Die Methode Fassbinder – «Schlafen kann ich, wenn ich tot bin»
Neue Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn
Er verwüstete Hotelzimmer und konnte explodieren, wenn der Rotkohl nicht schmeckte: Rainer Werner Fassbinder gilt als Enfant terrible des deutschen Nachkriegsfilms. Doch die Bundeskunsthalle zeichnet jetzt ein anderes Bild. Von Christoph Driessen, dpa
1982 kam es in New York zu einer bizarren Begegnung von Pop Art-Künstler Andy Warhol und Star-Regisseur Rainer Werner Fassbinder. Der Deutsche war Kettenraucher, Alkoholiker, stark übergewichtig, totenbleich und bekanntermassen schwer kokainabhängig. Umso merkwürdiger musste es auf ihn wirken, dass der drahtige Warhol ihm seine Gymnastiklehrerin vorstellte und sich erkundigte: «Treiben Sie auch Gymnastik?» Fassbinder blickte seinem Gegenüber nur unverwandt ins Gesicht. In seinem Tagebuch hielt Warhol fest: «Ein merkwürdiger Typ, dieser Fassbinder.»
«Merkwürdig» war noch eine der mildesten Umschreibungen für den Filmemacher. Fassbinder galt als Bürgerschreck, der Hotelzimmer verwüstete und einen Wutanfal bekommen konnte, wenn der Rotkohl nicht so schmeckte wie bei seiner Mutter. Eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn von diesem Freitag bis zum 6. März kommenden Jahres zeichnet jetzt aber ein anderes Bild. Hier erscheint Fassbinder als disziplinierter Arbeiter, umtriebiger Produzent und belesener Literaturkenner. Dabei stützen sich die Kuratoren Susanne Kleine, Hans-Peter Reichmann und Isabelle Louise Bastian auf den umfangreichen Nachlass.
Der 1945 nur wenige Tage nach der deutschen Kapitulation in Bayern geborene Fassbinder wuchs in München auf, wo er schon als Fünfjähriger von seiner Oma mit ins Kino genommen wurde. «Ich habe alle meine Gefühle im Kino gelernt», bekannte er. Früh verkündete er seiner Mutter, dass er später Filme machen werde. Etwas anderes stand für ihn ebenfalls fest, wie sie sich später erinnerte: «Mit 14 kam er zu mir in die Küche und sagte freudestrahlend: „Mutti, ich bin schwul.“ Da dachte ich, jetzt muss er zum Psychiater.»
Nach der Schauspielschule fand Fassbinder übers Theater zum Film, sein Durchbruch kam 1969 mit «Liebe ist kälter als der Tod». Wie kaum ein anderer Künstler spiegelt er in seinem Werk die junge Bundesrepublik, mitunter jedoch so subtil, dass dies heute nicht mehr ohne weiteres erkennbar ist.
So hielt er sich in seiner Verfilmung von Theodor Fontanes «Effi Briest» streng an die literarische Vorlage, sämtliche Dialoge übernahm er wörtlich aus dem 1895 erschienenen Roman. Dennoch konnten vor allem viele Zuschauerinnen die verheerende Wirkung gesellschaftlicher Zwänge und das Verhaftetsein in alten Strukturen sofort wiedererkennen.
«Er hatte Bilder im Kopf, und dann ist er sehr strukturiert daran gegangen, sie umzusetzen», erläutert Kleine. «Wir haben die Ausstellung deshalb bewusst ‚Methode Rainer Werner Fassbinder‘ genannt, weil wir sein methodisches Vorgehen, sein kluges Überlegen darstellen.» Seine 45 Filme entstanden in rasender Schnelligkeit, oft in nur wenigen Tagen. Und während er den einen Film noch drehte, sammelte er bereits Fördermittel für den nächsten. «Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben», sagte er. «Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.»
Privates und Berufliches war bei ihm nicht zu trennen – die Schauspieler und Schauspielerinnen, mit denen er zusammenarbeitete, waren auch seine Freunde und Liebhaber, seine Ersatzfamilie. «Er leistete sich etwas, was die meisten Menschen sich nicht einfach leisten können», sagte die Schauspielerin Brigitte Mira über ihn. «Er war er – und er war so undeutsch wie nur was.»
Die Ausstellung vereint eine Vielzahl von Archivmaterial mit Fotos, Plakaten und Filmausschnitten. Durch alle Räume zieht sich eine aufwändig gemachte Zeitleiste mit wichtigen Ereignissen aus Politik und Kultur der jungen Bundesrepublik. Dort kann man sich sofort festlesen. So wird der Besuch gerade für Ältere zu einem Gang durch ihr eigenes Leben.
«Ich möchte für das Kino sein wie Shakespeare fürs Theater», war Fassbinders Anspruch. Der Mann, der nie Urlaub machte, lebte so extrem, wie er arbeitete. Am 10. Juni 1982, zehn Tage nach seinem 37. Geburtstag, starb er in München an einer Überdosis Kokain. Danach sei der deutsche Film mit läppischen Komödien sofort wieder in die Provinzialität zurückgesunken, sagt Reichmann. «Das war der grosse Cut, der da stattgefunden hat.»
Die Ausstellung «Methode Rainer Werner Fassbinder» in der Bundeskunsthalle in Bonn läuft vom 10. September 2021 bis zum 6. März 2022. Geöffnet dienstags und mittwochs 10 bis 21 Uhr, donnerstags bis sonntags 10 bis 19 Uhr. Eintritt zehn Euro, ermässigt 6,50 Euro. Eintritt frei bis einschliesslich 18 Jahre.
Ein Schauspieler, der viel mit Fassbinder gedreht hat, ist Harry Baer. Der habe aber nicht alles mitgemacht, erzählt er im Interview mit MANNSCHAFT+ – «zum Beispiel seinen Theaterwahnsinn, als er nach Frankfurt zum Theater im Turm oder zum Zadeck nach Bochum ging. Und mir fehlt da gar nichts, denn ich kenne aus diesen Zeiten eigentlich nur Horrorgeschichten».
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