«Amen aber sexy» – Kölner Gottesdienst auch für Queers
Tim Lahr bietet bei Instagram Seelsorge an
Es darf auch mal «Mammamia» statt «Vaterunser» sein: Der evangelische Pfarrer Tim Lahr möchte mit bunten Gottesdiensten und queerer Bibelauslegung neue Zugänge zum Glauben schaffen.
Von Ann-Marie Utz, dpa
Auf dem Altar liegt eine Regenbogen-Fahne, die Kirche ist bunt geschmückt. Davor: ein junger evangelischer Pfarrer. Er trägt weisse Sneakers über einem locker sitzenden Talar, in der Hand hat er ein Smartphone. Tim Lahr hält Gottesdienste, die traditionelle Christen vielleicht stutzen lassen.
Die Kirche versetzt sich zu wenig in die Lebenswelten und geht nicht genug auf die Bedürfnisse von jungen Menschen ein
«Kirche ist noch nicht empathisch genug, sie versetzt sich zu wenig in die Lebenswelten und geht nicht genug auf die Bedürfnisse von jungen Menschen ein», kritisiert der 33-Jährige. Im Fokus stünden Familien mit Kindern und ältere, oft traditionellere Menschen, «die gerne Kaffeekränzchen machen und aufgetaute Schwarzwälder Kirschtorte essen», sagt er und schmunzelt.
Der junge Pfarrer möchte das ändern. Er hält Gottesdienste für alle – vor allem aber für queere Menschen, die nicht heterosexuell sind, oder deren Geschlechtsidentität von dem Geschlecht abweicht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Für sie gebe es «bislang fast keinen Raum in der Kirche».
Der queere Gottesdienst, der bisher an verschiedenen Standorten in Köln stattfindet, wird gut besucht. «Ich war überrascht, auf wie wenig Kritik ich tatsächlich gestossen bin», erzählt Lahr. Er arbeite in diesen Gottesdiensten viel mit Musik. Biblische Texte werden queer ausgelegt und als Alternative zum Vaterunser gibt es auch mal ein «Mammamia». «Für uns als Kirche ist das ein sehr spannender Erprobungsraum, von dem wir hoffentlich viel lernen werden», erzählt Jens Iven von der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Auf seinem Instagram-Kanal «Amen aber sexy» gibt Tim Lahr Einblicke in den Alltag eines schwulen Pfarrers. Dort zeigt er sich lachend und tanzend im schwarzen Hoodie oder spricht auch mal seine eigenen Probleme aus der Kindheit an. «Ich verstehe mich als Community-Manager», erzählt er der Deutschen Presse-Agentur. «Online öffnen sich die Menschen, und es wird sogar zu einer Art neuem Seelsorge-Kanal.» 14’000 Follower*innen hat er mittlerweile.
Neue Zugänge sind wohl dringend nötig – denn die evangelische Kirche kämpft ebenso wie die katholische mit einem starken Mitgliederschwund. Rund 77’300 Menschen haben die evangelische Kirchen im Rheinland und in Westfalen im vergangenen Jahr verlassen – deutlich mehr noch als im Vorjahr.
Tim Lahr ist dabei nicht der einzige Wegweiser in eine offene und moderne Kirche. Vor drei Jahren wurde das evangelische Contentnetzwerk «yeet» gegründet, das deutschlandweit mit 35 Influencern auf Instagram, Tiktok, Youtube und mit Podcast-Formaten junge Menschen adressieren möchte.
Auch ausserhalb des Netzwerks und der evangelischen Kirche gibt es christliche Influencer, die mit alternativen Ideen ihren Glauben weitertragen möchten. Zum Beispiel Marcus Schneider aus Wuppertal, der «Breiteste Pastor Deutschlands», wie er sich selbst auf sozialen Netzwerken nennt. Er stemmt Gewichte und drückt über Fitness-Videos und Bankdrücken seinen Glauben aus.
Das findet auch Tim Lahr einen guten Ansatz. «Kirche muss mutiger werden und sich trauen, das zu machen, was Spass macht.» An der konkreten Umsetzung neuer Projekte mangelt es laut Lahr aber noch oft. «Wenn es ums Geld geht, ist die Kirche noch etwas kniepig mit den neuen Formen. Ich bin dann doch oft verwundert, wie viel Geld in Gemeinden zum Beispiel für neue Kirchenglocken ausgegeben wird. Dann denke ich mir oft: Läutet lieber die Kirchenglocken im Internet!»
Nach Forderung der Todesstrafe für Homosexuelle und Aids-Kranke: Evangelische Kirche klagt gegen schwulenfeindliche Baptistenkirche (MANNSCHAFT berichtete).
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