Das ist Sapphic Pop: Weiblich und horny

Chappell Roan im Hollywood Palladium 2022.
Chappell Roan im Hollywood Palladium 2022 (Bild: Justin Higuchi/CC BY 2.0)

Frauen, die ganz offen über Liebe zu Frauen singen – das ist Sapphic Pop. Doch warum ist diese Musik gerade so erfolgreich? Und geht es nun endlich der Übermacht der Männer im Pop an den Kragen?

«I hate it when dudes try to chase me – But I love it when you try to save me» (Ich hasse es, wenn Typen versuchen, mich anzumachen – Aber ich liebe es, wenn du versuchst, mich zu retten) singt King Princess im Song «1950». Ähnlich unverblümt ist die Band Muna: «She said I got her if I want – She's so soft like silk chiffon» (Sie sagt, ich kann sie bekommen, wenn ich möchte – Sie ist so weich wie seidener Chiffon).

Dies ist nicht mehr das Verschämte und Verborgene, was man oftmals in der Popmusik hören konnte, das Singen hinter vorgehaltener Hand – wenn es überhaupt etwas zu gleichgeschlechtlicher Liebe in Songtexten gab, das ernst gemeint war.

«Die Celesbians fühlen sich jetzt frei, offen geil zu sein», schrieb US-Autor*in James Factora in einem Text über Sapphic Pop auf dem Portal them. Zwar habe es in den letzten Jahrzehnten auch immer mal wieder lesbische Inhalte in Songs gegeben, aber diese seien oftmals eben nur plakativ gewesen, fast plump, sagt Factora. Etwa Songs wie «Closer» von Tegan und Sara von 2013. Solche Songs vermieden «gekonnt jegliche explizite Anspielung auf gleichgeschlechtliches Verlangen», beklagt Factora.

Ein grosser Schritt um dem Sapphic Pop eine viel grössere Reichzweite zu geben, war in diesem Jahr Billy Eilish’s Song «Lunch». Nun ist sicher Billy Eilish nicht als Sapphic-Pop-Künstlerin auf die Welt gekommen, aber ihre ungeheure Bekanntheit hat wesentlich zur Verbreitung des Pop-Genres beigetragen. Dort singt sie: «I could eat that girl for lunch – Yeah, she dances on my tongue – Tastes like she might be the one» (Ich könnte das Mädchen zum Mittag essen – Yeah, sie tanzt auf meiner Zunge – Sie schmeckt, als könnte sie die Richtige sein). In einem Interview mit dem Magazin Rolling Stone sagte die Sängerin dann auch noch, dass ihre Inspiration für das Lied aus ihrer Erkenntnis komme, dass sie «ihr Gesicht in einer Vagina haben wollte.»

Bis vor einigen Jahren schienen solche Songtexte in der Mainstream-Popmusik noch unvorstellbar. Katy Perry’s «I kissed a girl» war 2008 noch sehr verschämt. Viele erinnern sich auch noch an den grossen Aufschrei vor 20 Jahren, als Madonna und Britney Spears sich bei den MTV-Music Awards küssten. Dagegen steht heute Chappel Roans «Red Wine Supernova», wenn sie singt: «I heard you like magic – I've got a wand and a rabbit – So baby, let's get freaky, get kinky – Let's make this bed get squeaky» (Ich habe gehört, du magst Magie – Ich habe einen Zauberstab und einen Hasen – Also Baby, lass uns verrückt und kinky werden – lass uns dieses Bett zum Quietschen bringen). Chappell Roan selbst sagt übrigens, dies sei ein «ein kitschiger Song für homosexuelle Mädchen, der die Magie von Gefühlen für ein anderes Mädchen einfängt».

So neu das Phänomen ist, so weit reicht der Begriff zurück. Sapphic Pop geht auf die antike Dichterin Sappho zurück, die auf der griechischen Insel Lesbos lebte. Von ihr stammen etwa Zeilen wie: «Denn jedes Mal, wenn ich auf dich schaue – nur kurz –, dann kann ich nicht mehr sprechen, sondern meine Zunge ist gelähmt, still, und ein feines Feuer schleicht sich sofort unter meine Haut …». Dass sich nun dieses Pop-Genre ausgerechnet den Namen einer Antiken Dichterin gibt, soll natürlich auch allen klarmachen: Uns gibt es schon immer, und so lange hat es gedauert, bis ihr uns wahrnimmt!

