Lesbisch? «Es klingt irgendwie schmutzig»
Anna Rosenwasser sucht in ihrer Kolumne «Bi the Way» nach einem neutralen Wort
Nicht alle Frauen, die auf Frauen stehen, können mit der Bezeichnung «lesbisch» etwas anfangen. Auch Anna Rosenwasser hat nicht immer Lust auf das L-Wort, wie sie in ihrer Kolumne* «Bi the Way» gesteht.
Ich muss euch etwas gestehen. Seit über drei Jahren arbeite ich nun schon bei der Lesbenorganisation Schweiz (LOS), kämpfe für die Gleichstellung lesbischer und bisexueller Frauen, will mit Tabus und Vorurteilen aufräumen. Aber wenn ich nach Feierabend im überfüllten Zug von Bern nach Zürich sitze und mein Arbeitshandy klingelt, gehe ich nicht mit den Worten «Lesbenorganisation, hier ist Anna» ran, wie ich es im Büro tue. Ich sage «LOS, hier ist Anna». Ein wichtiger Teil meiner Arbeit dreht sich um Lesben – aber manchmal, unter Fremden, wenn ich erschöpft bin, hab nicht mal ich die Energie, das Wort «Lesbe» laut auszusprechen.
Ich bin nicht die Einzige. Es ist vielen Frauen unwohl mit dem Wort «Lesbe». Auch denen, die laut Eigendefinition lesbisch sind. «Es klingt irgendwie schmutzig», sagt die 17-jährige Noemi. «Ich weiss das klingt komisch, aber es erinnert mich an Pornos», sagt die 32-jährige Sarah. «Ich nenne mich viel lieber frauenliebend», sagt Sonja, die altersmässig meine Mama sein könnte. Allen ist eines gemeinsam: «Lesbe», das ist für sie kein neutrales Wort. Nicht wie «braunhaarig» oder «Fussgängerin». Das Wort fühlt sich daneben an, selbst für die, die mittendrin sind.
Die politische Einordnung dieses Phänomens ist einfach: Wörter wie «Lesbe» werden von der Gesellschaft negativ aufgeladen, weil lesbische Frauen abgewertet werden. Seit Jahrzehnten brechen lesbische Aktivistinnen bewusst mit dieser Konnotation, indem sie sich stolz als Lesben bezeichnen. Der Prozess, ein negativ behaftetes Wort, das einen betrifft, stolz selbst zu verwenden, nennt sich «Reclaiming». Wir machen das auch mit «queer», manche mit «gay», «schwul», «dyke».
Privilegiertes Verhalten? Lesbisches Paar wird ausgeschafft
Trotzdem fühlt es sich für ganz viele frauenliebende Frauen nicht normal an, «Lesbe» zu sagen; beim Smalltalk in der Mittagspause, beim Familienessen oder eben im vollen Zug. Rational zu erkennen, dass an einem Wort nichts falsch ist, ist das eine. Diesen Stolz zu verinnerlichen, ist das andere. Wenn du jahrzehntelang in einer Welt gross geworden bist, in der «Lesbe» entweder ein Schimpfwort oder eine Pornokategorie war, kannst du nicht erwarten, dass das Wort sich innerhalb von wenigen Wochen wieder normal anfühlt. Erst recht nicht, wenn die Welt ihren lesbenfeindlichen Blödsinn weiterspinnt.
Als Journalistin beschäftige ich mich viel mit Wörtern (hier schreibt Anna über die sexuelle Gesundheit queerer Frauen). Als Angestellte der LOS (und privat, hihihi) beschäftige ich mich viel mit Lesben. Und habe gelernt: Die Lesbenfeindlichkeit, die uns beigebracht wurde, sitzt ganz tief drin. Sie uns abzutrainieren ist keine einmalige Entscheidung. Sondern eine, die wir jeden Tag aktiv fällen müssen. Früher hab ich mich aufgeregt über die Noemis und Sarahs und Sonjas, die sich nicht Lesbe nennen wollen.
Lesbische Sichtbarkeit mit Poppy und Chia
Heute weiss ich: Ich war auf die falschen Menschen wütend. Es darf mich wütend machen, dass uns ein negatives Verhältnis zum Wort Lesbe beigebracht wird. Dann kann ich diese Wut nehmen und investieren: In einen Kampf für eine lesbenfreundliche Welt. Ein Lesbenkampf für Kampflesben.
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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