass er immer wieder neu besetzt und gedeutet werden kann und eine subversive Kraft hat, die sich wortwörtlich quer stellt gegenüber gesellschaftlichen Normen und Konventionen, die eine patriarchale Ordnung und ein kapitalistisches System stabilisieren.
Brunner: Ich verfolge natürlich die Diskussionen im SMU. Da wir neu und ohne eine eigene Geschichte an den Start gehen, wird es auch leichter sein, aktuelle Debatten einzubeziehen.
Aschka: Gerade deshalb planen wir für uns eine dreijährige Entwicklungs- und Konzeptionsphase ein, um das auch zu diskutieren. Ich denke, man darf den Begriff queer nicht zu dogmatisch sehen, bzw. er ist einem ständigen Wandel unterworfen. Vielleicht entscheiden wir uns ja nach drei Jahren, dass wir uns ganz anders nennen, auch das ist bei queer möglich. (lacht) Der Begriff bietet nur zu Anfang die Möglichkeit, viele unterschiedlichste Personen aus der Community und aus der Mehrheitsgesellschaft mitzunehmen und bei Ihnen auch gleich Bilder zu evozieren, die man dann beim Besuch im Idealfall stärkt oder bricht.
Ein Museum zu eröffnen – noch dazu mitten in einer Corona-Pandemie – ist schwierig und kostet Geld. Wer finanziert euer Projekt? Brunner: Das kam im Artikel über das Projekt eines Queer Museum Vienna in Der Standard vielleicht etwas missverständlich rüber. Wir eröffnen 2021 kein Museum, sondern wir gehen mit einem Projekt an den Start. Wir planen einen mehrjährigen Diskussionsprozess, im Zuge dessen auch erste Ausstellungen umgesetzt werden sollen.
In Berlin unterstützt der rot-rot-grüne Senat queere Projekte gezielt, auch das neue queere Kulturhaus E2H sowie den möglichen Neubau eines Queer Museum, als Nachfolgeinstitution des SMU. Wie sehen die Verhältnisse in Wien aus? Brunner: In Wien finden nach der Gemeinderats- bzw. Landtagswahl in den nächsten Wochen Koalitionsverhandlungen statt. Sowohl die SPÖ als auch die Grünen, die für ihre Programme zusätzliche Stimmen bekommen haben, hatten den Plan für ein queeres Museum explizit in ihren Wahlprogrammen. Und ich denke auch die pinken NEOs würden einen solchen Plan unterstützen. Bevor wir offizielle Gespräche mit der Stadt geführt haben, möchten wir aber keine konkreten Summen nennen.
Aschka: Ich denke auch, dass es erst einmal enorm begrüssenswert ist, dass beide Regierungsparteien es in ihrem Wahlprogramm hatten und auch beide schon ganz konkret, z. B. mit dem queeren Kleinprojekte-Fördertopf dezidiert queere Projekte unterstützten. Das ist schon mal ein gutes Umfeld für queere Projekte.
Das SMU und das LL haben Sammlungen, die über Jahrzehnte zusammengetragen und mit denen viele Ausstellungen gestaltet werden konnten. Welche Sammlung habt ihr – und was wollt ihr sammeln, wenn ihr jetzt erst damit anfangt? Trabitsch: Die erste Phase wird die Entwicklung einer Sammlungsstrategie sein, dann möchten wir eine Mischung aus Leihgaben, gestifteten Arbeiten, Alltagsobjekten, Geschichten etc. zeigen. längerfristig sollen auch Ankäufe dazukommen.
Brunner: Der Aufbau einer Sammlung braucht natürlich Zeit und Ressourcen, aber es ist ja nicht so, dass es bislang nichts gibt. QWIEN sammelt seit längerem auf historischem Gebiet. Bei der Kunst wird man auch eine Sammlungsstrategie entwickeln müssen.
Es wird in der LGBTIQ Community viel über Rassismus gesprochen, über die Ausgrenzung und Unsichtbarkeit von nicht-weissen, nicht-christlichen Biografien und Geschichten. Wie steht’s bei euch um Diversity und Inklusion, äussert sich das in der Zusammensetzung eurer Gruppe, in der Themenwahl für Ausstellungen? Trabitsch: Sehr wichtig ist uns, auch bei der Themenwahl, welche Gruppen, Biografien, Communities in Wien vertreten sind und mit ihnen in Kontakt zu treten. Auch die Politik spricht sich für Einbeziehung von diversen Vertreter*innen aus der Community aus, wobei die für die Stadtpolitik relevant erscheinenden Personen vielleicht andere sind als jene, mit denen wir in Kontakt stehen.
Aschka: Das sind definitiv Themen, die bei uns angesprochen werden und wo wir auch bei unserer Gruppe sehr darauf achten müssen und uns auch dahingehend immer kritisch selbst beobachten müssen. Ich denke abgesehen von den in der Frage angesprochenen, zweifelsohne wichtigen Themen, muss man das auch nochmal zusätzlich vor dem Hintergrund der «Klasse» betrachten und darauf achten, dass wir nicht nur akademische Diskurse in unseren Räumen führen.
