Ausgrenzung und Morddrohungen – weil Alex nicht-binär ist
Alexander nennt sich «eine weibliche Seele, die in einem männlichen Körper zur Welt kam»
Alexander Hölzl ist 42 und laut Eigenbeschreibung Regisseurin, Produzentin, Schauspielerin, Journalistin und Gender-Aktivistin, nebenbei Vater von vier Kindern, verlobt und leidenschaftliche Jeep-Fahrerin. Alexander identifiziert sich als nicht-binär.
«Ich kann es nicht erzwingen, ob ich als Frau oder als Mann gelesen werde», sagt Alexander. «Diese Fremdwahrnehmung beruht auf mehreren Faktoren wie Körperform, Körpersprache und Stimme. Deswegen ist mir die Anrede nicht so wichtig, auch wenn in meinem Pass ein F steht und ich vor dem Gesetz eine Frau bin. Aber Alex, die Kurzform von Alexander, ist ja ohnehin unisexuell.»
Alex sagt: «Da ich mir selbst die Freiheit nehme, mein Ich frei von Gender-Stereotypen zu leben, so gestehe ich auch jedem Menschen das Recht zu, mich so anzusprechen, wie er mich sieht bzw. empfindet.»
Es ist nicht so, dass Alex sich manchmal mehr als Mann fühlt und manchmal mehr als Frau. Es gibt kein «Wechslen» zwischen den Geschlechtern. «Ich bin einfach ich, eine weibliche Seele, die in einem männlichen Körper zur Welt kam und der man, durch Erziehung, Kindergarten, Schule und Pubertät eine Rolle aufzwingen wollte, die ich dauerhaft nicht erfüllen konnte.»
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Warum dann die Bezeichnung «nicht-binär»? «Weil ich eine Realistin bin und die männliche Pubertät nicht ungeschehen gemacht werden kann. Sie ist ein Teil von mir.» Die jahrelange gesellschaftliche und kulturelle Indoktrinierung des «Mannseins» hinterlasse Spuren, die sich tief in die eigene Identität eingebrannt haben.
Alexander erhält viele Schmähungen, sogar Morddrohungen, nimmt sie aber nicht ernst. Richtig schlimme Sachen gehen an die Polizei. Und, sagt Alexander: «Ich habe einen Waffenschein, kann dementsprechend mit Schusswaffen umgehen.»
Die sozialen Netzwerke entfernten zwar beleidigende oder bedrohliche Kommentare, aber die Personen selbst würden nichtmal dauerhaft gesperrt, wobei die meisten ohnehin von Fake Accounts schreiben, sagt Alexander. «Einzig enttäuscht bin ich von Facebook-Seiten wie Pinkstinks Germany. Die setzen sich zwar für Frauenrechte ein, aber Angriffe auf nicht-binäre Personen werden nicht bzw. erst nach mehrmaliger Kontaktaufnahme und Drohung mit meinem Rechtsanwalt nach vielen Tagen gelöscht.»
Gerade Institutionen auf Facebook, die von selbsternannten Feministen geführt werden, würden Angriffe, Drohungen und Aberkennungen von Identität sowie Existenz von nicht-binären, intersexuellen und transsexuellen Menschen sehr locker gesehen.» Dort sagte man Alexander auch, dass Feminismus nicht für alle Geschlechter oder Gleichberechtigung, sondern einzig für die Rechte von Frauen kämpfe.
Für die Wiener Produzentin ist das Geschlecht eine Symbiose aus Körper und Geist. «Auch, wenn ich mich als weibliches Wesen identifiziere, so bin ich keine Frau. Ich kann keine Periode bekommen, nicht schwanger werden und keinen weiblichen Orgasmus empfinden.» Das könne auch eine Gesichtsfeminisierung, Stimmband-Straffung, Brustvergrösserung oder operative Geschlechtsangleichung nicht ändern.
