Die schwulen Schwarzwaldmädel – von der Reeperbahn nach Zürich
Das Pink Apple Festival zeigt die Doku «Tunten zwecklos»
Der Dokumentarfilm «Tunten zwecklos – Das geheimnisvolle Leben der Hamburger Bollenmädels» von Jutta Riedel und Mirek Balonis kommt am 1. Mai im Rahmen des Pink Apple Festivals in Zürich ins Kino.
In dem 83-minütigen Film geht es um die Hamburger «Bollenmädels», die im Kostüm typischer «Schwarzwäldmädel» – wie in der gleichnamigen Operette von Leon Jessel – auftreten und singen bzw. tanzen. Sie tun das bei CSDs oder anderen Veranstaltungen, bei denen es um Vielfalt und Gleichstellung geht.
In der Doku kommen die einzelnen Mitglieder der Gruppe zu Wort und schildern ihr Coming-out sowie ihre ersten Erfahrungen in der westdeutschen Schwulenszene der späten 1970er-Jahre sowie in den Achtzigern, vor und nach Ausbruch der AIDS-Epidemie.
In den Schilderungen wird eine Subkultur in Erinnerung gerufen, die es so nicht mehr gibt. Ältere Zuschauer werden bei diesem Film oftmals denken: «Das kenne ich gut.» Etwa die Kontaktaufnahme über Annoncen bzw. Chiffre-Anzeigen, als es noch keine Dating-Apps gab, erste Ausflüge junger Männer ins «geheimne» Nachtleben, Cruising in Parks und öffentlichen Toiletten, wo die Polizei Kameras hinter Spiegeln versteckte usw.
Jüngere Zuschauer werden vermutlich eher staunen, wie verklemmt und gehemmt vieles in Westdeutschland vor 40 Jahren war – und was für ein Krampf es damals war, offen schwul zu leben, wie Eltern ihre Kinder vor die Tür setzten und den Kontakt abbrachen, wie es keine Möglichkeit gab, sich zum Thema Sexualität jenseits der Heteronorm zu informieren etc.. In diesem Sinn ist «Tunten zwecklos» eine reich bebilderte und oftmals auffallend persönliche Geschichtsstunde.
Wieland Speck sagt zum Film und den Regisseur*innen im begleitenden Pressematerial: «Ich wusste nichts von den Bollenmädels und so ist euer Film ein schönes Stück Historie und zeitgenössische Geschichte. Ich finde es sehr wichtig die subkulturellen Puzzleteile und damit Zusammenhänge von Emanzipation aufzuzeigen ohne die es keine grössere Bewegung gäbe. Die Animationen heben das Ganze auch auf eine allgemeingültigere Ebene und die hergeleiteten Einzelgeschichten der Protagonisten ergeben zudem ein Bild der Herkunftsgesellschaften, zu denen der Wandel von Familienverständnis gehört wie der Film aufzeigt.»
Geformt von den Zumutungen und Chancen ihres historischen Moments Die Medientheoretikerin Claudia Reiche aus Hamburg sagt in einem Statement: «Ich sah den Film in Frankreich: gerührt begeistert dynamisiert. Die Erzählungen der Mädels, die zu den verschiedenen Themen so scharf zusammengestellt waren, dass sich die Geschichte der Gruppe fast wie die eines (starken, verschlungenen, freundlichen und wilden) Wesens entziffern liess – geformt von den Zumutungen und Chancen ihres historischen Moments – war für mich politischer Film vom Feinsten. Super mit den knappen Inserts von Fernsehballett bis Gauweiler: Endlich wurde das Publikum mal nicht unterschätzt und ohne belehrenden Gestus Kontext vermittelt. Beeindruckend auch in der Offenheit, Verletzbarkeit, die in den Erzählungen rüberkam. Danach lässt sich freier atmen.»
Zu den spannenden Einzelementen der Doku gehören Zeitungsausschnitte aus den 1980er-Jahren, aus denen z.B. hervorgeht, dass die Schweiz damals das «AIDS-Land Nummer 1 in Europa» gewesen sein soll. Bemerkenswert ist auch, dass fast alle Protagonisten im Film von ersten homoerotischen Gefühlen im Alter von acht oder neun Jahren sprechen – und von ihren ersten sexuellen Begegnungen mit Männern, die älter waren als sie selbst. Die Begegnungen werden teils als «schlechter Sex» beschrieben, auch als «unangenehm». Aber nie in den Kontext einer Pädophiliedebatte gerückt, geschweige denn mit einer Machtmissbrauchsdiskussion verknüpft.
Vielmehr betonen alle im Film, dass diese ersten sexuellen Erfahrungen – egal wie geglückt oder nicht sie waren – ihre freie Eigenentscheidung waren und zu ihren Coming-of-age-Erfahrungen dazugehören.
Am Ende des Films sagt einer der Protagonisten, dass heute Schwulsein «zum alten Eisen» gehört und die Bezeichnung «schwul» für jüngere LGBTIQ «zu einseitig» sei. Sie würden den Begriff «queer» bevorzugen. Auch andere im Film sagen, dass es «für ältere Männer eine sehr verwirrende Zeit» sei, heute schwul in der Queer Community zu sein.
Allerdings schliesst der Film mit Aufnahmen aus einem Tanzkurs, an dem die Böllermädel zusammen mit Heteros und Homos teilnehmen. Dabei wird betont, dass «diese Unterteilung» bei ihnen seit langem «ausgehebelt» sei. Und das finden sie gut. Womit der Film mit einer sehr queeren Note endet.
Der Film läuft am 1.5. um 15 Uhr im Rahmen des Filmfestivals im Kino Arthouse Movie 1, anschliessend gibt es ein Gespräch mit den beiden Filmemacher*innen sowie dem Protagonisten Stefan Moos.
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