75 Jahre Grundgesetz: LGBTIQ immer noch explizit ohne Schutz
Es hängt noch an den CDU-geführten Bundesländern
Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz verkündet. Der 23. Mai ist daher der Tag des Grundgesetzes. 2024 feiert es sein 75-jähriges Jubiläum. LGBTIQ sind immer noch nicht explizit geschätzt.
Die Altkanzler*innen Angela Merkel und Gerhard Schröder, aber auch Olivia Jones nahmen am Donnerstag am Staatsakt zu «75 Jahre Grundgesetz» auf dem Forum zwischen Bundestag und Bundeskanzleramt teil. Das Jubiläum wird mit einem dreitägigen grossen Demokratiefest bis Sonntag im Berliner Regierungsviertel gefeiert.
Sven Lehmann, Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt (Queer-Beauftragter), erklärte zum Jubiläum: «Unser Grundgesetz ist das Gründungsdokument für unsere demokratische und offene Gesellschaft. Es ist die Konsequenz aus der nationalsozialistischen, völkischen Schreckensherrschaft mit seiner willkürlichen Selektionspolitik und menschenverachtenden Vernichtungsmaschinerie. Das Grundgesetz muss unser Bollwerk gegen staatliche Entrechtung und Verfolgung sein, unser Garant für eine Gesellschaft, in der alle Menschen verschieden sein können, aber gleich an Rechten, gleich an Würde und frei von Diskriminierung.»
Es ist aber noch nicht fertig, so Lehmann: So müsse etwa Artikel 3, Absatz 3 ergänzt werden, damit auch Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans und inter sowie andere queere Menschen explizit durch die Verfassung vor Diskriminierung geschützt sind.
Zu diesem Zweck ruft die Initiative Grundgesetz für Alle (GFA) am Donnerstag zur Kundgebung vor dem Berliner Ensemble auf und fordert zum 75-jährigen Jubiläum des Grundgesetzes die Ergänzung zum Schutz queerer Menschen.
Das Vorhaben steht im Koalitionsvertrag und wird im Aktionsplan «Queer leben» bekräftigt (MANNSCHAFT berichtete). Die Hürden dafür seien jedoch hoch: Es brauche eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. SPD, Grüne und FDP seien dafür. «Wir sind jedoch auch auf die Union angewiesen. Ich freue mich, dass nicht nur viele Abgeordnete der CDU/CSU das unterstützen, sondern auch immer mehr CDU-geführte Bundesländer wie NRW oder Berlin. Das macht mich zuversichtlich. Am Ende wird entscheidend sein, ob Friedrich Merz die Abstimmung freigibt. In ihrem neuen Grundsatzprogramm hat die CDU auch betont, sich jeglicher Diskriminierung entgegenzustellen.» Diesen Vorsatz könne Merz durch die Unterstützung für die Ergänzung von Artikel 3 unter Beweis stellen, so Lehmann.
In den letzten Jahrzehnten wurden wichtige Fortschritte erzielt, um die Rechte und die Sichtbarkeit von LGBTIQ zu stärken. Die grosse Mehrheit der Menschen in Deutschland akzeptiere laut Lehmann LGBTIQ als gleichwertigen Teil der Gesellschaft und spreche sich für Antidiskriminierung und gleiche Rechte aus. Diese Zustimmung bleibe jedoch fragil und sei in den letzten zwei Jahren gesunken. «Die Zahl der registrierten Fälle von Hasskriminalität steigt seit Jahren und jeden Tag werden den Polizeien in Deutschland statistisch mindestens sechs Angriffe auf LGBTIQ pro Tag gemeldet (MANNSCHAFT berichtete). Keineswegs ist von einer kontinuierlichen gesellschaftlichen Liberalisierung auszugehen. Rechtsextreme verfolgen das Ziel, rechtliche Verbesserungen wieder aufzuheben. LGBTIQ bleiben eine verletzliche Gruppe, gegen die Ressentiments mobilisiert werden können, gerade in Krisenzeiten», so Lehman.
LGBTIQ sind die letzte vom NS-Regime verfolgte Gruppe, die noch keinen expliziten Schutzstatus im Grundgesetz haben.
Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes verbietet Diskriminierung aufgrund von bestimmten Merkmalen wie etwa Geschlecht, Herkunft oder Glaube. Das Merkmal der sexuellen Identität fehlt bis heute. LGBTIQ sind die letzte vom NS-Regime verfolgte Gruppe, die noch keinen expliziten Schutzstatus im Grundgesetz haben. In seiner jetzigen Fassung konnte dieser Artikel auch schlimme Menschenrechtsverletzungen an LGBTIQ nicht verhindern.
Noch nach 1945 kamen schwule und bisexuelle Männer in Deutschland wegen gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen ins Gefängnis. Bis in die 1980er Jahre wurde lesbischen Frauen das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen. Um sie zu «vereindeutigen» wurden inter Menschen chirurgischen Eingriffen unterzogen, oftmals im Säuglings- oder Kindsalter und mit schwerwiegenden irreversiblen Folgen. Für ihre rechtliche Anerkennung mussten sich trans Menschen noch bis 2008 scheiden lassen.» Bis 2011 wurden sie gezwungen, sich sterilisieren zu lassen und sich geschlechtsangleichenden Operationen zu unterziehen, so der Queer-Beauftragte.
Der grosse Staatsakt zum 75. Jahrestag des Grundgesetzes im Berliner Regierungsviertel wird am Donnerstag von hohen Sicherheitsvorkehrungen der Polizei begleitet. Rund 1000 Polizeikräfte sind für die Sicherheit und Verkehrslenkung im Einsatz, wie die Polizei am Mittwoch mitteilte. Autofahrer müssen mit Behinderungen rechnen.
Der ganze Bereich zwischen Bundeskanzleramt und den gegenüberliegenden Bundestagsgebäuden wird am Donnerstag abgesperrt. Auf der Spree sind Boote der Wasserschutzpolizei unterwegs. Für Aufnahmen aus der Luft sorgt ein Polizeihubschrauber. «Wir setzen alles ein, was man für die Sicherheit braucht», sagte eine Polizeisprecherin.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte den Staatsakt zum Jahrestag des Grundgesetzes angeordnet, er hält auch die zentrale Rede. Dabei sein werden ab 12.00 Uhr auch Kanzler Olaf Scholz (SPD), die meisten Minister*innen, viele Ministerpräsident*innen der Bundesländer sowie Vertreter*innen des Bundestags und weiterer Institutionen. Erwartet werden insgesamt 1’100 Gäste. (mit dpa)
Gute Nachrichten aus Liechtenstein: Das Fürstentum beschliesst die Ehe für alle (MANNSCHAFT berichtete)
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