Es ist CSD: Schreit auf, verdammt noch mal!
Eine Forderung nach Sichtbarkeit, Solidarität und Gleichberechtigung
Der Christopher Street Day fordert mehr als eine Party – Sichtbarkeit, Solidarität und Gleichberechtigung für queere Menschen weltweit. Unsere Autorin beleuchtet in ihrem Kommentar* die politische Relevanz des CSD und fordert einen Aufschrei der Community.
Regenbogenflaggen unter gleissender Sonne. Schwere Lastwagen mit riesigen Aufbauten, die sich langsam durch die Stadt quälen, eng vorbei an Menschenmengen, die dem feiernden Tross zujubeln oder einfach nur bestaunen, was diese queeren Menschen dieses Jahr wieder exhibitionistisch zur Schau stellen, egal ob in Berlin, Frankfurt, Wien oder Zürich.
Damit die feiernden Massen nicht den Überblick über die queeren Forderungen an die cis-geschlechtliche und heterosexuelle Welt verlieren, braucht es nur einfache und wenige Botschaften wie «Für Menschenrechte». Wir wollen schliesslich demonstrierend feiern. Die Welt um uns herum ist an allen anderen Tagen schon schwer genug für uns, dann können wir doch an unserem Tag auch einfach mal den Aktivismus sein lassen und mehr für die gute Stimmung tun.
Ich will Kampf und Überzeugung sehen auf den Strassen in diesen Tagen
Es reicht nicht. Ich will Kampf und Überzeugung sehen auf den Strassen in diesen Tagen. Keinen Aufstand, sondern einen Aufschrei der Entrüstung. Einen Aufschrei, der Solidarität mit all den Queers auf der Welt fordert, die unter Unterdrückung, Folter, Ausgrenzung leiden. Einen Aufschrei, der erzählt, dass nicht alles gut ist, nur weil wir in Deutschland sicherer leben.
Einen Aufschrei, den die Politik wirklich erhört. Der anspricht, dass konservative Meinungen und rechte Gruppen offen gegen unsere queeren Lebensweisen eintreten und argumentieren. Einen Aufschrei, der gerne die Unternehmen ins Schwitzen bringt, die seit Jahren auf den CSDs mitfahren und gutgelaunt für ihre Vielfaltsstrategien werben.
Dieser Aufschrei braucht keine Trucks, keine dröhnenden Bässe. Er braucht kraftvolle Überzeugungen, dass eben nicht alles gut ist, heute. Weder hier in Europa noch in den USA oder woanders auf der Welt. Überall auf der Welt läuten konservative Gruppierungen offen den Kampf gegen queere Menschen und andere marginalisierte Gruppen ein. Queere Rechte stehen auf einmal wieder zur Disposition. Queere Menschen sind immer noch weniger wert.
Erschütternd ist dann für mich, wenn ich erlebe, dass einige in der Community behaupten, dies sei der Backlash für unsere Sichtbarkeit und zu lautes Fordern und Rufen. Für unser ständiges Aufbegehren und dass wir die Mitte der Gesellschaft nicht mehr mitnehmen.
Zu laut? Zu fordernd? Wie kann der Ruf nach Freiheit und Gleichberechtigung jemals zu laut oder zu fordernd sein? Die Mitte der Gesellschaft ist mit uns überfordert? Was ist mit unserer Überforderung, dass wir noch immer nicht überall grundgesetzlich geschützt sind, dass die Selbstbestimmung über unser Geschlecht weiterhin auf sich warten lässt, dass unsere Existenz aus Schulbüchern und Schulunterricht ausradiert wird, dass uns Hass und Gewalt auf offener Strasse entgegenweht?
Es liegt an uns, die Pride-Saison und den CSD politisch und kämpferisch zu gestalten. Mit unseren queeren Körpern auf der Strasse und laut mit den Füssen trampelnd der Politik und der Gesellschaft aufzuzeigen, was eben nicht alles gut ist. Nicht nur an einem Tag oder für ein paar Wochen im Jahr. Sondern an jedem verdammten Tag, solange die Rechte von queeren Menschen bedroht sind – egal wo.
Einen Aufschrei, der erhört wird! Keine verdammte Party für die Mitte zum Glotzen!
Ich will einen Aufschrei, der den Tag des CSDs überdauert, dessen Widerhall noch Wochen und Monate zu hören und zu spüren ist. Einen Aufschrei, der Queers auf der Welt verbindet. Einen Aufschrei, der erhört wird! Keine verdammte Party für die Mitte zum Glotzen!
Die trans Perspektive
Anastasia Biefang war die erste trans Kommandeurin der deutschen Bundeswehr und Protagonistin des Films «Ich bin Anastasia». Sie wohnt in Berlin.
[email protected] Illustration: Sascha Düvel
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*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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