Es waren einmal . . . Queere Figuren in historischen Serien

Von «Versailles» bis «Bridgerton»

Flirten, Ohrfeigen, dann Sex: Zwischen Philippe (Alexander Vlahos, links) und Chevalier (Evan Williams) geht es in «Versailles» heftig zu und her. (Bild: Sky Atlantic)
Flirten, Ohrfeigen, dann Sex: Zwischen Philippe (Alexander Vlahos, links) und Chevalier (Evan Williams) geht es in «Versailles» heftig zu und her. (Bild: Sky Atlantic)

Wie das Leben vor mehreren hundert Jahren wohl ausgesehen hat? Die historischen Fakten dürften hier und da auf der Strecke bleiben, doch die erzählerischen Möglichkeiten machen diesen Schönheitsfehler wieder wett: Historische Serien erfreuen sich grosser Beliebtheit.

Letzte Woche startete bei Netflix die langersehnte zweite Staffel der Historien-Schmonzette «Bridgerton», die sich innerhalb kürzester Zeit zu einer der erfolgreichsten Produktionen des Streaminganbieters entwickelt hat. Die zahlreichen queeren Fans werden sich freuen, dass in den neuen Folgen Anthony Bridgerton im Zentrum der Handlung steht, der vom offen schwulen Schauspieler Jonathan Bailey gespielt wird.

Inhaltlich blieb die ansonsten progressive Serie von Produzentin Shonda Rhimes («Grey’s Anatomy») hinter den Erwartungen der Fans zurück, was die Integration queerer Figuren und Storylines betraf. Manch einer warf den Machern der Serie gar Queerbaiting vor, da der Trailer zur ersten Staffel eine gleichgeschlechtliche Liebelei zeigte, die sich innerhalb der Serie lediglich auf eine einzige kurze Szene beschränkte.

Anders als Serien, die im Hier und Jetzt spielen, bietet ein historisches Setting ganz andere erzählerische Möglichkeiten. Homosexualität und Andersartigkeit stehen unter Strafe und müssen sich deshalb im Verborgenen abspielen.

Wer lediglich Bilder der Piratenserie «Black Sails» gesehen hat, würde wohl eher ein martialisches Drama im Stile von «Game of Thrones» vermuten, als das queere und diverse Drama, um das es sich tatsächlich handelt. So offen wie das Meer, auf dem die Piraten unterwegs sind, so offen ist auch deren Umgang mit Sexualität. Gleich vier der Hauptfiguren lassen sich als bisexuell bezeichnen und einige der Figuren gehen polyamore Beziehungen ein. Erzählt wird zudem von einer Scheinehe zwischen einer Frau und einem schwulen Mann im London des 18. Jahrhunderts. Um den Repressionen der Gesellschaft zu entfliehen, entscheidet sich der Grossteil der Figuren für ein Piratenleben, das auch in Sachen Liebe mit grösstmöglicher Freiheit lockt.

«Harlots»zeigt in der dritten Staffel auch männliche Sexarbeiter

Auch am Hofe von Louis XIV in «Versailles» geht es recht offen zu. Während sich der Regent selbst mit zahlreichen Frauengeschichten ablenkt, vergnügt sich dessen jüngerer Bruder vornehmlich mit Jünglingen. Kein Problem, solange man in der Gunst des Königs steht. Falls nicht, werden gleichgeschlechtliche Neigungen wie die seinen schnell zum Fallstrick. Knapp 100 Jahre später setzt die Hulu-Serie «Harlots» an, die von einer Gruppe von Sexarbeiterinnen erzählt. Während die ersten beiden Staffeln mehrere Frauen in den Blick nehmen, von denen einige auch gleichgeschlechtliche Beziehungen eingehen, sind in der dritten Staffel auch männliche Sexarbeiter zu sehen. Im London dieser Zeit werden homosexuelle Handlungen noch mit dem Strick bestraft.

Andere Serien nehmen sich historischen Persönlichkeiten an, so wie im Falle von «Gentleman Jack» oder «Dickinson». Erstere handelt von der Gutsbesitzerin Anne Lister, die im 19. Jahrhundert gelebt und ihre lesbischen Abenteuer in codierten Tagebüchern festgehalten hat. Letztere erzählt von der hoffnungslosen Liebe der Dichterin Emily Dickinson zu deren bester Freundin. Derzeit erleben besonders lesbische Liebesgeschichten im historischen Gewand einen regelrechten Boom.

Mit «The Gilded Age» startete in den USA unlängst auch die neue Serie von Julian Fellowes, der mit «Downton Abbey» die wohl erfolgreichste Historienserie der letzten Jahre geschaffen hat. Bereits in der ersten Episode wird enthüllt, dass die Figur Oscar van Rhijn nur vordergründig auf Brautschau ist und eigentlich einen männlichen Geliebten hat.

In allen genannten Serien ist es den queeren Figuren nicht möglich, frei zu leben und offen zu ihrer Sexualität zu stehen. Sie müssen sich eigene Räume schaffen, um ihre Begehren ausleben zu können. Anzeichen von Zuneigung und Liebesbekundungen erfolgen in Form zurückhaltender Gesten und Codes, um der Gefahr zu entgehen, entlarvt zu werden. Das Versteckspiel bietet Raum für spannende Storylines.

Kritiker*innen hingegen bemängeln, dass derlei Erzählungen das trügerische Gefühl vermitteln, die Gesellschaft sei heutzutage schon viel weiter. Das mag in vielerlei Hinsicht auch stimmen, aber in Sachen Gleichberechtigung und Akzeptanz ist es noch immer ein langer Weg.

Dieser Artikel stammt aus der MANNSCHAFT-Ausgabe (Frühling 2022)

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