Alex war schon als Kind alles andere als ein «typischer Junge». «Es war hart, ständig zu hören, dass ich mich, nur aufgrund meines geborenen Geschlechts, nicht für gewisse Sachen und Kleidung interessieren darf. Wenn man das immer wieder eingetrichtert bekommt, von den eigenen Eltern, den Kindergärtnerinnen, den Lehrern, den Mitschülern, den Medien, dann beginnt man, sich für die eigenen Gefühle, Interessen und Neigungen zu schämen.»
Wenn ein Junge eine Prinzessin sein will oder sich für Kleider begeistert, geht die Welt unter.
Dieses Unverständnis sei dadurch verstärkt worden, dass Mädchen diese Limitationen nicht haben. Sie dürften blau tragen, Hosen anziehen und Pirat spielen. Wenn aber ein Junge eine Prinzessin sein will, oder sich für Kleider begeistert, gehe gleich die Welt unter, so Alex. Die fehlende Gleichberechtigung beginne mit dieser Ungleichbehandlung, mit der alles weiblich Konnotiertes exklusiviert, glorifiziert, mystifiziert, aber eben auch abgewertet werde.
Geist und Körper haben sich gewehrt Nicht nur der Geist, auch der Körper hat sich bei Alex immer gegen das Leben als Mann gewehrt. Die Östrogen-Rezeptoren seien nach der Pubertät nicht vom Testosteron zerstört worden. «Mein Körper produziert sehr viel natürliches Östrogen, sodass eine weibliche Hüfte, Taille und ein Busen entstanden, ganz ohne Hormontherapie. Ich hab auch keine Haare auf der Brust, sehr wenig Bartwuchs, eine weibliche Körperbehaarung und Fettverteilung.»
Früher habe Alex das durch gezieltes Krafttraining wegtrainiert. «Heute geniesse ich meinen Körper. Ich liebe meine langen Haare, schminke mich, wenn ich Lust habe und trage die Kleidung, die zu meiner Figur passt – ganz egal, ob diese in der Männer- oder Frauenabteilung zu finden ist. Ich trage keine Perücke, muss nichts ausstopfen und verstelle meine Stimme nicht. Ich glaube, genau diese Authentizität ist es, die mich relativ frei leben lässt.»
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Weiblichkeit ist nichts, für das man sich schämen muss, sagt Alex. «Ich lebe meine Emotionen, höre auf meine Gefühle, ich weine, wann mir danach ist, aus Freude oder wenn es mir schlecht geht, und lasse Angst zu. Es ist unbeschreiblich befreiend, nicht ständig stark sein zu müssen, nicht über alles die Kontrolle zu haben, kreativ und verrückt sein zu dürfen. So viele Männer schreiben mir jede Woche, dass sie mich für meine Freiheit beneiden, während sie ein heimliches Doppelleben führen und den Ausgleich in Fake-Identitäten im Internet, Fetische und Dominas suchen.» Die auferlegten Rollenbilder schränkten die Menschen ein und machten sie krank – besonders die Männer, die noch viel stärker in ihrer Welt gefangen sind, sagt Alex.
Paradox sei, dass gerade Frauen ein Problem mit nicht-binären Menschen hätten, obwohl viele von ihnen unbewusst schon lange nicht-binär leben, meint Alex. Sie infiltrierten zunehmend männliche Bereiche, bestünden auf «Selbstbestimmung», dominant oder submissiv zu sein, bedienten sich nach Lust und Laune am Kleiderschrank des anderen Geschlechts, trügen auch mal kurze Haare, kein Make-up, Hosen und flache Schuhe, ohne deswegen als Crossdresser oder Transvestit beschimpft zu werden. «Aber sie verlangen vom Mann, dass er nach altertümlichen, uns von den christlichen Missionaren aufgezwungenen Stereotype lebt.»
Erfüllt der Mann das nicht, gelte er als abartig, schwul bzw. tuntig und werde allerhöchstens als Kumpeltyp toleriert, komme aber als Sex- und Lebenspartner nicht infrage, sagt Alex. Make-up und Kleider sähen Frauen als ihr Exklusivrecht – sie zeigten keinerlei Verständnis, wenn sich ein Mann dafür interessiert.
