Berliner HIV-Spezialist wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt
Ein wichtiges Zeichen für die queere Community, glaubt die Anwältin eines Opfers
Wegen sexuellen Missbrauchs ist ein Berliner HIV-Spezialist verurteilt worden. Er muss 36.000 Euro Strafe zahlen. Von Sascha Suden
Über 50 Vorwürfe gibt es gegen einen Berliner HIV-Spezialisten, der während der Behandlung sexuell übergriffig geworden sein soll. Nicht medizinisch indiziert, sondern nur zur eigenen sexuellen Erregung. Fünf mutmassliche Opfer haben bereits im Jahr 2013 Anzeige erstattet, die erst in diesem April zu einer Klage vor dem Berliner Amtsgericht geführt haben.
Nun wurde der 63-Jährige in einem Fall verurteilt. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Handlungen, die er an dem 45-jährigen Opfer durchgeführt hat, nicht medizinisch indiziert waren. Juristisch heisst das, dass er wegen eines sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses verurteilt wurde. Er wurde zu 150 Tagessätzen á 300 Euro verurteilt, gesamt 45.000 Euro. Grundlage ist sein geschätztes Netto-Monatseinkommen von 9.000 Euro.
Die angeklagten Vorwürfe reichen bis ins Jahr 2012. Doch sowohl die Ermittlungen wie auch die Anklageerhebung zogen sich in die Länge. Erst im Jahr 2016 wurde von der Staatsanwaltschaft Anklage erhoben, fünf Jahre später begann erst der Prozess. Dieses lange Verfahren führte auch zu einer Reduzierung der Strafe. 30 Tagessätze wurde dem Angeklagten erlassen, da die Belastung und die Presseberichterstattung über den Prozess zu seinen Gunsten gewertet wurden. Der HIV-Spezialist hatte den Missbrauch immer bestritten und gesagt, dass alle Handlungen medizinisch indiziert gewesen seien.
In drei Fällen war das Gericht nicht von der Schuld überzeugt. In einem Fall war es der Meinung, dass beide die sexuellen Handlungen wollten und der §174c dann nicht greift, der besagt, dass sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses strafbar ist. Das Gericht ist der Auffassung, dass dies nicht zutraf. Die Anwältin des Opfers Undine Weyers sieht es anders. «§174c sagt, selbst bei Einwilligung darf man nicht anpacken.»
Ich bin sehr froh, dass es zu einer Verurteilung gekommen ist.
Für sie ist die Verurteilung im Fall ihres Mandanten ein wichtiges Zeichen, auch für die queere Community. «Ich bin sehr froh, dass es zu einer Verurteilung gekommen ist. Es wäre verheerend gewesen, wenn es einen kompletten Freispruch gegeben hätte.»
In zwei weiteren Fällen war das Gericht nicht von der Schuld des Angeklagten überzeugt. Es meinte, dass sie nicht sagen können, ob das mutmassliche Opfer die Aussage wahr oder falsch sei. Denn es könne auch sein, dass der Zeuge Interesse an der Strafverfolgung hatte, nachdem er von einem Bekannten von den Vorwürfen gegen den Arzt gehört hatte. Dass er sogar extra in die Praxis gegangen sei, um es auszuprobieren, ob der Arzt sexuellen Missbrauch begehe. Es klang fast, als unterstellte der Richter dem mutmasslichen Opfer, dass er dem Arzt eine Falle stellen wollte. Deshalb in diesem Fall ein Freispruch.
Seine Anwältin macht das sprachlos. «Mir ist die Stimme weggeblieben bei der Begründung», so Barbara Petersen nach der Urteilsverkündung. Auch wenn es im Fall ihres Mandanten einen Freispruch gab, ist sie erleichtert, dass es zumindest eine Verurteilung gab. Ob sie in Berufung gehe wisse sie noch nicht, da der gesamte Prozess für ihren Mandanten sehr anstrengend gewesen sei. Sie ist sich allerdings sicher, dass das Verfahren in der queeren Community viel ausgelöst hat. Und endlich viele den Mut haben, über Missbrauch zu reden.
Nur eine kurze Manipulation Die relativ milde Strafe, die Staatsanwaltschaft hatte 11 Monate Haft gefordert, begründete der Richter mit der langen Verfahrensdauer und dass es sich nur um eine kurze Manipulation gehandelt hatte, also der Angeklagte nur den Penis bis zur Erektion stimulierte. Die rektale Untersuchung wertete das Gericht nicht als Missbrauch, da dies durchaus zu einer medizinisch indizierten Untersuchung laut einem Sachverständigen gehörte.
Bisher wurde Approbation nicht ruhend gestellt Beide Seiten haben nun eine Woche Zeit um Berufung einzulegen. In diesem Fall wird das Urteil nicht rechtskräftig, aber der verurteilte Mediziner darf als Sexualstraftäter bezeichnet werden. Das Gericht hat kein Berufsverbot ausgesprochen, sodass der HIV-Spezialist weiter praktizieren darf. Die zuständige Stelle, das Lageso in Berlin, hat sich bis heute geweigert, die Approbation ruhend zu stellen, obwohl sie die rechtlichen Möglichkeiten dazu gehabt hätte. Selbst die Ärztekammer befürwortete eine Ruhestellung bis zur Klärung der Vorwürfe durch ein Gericht. Für das Lageso scheint möglicher Opferschutz nicht zu zählen.
Ob sich jetzt andere Opfer durch das Urteil ermutigt sehen, ebenfalls den Mediziner anzuzeigen, bleibt abzuwarten. Es gibt noch ein weiteres Verfahren, das von dem Prozess abgetrennt wurde, da das mutmassliche Opfer derzeit nicht aussagefähig ist. Und bei der Staatsanwaltschaft liegt bereits eine neue Anzeige gegen den Arzt aus diesem April vor. Der Arzt und seine Anwälte, er hatte drei, wollten sich nicht zu der Verurteilung äussern und verschwanden sofort nach der Verkündigung, ohne sich der Presse zu stellen.
Auch der Hollywood-Star Kevin Spacey musste sich wegen Missbrauchs vor Gericht verantworten. Dann kam die Wende: Er könne nicht anonym verklagt werden, entschied ein US-Bundesgericht (MANNSCHAFT berichtete).
Immer wieder wird Homosexualität von konservativen oder rechten Politiker*innen mit Pädophilie gleichgesetzt – etwa dem Schweizer Jungpolitiker Benjamin Zürcher (MANNSCHAFT berichtete) oder vom Staatsoberhaupt Liechtensteins (MANNSCHAFT berichtete).
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