«Die Lügen über die Stonewall Riots ärgern mich wirklich»
Ein Augenzeuge erinnert sich an den Aufstand vor der Bar «The Stonewall Inn»
Robert Bryan war bei die legendären Stonewall Riots in New York dabei. Im Interview mit der MANNSCHAFT erinnert er sich an jene Nacht vor 50 Jahren. Die heutige Erinnerungskultur kritisiert er als historisch ungenau.
Robert Bryan wuchs in den Vororten von Washington, D. C., auf und studierte an der University of Virginia und der George Washington University. Kurz vor den Stonewall Riots zog er als 19-Jähriger nach New York, nur wenige Blocks von der Bar entfernt. Nachdem er bei der Investment Bankers Trust gearbeitet hatte, wechselt er zum New York Times Magazine und leitete dort den Bereich Männermode. Er lebt heute im East Village in New York.
New York platzt vor Stolz – der ganze Bundesstaat feiert World Pride
Robert, du warst am Tag des Aufstands vor der Stonewall Bar. Wie ging es damals los? Wir waren auf der Christopher Street, als auf einmal jemand die Strasse entlang gerannt kam und rief: Kommt zum Sheridan Square, dem Platz vor dem Stonewall Inn, irgendetwas passiert dort. Also sind wir hingegangen. Es hatte sich schon eine Menschenmenge versammelt, während die Polizei unter anderem einige Dragqueens aus der Bar herausführte. Die Leute vor der Bar machten allerlei bissige Kommentare, es wurde gelacht. Die Stimmung war zu diesem Zeitpunkt ausgelassen, sogar fröhlich.
Sie war nicht aggressiv? Zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aber dann führte die Polizei eine maskuline Lesbe sehr grob ab. Sie wehrte sich und rief uns zu: «Was steht ihr da einfach rum? Tut etwas! Kämpft! Helft mir!» Ganz plötzlich änderte sich die Stimmung. Ich erinnere mich, dass ich angefangen habe, Steine in die Hand zu nehmen, mit denen eigentlich die Flächen rund um die Bäume auf dem Bürgersteig begrenzt waren. Die Leute begannen mit allem zu werfen, was sie in die Finger kriegen konnten. Dann zog sich die Polizei in die Bar zurück.
Nicht mal in New York gab es einen Ort wie Stonewall, ausser dem Stonewall selbst
Wie änderte das die Stimmung? Wir fühlten uns wie Sieger. Denn es gab diesen über lange Zeit angeschwollenen Ärger auf die Polizei, der sonst stets knapp unter der Oberfläche brodelte. Alle hatten die Situation satt, in der wir uns befanden, und in diesem Moment wurde das freigesetzt. Der Aufstand hatte deshalb übrigens auch nichts mit dem Tod von Judy Garland zu tun (wegen der Beisetzung der Homo-Ikone kurz zuvor sollen sich viele Schwule in New York aufgehalten haben, Anm. d. Red.). Und ich jedenfalls dachte in dem Moment auch nicht in Schlagworten wie «Gay Power» oder daran, dass dies eine historische Nacht werden könnte.
Wolltest du Polizisten verletzen? Darüber habe ich gar nicht viel nachgedacht. Alle Gedanken kreisten nur um den Kampf an sich. Ich hatte im Laufe der Auseinandersetzungen beispielsweise mit voller Kraft einem Polizisten, der gerade auf jemanden einknüppeln wollte, in den Hintern getreten. Dann wollte mich ein anderer Polizist festnehmen, aber ich konnte fliehen, rannte mehrere Blocks, bis ich ihn endlich abgeschüttelt hatte.
Das dunkle Geheimnis des Stonewall Inn – in den Händen der Mafia
Bist du danach zum Stonewall Inn zurückgekehrt? Ja. Wir waren so voller Zuversicht, dachten, dass wir den Kampf gewonnen hätten. Jahre später habe ich dann einmal einen Polizeioffizier gehört, und wie er von seiner Angst berichtet hat. Denn es wurden nicht nur Gegenstände geworfen. Einige hatten auch versucht, die Bar anzuzünden. Zum Glück hat die Polizei nicht geschossen.
Welche Konsequenzen hätte es gehabt, wärest du geschnappt worden? Ich habe damals bei Bankers Trust gearbeitet. Nach einem Angriff auf einen Polizeibeamten wäre ich nicht nur den Job losgewesen, sondern hätte im Gefängnis gesessen. Das hätte mein ganzes Leben ruinieren können.
Die Frage, wer an den Aufständen genau teilgenommen hat, löst immer wieder Diskussionen aus. Du sagtest, die Gäste der Bar seien sehr vielfältig gewesen. Unterschiedlich schon, es gab aber nur wenige Latinos und fast keine Afroamerikaner. Ich erinnere mich an wenige Dragqueens. Sie alle kamen meist gar nicht am Türsteher vorbei. Die Bar war ja bereits in genügend Schwierigkeiten, und Travestie war damals illegal. Viele Afroamerikaner lebten zu jener Zeit in Harlem oder ausserhalb Manhattans. Dort gingen sie auch aus. Im Village gab es also nicht viele Afroamerikaner. Das Stonewall galt allgemein als eine von Weissen besuchte Bar. Im Nachhinein aber erinnert die Geschichte an Woodstock: Alle behaupten heutzutage ja, in Woodstock dabei gewesen zu sein. Und auch die Zahl derjenigen, die behaupten, bei den Stonewall-Aufständen dabei gewesen zu sein, ist immer weiter gestiegen.