Unsere Gruppe vergrössert sich ständig und es kommen immer neue Inputs und Diskussionen auf. Bei den Ausstellungen möchten wir natürlich ein so breites Spektrum wie möglich eröffnen und auch diskursive Formate hosten, aus denen dann wieder neue Projekte entstehen können.
«Der zweite Blick: Spielarten der Liebe» – Revolution im Museum
Wien hat eine enorm reiche Museumslandschaft: Könnte nicht eines der bereits existierenden Museen queere Kunst und Geschichte zeigen, als Teil der allgemeinen nationalen Geschichte? Wieso passiert das nicht ganz selbstverständlich, selbst im Jahr 2020? Brunner: So wie es früher schwul/lesbische Ecken in den Buchhandlungen gab? Und wieso gibt es etwa jüdische Museen und werden diese als notwendig empfunden? Also finde ich die Frage nach einem eigenständigen queeren Museum 2020 ziemlich obsolet. Selbstverständlich können und sollen auch andere Museen queere Inhalte zeigen. Da gibt es auch viele Initiativen und Ansätze, die man ausserhalb Wiens vielleicht nicht so mitbekommt.
In London werden an grossen Museen seit Jahren schlagzeilenmachende LGBTIQ-Ausstellungen gezeigt – und zwar regelmässig. Zuletzt «Masculinities» im Barbican Centre. Wieso sind die Museen in England so viel weiter? Liegt es daran, dass sie kommerzieller denken müssen? Trabitsch: Da müsste ich erst mal Forschungsreisen in sämtliche staatliche Museen in Deutschland und Grossbritannien machen, die je was zu LGBTIQ Themen gemacht haben, um mir das anzuschauen, deren Jahresbudgets analysieren und dann die Meinungen zu LGBTIQ Themen in der Gesellschaft statistisch erfassen und vergleichen.
Im UK gibt es dagegen kein queeres Museum, obwohl anscheinend Initiativen laufen, auch dort etwas Vergleichbares auf den Weg zu bringen. (MANNSCHAFT berichtete.) Der Gedanke der kommerziellen Verwertbarkeit könnte natürlich dort schon eine grosse Rolle spielen.
Brunner: Von den «Masculinities» kenne ich nur den Katalog, die «Homosexualität_en» waren zwar ein Publikumsmagnet, aber inhaltlich durchaus kritisch zu betrachten. Ich kann es nicht beurteilen, ob britische Museen so viel weiter sind. Mir sind diese Vergleiche, wer den «Grösseren» oder «Schöneren» hat, auch ziemlich egal. Ich bin mir aber auch gar nicht so sicher, ob diese Grossausstellungen so viel bringen. Publicity ja, aber inhaltlich?
Was ist für euch der markanteste Unterschied – oder das Alleinstellungsmerkmal – einer queeren Wiener oder österreichischen Geschichte, im Gegensatz zu anderen Metropolen wie Berlin, Paris, New York oder San Francisco? Brunner: Das Alleinstellungsmerkmal ist allein dadurch gegeben, dass wir in Wien sind, dass Wien und Österreich eine eigenen Geschichte haben und eigene Traditionen (nicht nur gute). Wien ist etwa im Gegensatz zu den genannten Metropolen stark vom Katholizismus geprägt. Da entstehen auch andere Reibungspunkte.
Aschka: Zusätzlich kann man auch noch ins Feld führen, dass sowohl Wiens Geschichte, aber auch seine Gegenwart ganz stark von den Beziehungen zu seinen östlichen Nachbarn bzw. historisch dann den Kronländern und den Staaten des Balkans geprägt ist. Diese Gelenk- oder Torfunktion nach Osten und Südosten birgt auch die Chance in diese Länder auszustrahlen und einen Beitrag für die dortigen queeren Communities zu leisten.
In Wien eröffnete der neue Direktor des Wien Museum seine Ära mit der Erfolgsausstellung «Sex in Wien», wo es gleich auf der ersten Seite des Katalog um queere Perspektiven ging. Werdet ihr mit ihm und der Sammlung des Wien Museum (oder der Institution an sich) zusammenarbeiten? Oder mit anderen Museen? Brunner: Ich war einer der Kuratoren der «Sex»-Ausstellung, die das Konzept verfolgte, queere Positionen konsequent in allen Abteilungen der Ausstellung mit zu erzählen. Natürlich werden wir mit allen Museen und Institutionen, die es wollen, zusammenarbeiten. Reaktionen gibt es noch keine, wir sind ja auch erst an den Start gegangen.