Dennoch darf man nicht den Fehler machen, zu glauben, dass dieses Phänomen nur in unserer heutigen liberalen Gesellschaft möglich sein konnte. Wie James Factora betont, sei es wichtig, die Wurzeln dieses Phänomens zu beleuchten. So habe die Blueskünstlerin Ma Rainey schon in den 1920er Jahren in den USA über Liebe zwischen Frauen gesungen. Ausserdem weist Factora darauf hin, dass es vor allem an der Popmusik selber liege, dass sie etwas spät dran sei, denn im Rap und R’n’B habe es auch früher schon Texte zu weiblicher gleichgeschlechtlichem Begehren gegeben.

Bevor der Sapphic Pop seinen Durchbruch hatte, musste Popmusik immer auch an ein heterosexuelles Publikum gerichtet sein, sagte kürzlich Ulla Heinrich, Geschäftsführer*in des Missy Magazins im Deutschlandfunk-Kultur. So sei für die Musikindustrie immer die Frage entscheidend gewesen: «Was können die Heteros ertragen? Was stellen die sich eigentlich unter Queerness vor?» Queere Sexualität ausserhalb von schwuler Sexualität habe in der Popmusik in den letzten 40 Jahren «sehr selten stattgefunden», beklagt Heinrich. Dass es solange gedauert habe, liege daran, dass das Business weit überwiegend von «weisen, cis, Hetero-Männern aus der Mittelschicht bestimmt wird».

Was Sapphic Pop neben aller Fröhlichkeit und lustvollem Selbstbewusst also auch ist: Ein Versuch, den Männern ihre Territorien etwas zu nehmen – auch den schwulen in der Musik. Dieser Meinung ist auch Martin Busse, Musikkritiker von MANNSCHAFT. So seien die prägenden musikalischen Einflüsse im Sapphic Pop vor allem solche, die in der Vergangenheit stark mit Männern und generell weniger mit Frauen assoziiert worden seien, meint Martin Busse. Hierzu zählen besonders Indie, Alternative und Electronica.

Schwule Männer seien nach wie vor die privilegierteste Gruppe innerhalb der LGBTIQ-Community. «Meiner Erfahrung nach fällt es ihnen schwer, Ruhm abgegeben zu müssen. Andere Gruppen wie Trans- oder Inter-Menschen/Musiker*innen erlebe ich da offener. Sie erkennen schneller die Chancen, die darin liegen, sich gegenseitig die Hände zu reichen», erklärt Busse. Das Phänomen des Sapphic-Pop könne dem vielleicht tatsächlich etwas entgegensetzen, glaubt der Musikkritiker, weil die dahinter stehenden Themen klarer und eindeutiger adressiert würden.

Doch woher kommt jetzt auf einmal nun der Erfolg? «Die Musik klingt insgesamt selbstbewusst, frei, energiegeladen. Als hätten die Sapphic-Pop-Vertreter*innen die Fesseln gesprengt, die man lange mit Frauen im Pop-Business assoziiert hatte», sagt der Betreiber des Musik-Blogs «Einen hab ich noch». Damit hätten dieser Musiker*innen das abgelegt, was im Popmusik-Business, aber auch in Teilen der Gesellschaft noch immer Frauen angeheftet wird: Nämlich, angeblich sexuell stets verfügbare Objekte zu sein, denen immer etwas Naives anhafte, die aber auch wüssten, dass sie sich nicht zu laut auflehnen dürften. Nicht zu vergessen, sei aber natürlich auch das, was im Zentrum jeder guten Musik stehe: Talentierte Musiker*innen, mit Gespür für gute Texte und mitreissende Melodien.

Nicht zu vergessen, sei aber, so Martin Busse, natürlich auch das, was im Zentrum jeder guten Musik stehe: Talentierte Musiker*innen, mit Gespür für gute Texte und mitreissende Melodien. «Plötzlich summen die Leute Songs mit, bei denen sie sich vielleicht fragen würden, ob sie das tun sollen, wenn sie sich mit dem Gesungenen näher beschäftigen würden. Aber das ist ja das Schöne».

Wie etwa bei Chappell Roan’s Song «Good Luck, Babe!», der seit seiner Veröffentlichung in diesem Jahr weltweit viele Hörer*innen gefunden hat, in dem sie singt: «Good luck, babe – You'd have to stop the world just to stop the feeling» (Viel Glück, Baby – Du müsstest die Welt anhalten, um deine Empfindungen unterdrücken zu können).

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