Selbstbestimmungsgesetz «braucht klare Regeln gegen Missbrauch»
Bundesinnenminister Dobrindt will schnell eine Reform
Der Fall von Neonazi Liebich verleiht der Debatte um das Selbstbestimmungsrecht Sprengkraft. Bundesinnenminister Dobrindt will das Gesetz reformieren.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) will das Selbstbestimmungsgesetz besser vor Missbrauch schützen. Anlass ist der Fall der Rechtsextremistin Marla-Svenja Liebich, die im Sommer 2023 – damals noch als Sven Liebich – wegen Volksverhetzung, übler Nachrede und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt worden war (MANNSCHAFT berichtete). Vor dem Gesetz gilt Liebich heute als Frau.
Dobrindt sagte jetzt dem Stern dazu: «Das ist ein Beispiel für den sehr simplen Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes.» Genau davor sei immer gewarnt worden, und darum müsse das Gesetz angepasst werden: «Es braucht jetzt eine Debatte darüber, wie wieder klare Regeln gegen den Missbrauch des Geschlechterwechsels verankert werden können», so Dobrindt.
Niemand könne laut Dobrindt.wollen, dass Beispiele wie das von Liebich Schule machten. «Die Justiz, die Öffentlichkeit und die Politik werden hier zum Narren gehalten, weil das Selbstbestimmungsgesetz die Möglichkeit dazu bietet.»
Dobrindt plant zudem eine «Verordnung zur Umsetzung des Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag im Meldewesen». Diese sieht ein Sonderregister für alle vor, die das Selbstbestimmungsgesetz nutzen oder genutzt haben – ein dauerhaftes Extra-Datenblatt mit dem früheren Geschlechtseintrag von trans, inter und nicht-binären Menschen. Dagegen formiert sich Widerstand: Eine entsprechende Petition hat über 240'000 Unterschriften gesammelt.
Zuvor hatte auch Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) Schwächen des Gesetzes eingeräumt, die Missbrauch begünstigten. Gleichwohl, so die Politikerin gegenüber Bild, sei eine niedrigschwellige geschlechtliche Selbstbestimmung wichtig.
Kritik von Queer-Verbänden Pläne des Bundesinnenministeriums lösen bereits Besorgnis bei Queer-Verbänden aus. Das Ministerium möchte, dass Menschen, die ihren Geschlechtseintrag und Vornamen im Personenstandsregister ändern lassen, drei neue Datenblätter zum früheren Geschlechtseintrag ausfüllen. Weitere Behörden wie die Rentenversicherung und das Bundeszentralamt für Steuern sollen dann über die Neuerungen informiert werden. Verbände wie die Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit (dgti) sehen darin einen massiven Eingriff in die Privatsphäre und einen Widerspruch gegen das Selbstbestimmungsgesetz.
Derweil haben mehrere Hundert Menschen in Mecklenburg-Vorpommern seit Inkrafttreten des neuen Selbstbestimmungsgesetzes ihren Geschlechtseintrag auf dem Standesamt ändern lassen. Das geht aus Angaben der sechs grössten Städte des Landes in einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur hervor.
Mit dem Gesetz, das seit dem 1. November 2024 gilt, kann jeder seinen Geschlechtseintrag und den Vornamen relativ einfach auf dem Standesamt ändern lassen. Zuvor waren dafür aufwendige Gutachten und eine Gerichtsentscheidung nötig.
In Schwerin liessen im November und Dezember vergangenen Jahres 24 Personen ihren Geschlechtseintrag ändern und streichen, wie die Pressestelle der Landeshauptstadt mitteilte.
In Mecklenburg-Vorpommerns grösster Stadt Rostock lagen dem Standesamt bis Dezember vorigen Jahres 180 Anmeldungen nach dem Selbstbestimmungsgesetz vor, wie ein Sprecher berichtete. In diesem Jahr seien es bis Mitte August 83 Anmeldungen gewesen. Zwischen der Anmeldung und der eigentlichen Erklärung, für die eine persönliche Vorsprache erforderlich ist, muss laut Gesetz eine dreimonatige Frist liegen.
Auch in den kleineren der grossen Städte des Landes ist das Interesse gross: Im Greifswalder Standesamt wurden vom 1. November 2024 bis 30. Juni dieses Jahres 79 Erklärungen zur Änderung von Geschlechtseinträgen abgegeben. In Neubrandenburg waren es im gleichen Zeitraum 35 und in Wismar 55, wie die Städte mitteilten. Stralsund meldet 61 geänderte Geschlechtseinträge seit Inkrafttreten des Gesetzes.
Das Selbstbestimmungsgesetz war eines der prominenten Vorhaben der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Es löste das frühere Transsexuellengesetz ab, das trans- und intersexuelle Menschen jahrelang kritisiert hatten.
Die schwarz-rote Koalition will das Gesetz auf den Prüfstand stellen. «Wir werden das Gesetz über die Selbstbestimmung im Bezug auf den Geschlechtseintrag bis spätestens 31. Juli 2026 evaluieren», heisst es dazu im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD.
Bei der Überprüfung des Gesetzes werde ein besonderer Fokus auf «die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, die Fristsetzungen zum Wechsel des Geschlechtseintrags sowie den wirksamen Schutz von Frauen» gelegt, heisst es. Ausserdem soll demnach «bei berechtigtem öffentlichen Interesse» die Nachverfolgbarkeit von Personen nach einer Namensänderung verbessert werden. Zugleich versichern die Koalitionär*innen, man wahre die Rechte von trans und inter Personen.
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