Was denkst du über diese Behauptungen? Ich fühle mich auch persönlich angegriffen, denn hier wird Geschichte umgeschrieben, auch meine eigene Geschichte. Ich bin über solche Lügen wirklich verärgert. Es geht diesen Leuten darum, die Geschichte für etwas zu missbrauchen, das ihnen heute politisch gut in den Kram passt.
Du sagtest, der Aufstand sei wie ein Ventil gewesen. Wie sahen die Polizeiübergriffe vorher aus? Ich erinnere mich, dass in den Bars manchmal plötzlich die Jukebox zu spielen aufhörte und alle Lichter angingen. Ich erinnere mich komischerweise nicht mehr an die Polizei selbst, die dann ja durch die Bar gegangen sein muss.
Wie habt ihr euch dabei gefühlt? Wir waren aufgebracht, aber auch besorgt. Wir hatten natürlich auch ein bisschen Angst. Man versuchte, so normal wie möglich auszusehen und nicht zu provozieren. Die Hippies, die Afroamerikaner, Schwule und junge Leute waren den «Schweinen» gegenüber feindlich eingestellt, wie wir die Polizisten nannten. Auch ich hasste die Polizei, und das, obwohl ich vorher an der konservativen Universität von Virginia studiert hatte.
Stonewall Riots: New Yorker Polizeichef entschuldigt sich
Man hört immer wieder von der schlechten Qualität der Drinks im Stonewall Inn und Problemen mit der Hygiene insgesamt. Ja, aber ich bin nicht wegen der Drinks gekommen, und ob die Gläser dreckig waren oder nicht, hat mich nicht interessiert. Ich war da, um hübsche Jungs kennenzulernen. Wir hatten auch unsere Abendroutine. Zuerst gingen wir auf einen Drink in die Bar Julius’, gleich um die Ecke. Dann weiter ins Stonewall, dort blieben wir für ein paar Stunden. Und meistens ging ich danach zu den Trucks.
Zu den Trucks? Das waren Lastwagen, die am Ende der Christopher Street an den Piers standen und deren Anhänger nachts geöffnet waren. Ich hatte schon an der Universität davon gehört. Jemand sagte: «Oh, der ist wirklich krass, der geht in New York zu den Trucks.»
Dort hatte man Sex. Ja, die Trucks waren dunkel, man konnte kaum etwas sehen, und sie waren voller Männer. Wenn die Polizei kam, was sie manchmal tat, umstellte sie die Trucks mit bis zu 20 Wagen und verhaftete die Leute. Einmal hätten sie mich fast erwischt, aber auch damals war ich schnell genug, um abzuhauen.
Die Frage, wer an den Aufständen genau teilgenommen hat, löst immer wieder Diskussionen aus. Du sagtest, die Gäste der Bar seien sehr vielfältig gewesen. Unterschiedlich schon, es gab aber nur wenige Latinos und fast keine Afroamerikaner. Ich erinnere mich an wenige Dragqueens. Sie alle kamen meist gar nicht am Türsteher vorbei. Die Bar war ja bereits in genügend Schwierigkeiten, und Travestie war damals illegal. Viele Afroamerikaner lebten zu jener Zeit in Harlem oder ausserhalb Manhattans. Dort gingen sie auch aus. Im Village gab es also nicht viele Afroamerikaner. Das Stonewall galt allgemein als eine von Weissen besuchte Bar. Im Nachhinein aber erinnert die Geschichte an Woodstock: Alle behaupten heutzutage ja, in Woodstock dabei gewesen zu sein. Und auch die Zahl derjenigen, die behaupten, bei den Stonewall-Aufständen dabei gewesen zu sein, ist immer weiter gestiegen.
Was denkst du über diese Behauptungen? Ich fühle mich auch persönlich angegriffen, denn hier wird Geschichte umgeschrieben, auch meine eigene Geschichte. Ich bin über solche Lügen wirklich verärgert. Es geht diesen Leuten darum, die Geschichte für etwas zu missbrauchen, das ihnen heute politisch gut in den Kram passt.
In diesem Jahr wird in New York der Jahrestag der Aufstände besonders gross gefeiert. Wie fühlt sich das für dich an? Heute können wir heiraten und Kinder adoptieren. Dabei hatten wir uns damals gesagt, dass wir Glück hätten, schwul zu sein, weil wir uns keine Gedanken darum machen mussten, zu heiraten oder Kinder zu haben. Anstelle all dieser Verpflichtungen konnten wir unser Leben uns selbst widmen, unabhängig und frei sein. Das habe ich in vollen Zügen genossen. An einem Ort zu sein, an dem sich die Leute frei bewegen, tanzen und Spass haben konnten, um danach in den Trucks zu verschwinden – all das hat mein Leben auf dramatische Art und Weise verändert.
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