«Seitdem ich in meiner Gender-Kampagne wöchentlich auf den Social Networks über mein nicht-binäres Leben berichte, mich schminke und femininer kleide, haben sich die meisten meiner Freunde von mir abgewandt.»
Der Grossteil der Familie denke, es handle sich um ein psychisches Problem oder eine Midlifecrisis; auch einige regionale Kund*innen hätten deswegen die Zusammenarbeit gekündigt. Alex‘ bisher grösster beruflicher Erfolg war die WebTV Serie «Paradise Island» (2006-2008), die in Mexiko gedreht wurde und in der Alex die männliche Hauptrolle spielte.
«In meiner Heimatstadt, in der ich auch politisch aktiv war, wurde ich, statt sich meines Know-Hows im Bereich Film, Kultur und Marketing zu bedienen, stets kleingehalten und vor jeder Gemeinderatsitzung ermahnt, dass ich mich korrekt, also mit Anzug, zu kleiden habe». Frauen konnten dagegen im sommerlichen Kleid kommen.
Als «genderverwirrter Idiot» sollte ich doch besser «die Fresse halten»
«In der Wirtschaftskammer Branchenvertretung, in der ich zuletzt an der Spitze der Funktionäre sass, hat man mich bei den letzten Wahlen als Spitzenkandidat wortlos übergangen. Die Verweigerung binärer Geschlechterrollen mache manche Leute richtig aggressiv. Als «genderverwirrter Idiot» sollte Alex doch besser «die Fresse halten», aus meiner Heimat verschwinden, sonst würde man mich beruflich zerstören.
«Freaks wie mich sollte man vergasen. Sogar einige Morddrohungen habe ich in den letzten Jahren erhalten. Ich wäre eine Schande für meine Eltern und würde meinen Kindern durch meine Lebensweise schaden.» Auch, wenn es nur Einzelfälle seien, die Liste der Angriffe, Übergriffe und Diskriminierungen sei mittlerweile lang.
Unverständnis, auch in der LGBTIQ-Community Alex sagt: «Ich bin kein Transvestit, kein Crossdresser, bin weder transsexuell, noch intersexuell und nicht in Transition.» Immer wieder versuche die Aussenwelt, Kategorisierungen vorzunehmen – nicht nur transphobe Menschen, sondern auch die LGBTIQ-Community.
«Trans Frauen haben ein grosses Problem mit mir. Ich würde mit meiner Lebens- und Sichtweise ein schlechtes Licht auf sie werfen. In ihrem Wettbewerb um die grösstmögliche Weiblichkeit und bei all dem, was sie an Operationen über sich ergehen lassen mussten, aber trotzdem an ihrem Traum, als «echte» Frau wahrgenommen und behandelt zu werden, scheitern, ist es schwierig, jemanden wie mich zu akzeptieren.» Sie kritisierten jedes gepostete Foto, stellten falsche Behauptungen auf, dass Alex‘ Gesicht oder Busen operiert sei. «Oder sie zerpflücken meine Texte und rufen schon mal bei Redaktionen an, um zu verhindern, dass meine Story publiziert wird.»
Transsexualität wurde von der WHO mittlerweile als psychische Erkrankung bzw. Identitätsstörung entfernt (MANNSCHAFT berichtete), aber dennoch benötigt man in Österreich eine psychologische sowie psychiatrische Diagnose und mehrjährige psychotherapeutische Betreuung, um das Geschlecht sowie den Namen ändern zu lassen, Hormone verschrieben zu bekommen bzw. geschlechtsangleichende, operative Eingriffe vornehmen zu lassen.
Als nicht-binärer Mensch blieb Alex das erspart, aber bei den meisten der nicht-binär lebenden Menschen in Europa sei es bürokratisch nach wie vor ein Chaos voller Hürden und Widersprüche, die es zu überwinden gelte. «Es ist schrecklich, wie hasserfüllt die Gesellschaft geworden ist. Und dass, obwohl mittlerweile in der Biologie, Medizin und Wissenschaft belegt wurde, dass Geschlecht ein Spektrum ist – viel zu komplex, um es nur in XX- sowie XY-Chromosomen bzw. in Mann und Frau zu unterteilen.»
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