Dorothea Neff – Queere Heldin unterm Hakenkreuz

Romanbiografie über das Leben zweier Frauen in der NS-Zeit

Foto: Pixabay
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In seinem neuen Buch erzählt der bekannte ORF-Journalist Jürgen Pettinger, wie die queere Schauspielerin Dorothea Neff ihre Freundin vor den Nazis versteckte.

Der ORF-Journalist und Autor Jürgen Pettinger wurde für seine Features und Reportagen im Fernsehen und im Radio mit namhaften Journalismus-Preisen ausgezeichnet. Vor zwei Jahren schrieb er das viel beachtete Buch «Franz: Schwul unterm Hakenkreuz» (MANNSCHAFT berichtete). Darin geht es um einen schwulen Mann, der in Österreich im Alter von 21 Jahren von den Nazis zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.

Jetzt erscheint von Pettinger das Buch «Dorothea: Queere Heldin unterm Hakenkreuz» über die queere Schauspielerin Dorothea Neff (1903 bis 1986), die ab 1941 ihre jüdische Freundin Lilli Wolff als U-Boot in ihre Wohnung in der Wiener Innenstadt versteckt hielt. Dazu waren viel Mut und Opferbereitschaft erforderlich. Die Leser*innen bekommen ein Gespür für die Ängste und die Bedrohung, die mit der jahrelangen Geheimhaltung verbunden waren. Die Entdeckung des Verstecks hätte für beide Frauen den sicheren Tod bedeutet. Denn ab Ende Oktober 1941 war es allen sogenannten Arier*innen verboten, mit jüdischen Menschen befreundet zu sein. Hinzu kam, dass in Österreich damals sexuelle Handlungen nicht nur zwischen Männern sondern auch zwischen Frauen mit schwerem Kerker bestraft wurden. Die Nazis änderten hier das österreichische Strafgesetz nicht.

Der Autor beschreibt das Leben der beiden Frauen in der NS-Zeit in Form einer Romanbiografie. Um ein möglichst authentisches Bild zu bekommen, hat er Dokumente und Tonaufnahmen ausgewertet. Im Gegensatz zu einer historischen Abhandlung besteht der Vorteil der Romanbiografie darin, dass die Leser*innen an den Gefühlen der beiden Frauen teilhaben können. Beim Lesen werden die Liebe, die Ängste, die Ohnmacht und die Verzweiflung spürbar.

Nach aussen hin zeigte sich Dorothea Neff in Wien als alleinstehende Frau. Sie wechselte 1939 an das Volkstheater und wurde dort eine beliebte und bekannte Schauspielerin. Nicht nur im Theater, sondern auch im Alltagsleben waren Bespitzelungen und Denunziationen allgegenwärtig. Damit keine Gerüchte auftauchten, lud Dorothea Neff vorsorglich Menschen in ihre Wohnung in der Wiener Annagasse ein. In dieser Zeit versteckte sich die jüdische Freundin im Kaminschacht hinter dem Kachelofen. Sie musste sich «mucksmäuschenstill» verhalten, wie Pettinger schreibt. Auch sonst war das Leben als versteckte Person eine Qual. Wenn Lilli Wolff alleine war, musste sie sich tot stellen. Sie durfte kein Licht aufdrehen. Sie bewegte sich wenig, weil der alte Parkettboden so laut knarrte, «dass es bis ins Treppenhaus zu hören war», schreibt Pettinger.

Besonders schlimm war der Hunger. Dorothea Neff teilte mit ihrer jüdischen Freundin die Rationen von einer Lebensmittelkarte. «Die Rationen reichten für eine einzelne Person gerade so zum Überleben, für zwei war es in jedem Fall zu wenig», heisst es in dem Buch. Die Freundin litt zunächst an Hungerkrämpfen, doch der Zustand verschlechterte sich. In ihrer Verzweiflung, wandte sich Dorothea Neff an den jungen Arzt Erwin Ringel, der im gleichen Haus wohnte. Ringel wurde später ein renommierter Psychiater und Psychotherapeut, der mit dem Buch «Die österreichische Seele» Berühmtheit erlangte. Ringel kümmerte sich fortan um Lilli Wolff. Später schrieb er, dass es sich bei den geheimen Treffen um seine erste Psychotherapie gehandelt habe, ohne damals zu wissen, was Psychotherapie eigentlich war.

Im Jahr 1944 musste Lilli Wolff wegen eines Geschwulst in der Brust in ein Krankenhaus. Auch hier bewies Dorothea Neff viel Mut. Mit einer List gelang es ihr, dass ihre Freundin im Krankenhaus operiert wurde.



In dem lesenswerte Buch erfahren die Leser*innen auch viel über das damalige Theaterleben in Wien und den Kriegsalltag mit den Bombenangriffen. Am 1. September 1944 mussten alle Theater kriegsbedingt schliessen. Dorothea Neff musste zum Arbeitsdienst. Die Nazis hoben die Arbeitszeit in allen Bereichen auf sechzig Stunden in der Woche an. Im April 1945 wurde Wien befreit. Damals konnte sich Lilli Wolff zum ersten Mal wieder im Sonnenlicht zeigen. Ihre Retterin Dorothea starb 1986. Sie wurde in einem Ehrengrab der Stadt Wien am Wiener Zentralfriedhof bestattet. Auf ihrem Grabstein steht: «Wer einmal ein Leben rettet, rettet die ganze Welt».

Das Buch erschein am Montag (2. Oktober). Am Dienstag, den 10. Oktober um 19 Uhr, liest Jürgen Pettinger im Gugg aus seinem Buch «Dorothea – Queere Heldin unterm Hakenkreuz».

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