Sind Museen eigentlich noch zeitgemäss im Zeitalter von Netflix und Social Media? Werdet ihr eure Themen genreübergreifend präsentieren: also Ausstellung plus Doku plus Biopic plus TedTalk usw.? Trabitsch: Wir möchten zuerst den Museumsbegriff befragen; was ist ein zeitgemässes Museum? Wie kann ein Museum zeitgemäss gestaltet werden? In unserem Mission Statement schreiben wir: «Das QUEER MUSEUM VIENNA ist den Grundsätzen der Queer Theory folgend kein autoritär errichtetes Projekt, sondern in seiner Entstehung ein Prozess, an dem unterschiedliche Gruppen aus der queeren Community aber auch aus anderen Bereichen (Kunstszene, Universitäten, Museologie, etc.) teilnehmen. Museum soll neu gedacht werden, althergebrachte Museumkonzepte, die auch strukturell aus dem 19. Jahrhundert stammen, auf den Prüfstand gestellt werden, inwieweit sie noch für das 21. Jahrhundert taugen.»
Wenn «genreübergreifend» sagen will: mittels Einsatz unterschiedlicher Medien und Formate, dann soll das auf jeden Fall auf uns zutreffen. Ich zitiere nochmals: «Zu den geplanten Formaten gehören Ausstellungen, Performance, Diskussionsveranstaltungen, Vorträge, Community meetings, Lesungen oder Präsentationen.»
Brunner: Ja, selbstverständlich. Gerade in Corona-Zeiten, wo wir so oft gezwungen sind, auf virtuelle Ebenen der Kommunikation auszuweichen, merkt man doch, wie schmerzlich die analoge Welt vermisst wird. Und die Aura eines Originals ist immer einzigartig, egal ob es sich um einen Caravaggio oder um das Protokoll der Hinrichtung eines Homosexuellen aus der NS-Zeit handelt.
Aschka: Da schliesse ich mich an. Ein Museum kann gerade bei der Vermittlung von geschichtlichen und künstlerischen Positionen eine ganz entscheidende Rolle spielen. Eines unserer Teammitglieder, Larissa Kopp, baut da gerade mit ihrer langjährigen Berufserfahrung in der Kunst- und Kulturvermittlung Netzwerke und Kooperationen für uns auf, unter anderem mit dem Erziehungswissenschaftlichen Lehrstuhl der Akademie der Bildenden Künste und dort mit Fabio Otti.
Zu den Gesprächspartnern:
Andreas Brunner ist Co-Leiter von QWIEN – Zentrum für queere Geschichte, das ein Archiv und eine Forschungsstelle für die Geschichte von LGBTIQ in Wien/Österreich betreibt. Als Aktivist seit bald drei Jahrzehnten in der Community aktiv, Gründungsbuchhändler der Buchhandlung Löwenherz, Mitbegründer der Regenbogen Parade und Guide bei queeren Stadtspaziergängen, bei denen QWIEN Ergebnisse der queeren Geschichtsforschung vermittelt.
Florian Aschka geht um sein künstlerisches und kulturelles Arbeiten zu ermöglichen Lohnarbeit in verschiedensten Bereichen nach, so war er schon als Reinigungskraft, Bibliotheksmitarbeiter, Aktmodell und an verschiedenen Positionen in Museen tätig. Kollaborative Prozesse stellen einen essentiellen Teil seiner künstlerischen Praxis dar. Die Untersuchung von queeren* Strategien ist ein Schwerpunkt seiner Arbeit. Er sieht solidarische Netzwerke als Gegenmodell zu neoliberalen Strukturen, in denen Herausforderungen und Probleme auf das Individuum abgewälzt werden. Er studierte an den Akademien der Bildenden Künste Nürnberg und Wien sowie an der Universität für angewandte Künste Wien. Arbeiten und Performances an denen er mitgewirkt hat wurden u. a. im AMOQA Athens Museum of Queer Arts, MOCAK Museum of Contemporary Art Krakow, VBKÖ Vereinigung Bildender Künstlerinnen Österreichs, Marburger Kunstverein, Wien Museum MUSA, NGbK neue Gesellschaft für bildende Kunst Berlin und im Künstlerhaus Wien gezeigt.
Thomas Trabitsch wurde 1990 in Wien geboren. Arbeitet in und an der Stadt und das, mit einem Wort, interdisziplinär. Grosses Interesse gilt dabei physischen wie sozialen Räumen und deren Kapitalisierung. Aktuell leitet er den kollektiv organisierten Kunstverein und queer feminist space Lazy Life. Diplom an der Akademie der bildenden Künste, davor kurz Theaterwissenschaften studiert, derzeit portugiesische Linguistik. Artist in Residence im besetzten Gängeviertel in Hamburg, Gründungsmitglied der Freien Klasse an der Akademie, ÖH, Auslandsjahr in Porto an der Kunstuni, Orga vom Ausstellungsraum Friday Exit, Bar und Kunstvermittlung im Kunstraum NÖ, eine Saison im brut. Ausserdem schreibt er Texte und denkt über Sprache und ihre Eigenschaft Denkmuster zu illustrieren nach, publiziert Künstlerbücher, fotografiert spontan entstandene Architekturen und Dinge, die äusserst selten Aufmerksamkeit bekommen.
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