«Du weisst ja, dass ich auch auf Männer stehe»

Ein Buch über eine offene Ehe und Bisexualität

Anna Weiss im Portrait (Foto: Alex Weiss)
Anna Weiss im Portrait (Foto: Alex Weiss)

Anna Weiss hat ein Buch über ihre offene Ehe geschrieben. Es erzählt von Bisexualität in der Ehe, Dating-Pleiten und der grossen Liebe.

Es beginnt im Sommer vor fünf Jahren. Ihr Mann Alex ist bisexuell. 20 Jahre sind sie verheiratet, als er den Gedanken ausspricht, der ihre Beziehung neu definierte: «Du weisst ja, dass ich auch auf Männer stehe. Du bist mir das Wichtigste im Leben. Aber ich habe das Gefühl, dass ich so meine Bisexualität nicht ausleben kann.» Das Stichwort offene Ehe traute er sich damals gar nicht nennen. Doch das war, was er wollte. Sex mit anderen, ohne Anna zu verlieren.

Annas erster Gedanke: «Der tickt doch nicht richtig!» Immer wieder kam das Thema hoch, sie sprachen Monate darüber. Schliesslich stimmte Anna zu. Sie wünschte Alex «dass er das fand, was er suchte und sein Leben mit all seinen Facetten ausleben konnte.» Die neuen Freiheiten gelten für beide. Beide verändern sich. Während Alex sich seiner Bisexualität immer mehr bewusst wird, entdeckt Anna ganz neue Seiten ihrer Sexualität.

Das Buch erzählt von ihrem ersten Sex mit einem anderen Mann. Intime Details ohne anrüchig zu sein. Es liest sich wie ein Gespräch zwischen zwei guten Freund*innen. Sie schreibt über die Fragen, die sie sich selbst stellte. Sex haben ohne Gefühle – geht das? Wie geht Safer Sex? Bin ich eifersüchtig auf die Begegnungen meines Mannes? Leser*innen merken schnell: eine offene Ehe ist Arbeit.

Anna und Alex haben Regeln aufgestellt. Sie sagen Name und Adresse des Dates, bevor sie losgehen. Sie beantworten alle Fragen, die der andere stellt. Wie sieht dein Date aus? Kann er gut küssen? Ehrliche Kommunikation ist der Schlüssel.

Foto: Alex Weiss
Foto: Alex Weiss

Ehrlich ist Anna auch zu ihren Leser*innen. Vom flatternden Gefühl eine Frau zu küssen bis zur ersten Geschlechtskrankheit. Sie erzählt alles. Unverschnörkelt und in einem alltäglichen Ton, schreibt sie, wie man spricht. Angenehm zu lesen, man kann sich im Buch treiben lassen. Keine Wiederholungen. Jedes Kapitel beleuchtet einen neuen Aspekt der offenen Ehe. Auch die weniger offensichtlichen. Zum Beispiel, dass aus einer offenen Ehe schnell ein Wettbewerb werden kann. Wer hat die interessanten Dates? Wer den besseren Sex?

Nicht immer läuft alles gut. Dating-Pleiten gab es einige. Sie sind im Buch witzig beschrieben, geben allen Grund zum Schmunzeln und machen Lust, weiterzulesen. Das Kapitel «Pleiten Pech und Pannen» erzählt über einige Seiten nur von verkorksten Treffen. Erfahrungen, die viele Menschen teilen dürften.

Besonders eindrücklich ist das Kapitel «Frauen und Männer», das Ehemann Alex verfasst hat. Er erzählt von seiner Jugend und seinen ersten sexuellen Begegnungen – alle homosexuell. Anna ist die einzige Frau, mit der er bis dahin geschlafen hatte. War er wirklich bisexuell? Oder doch schwul? Er war sich unsicher. Das Öffnen der Ehe ermöglichte es ihm, Sicherheit über seine Sexualität zu gewinnen. Im Kapitel schreit er es in die Welt: «Ich bin bisexuell!»

Das Buch ist im GU-Verlag erschienen, der vor allem Ratgeber veröffentlicht. Wie ein Ratgeber kommt es allerdings nicht rüber. Anna schreibt über ihre Erfahrungen, ohne einen Rat aufzudrängen. Sie erzählt, wie sie die offene Ehe erlebt, das Daten und die Herausforderungen. Welchen Schluss die Leser*innen letztendlich für sich selbst daraus ziehen, ist ihnen überlassen.

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