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Hepatitis C und das grosse Geld

Die Verordnung gewisser Hepatitis-C-Medikamente ist vom Bundesamt für Gesundheit wegen den hohen Kosten eingeschränkt. Anton Kohler hat eine Petition lanciert, damit ihm und anderen Betroffenen die potenten Medikamente verschrieben werden können. Experten beobachten eine Zunahme von Hepatitis C bei Männern, die mit Männern Sex haben (MSM).

Sie heissen Sovaldi, Harvoni, Olysio oder Viekirax und ihre Entdeckung wurde als historischer Durchbruch im Kampf gegen Hepatitis C gefeiert. Eine Therapie mit diesen neuen Medikamenten dauert drei bis sechs Monate und kann die chronische Infektionskrankheit mit einer Erfolgsquote von 90% heilen. Kostenpunkt? 60’000 bis 120’000 Franken. Kostenübernahme durch die Krankenkassen? Jein.

Schätzungsweise 80’000 Personen in der Schweiz sind mit Hepatitis C infiziert, allerdings weiss laut dem Tages-Anzeiger rund die Hälfte nichts von ihrer Infektion. In der Schweiz dürfen Ärzte die neuen Medikamente nur Patienten mit fortgeschrittenem Leberschaden verschreiben oder wenn schon andere Organe vom Virus befallen worden sind. Mit dieser Zugangsbeschränkung (Limitatio) will das Bundesamt für Gesundheit BAG explodierende Prämienkosten bei den Krankenkassen verhindern. Patienten, die sich mit Hepatitis C infiziert haben, aber noch in einem frühen Stadium sind, müssen die Kosten somit selber tragen.


Anton Kohler Betroffener und Initiant
Anton Kohler
Betroffener und Initiant

Zu ihnen gehört Anton Kohler. Um die Öffentlichkeit auf die Situation von Betroffenen aufmerksam zu machen, lancierte er Mitte April eine Petition auf der Kampagnenplattform avaaz.org. Darin fordert er das BAG dazu auf, die Einschränkungen der neuen Hepatitis-C-Medikamente aufzuheben. Zudem soll die Pharmaindustrie, genauer gesagt die Konzerne Gilead, Janssen-Cillag und Abbvie, die Preise für ihre Medikamente senken oder massive Rabatte gewähren. Am 28. Juli, dem Welt-Hepatitis-Tag, will er die Petition dem BAG, den Krankenkassen und Vertretern der Pharmaindustrie überreichen.

Doch das Interesse an der Petition ist minim. Nach einem Monat hatten erst 200 Personen die Petition unterzeichnet. Zu sehr gelte Hepatitis C im Volksmund noch als «Drögelerkrankheit», so Anton Kohler im Gespräch mit Mannschaft Magazin. Dabei wird die Infektionskrankheit zunehmend auch für Schwule und Männer, die mit Männer Sex haben (MSM), zur Bedrohung (siehe Interview am Ende des Artikels). Von seinem Hausarzt weiss er, dass Hepatitis C bis zu zehnmal ansteckender sein kann als HIV. «Gegen HIV gibt es Präventionskampagnen, gegen Hepatitis C aber nicht», sagt Kohler.

Auf Anfrage der Mannschaft nimmt Daniel Dauwalder, Mediensprecher des BAG, Stellung zu den geltenden Einschränkungen. Er weist darauf hin, dass Hepatitis C bei einem «nicht unerheblichen» Teil der Infizierten nicht fortschreitet oder einen milden Verlauf nimmt. «Daher wäre es weder wirtschaftlich noch medizinisch sinnvoll, die Arzneimittel allen Infizierten zu vergüten. Denn so würden zum Teil Patient/-innen therapiert, die möglicherweise gar nie eine Therapie gebraucht hätten», so Dauwalder. Ein weiterer Grund sei der langsame Verlauf der Krankheit. Von der Infektion bis zur Entwicklung irreversibler Leberschäden können bis zu 30 Jahre vergehen.


BAG prüft Lockerung der Einschränkungen
Dass das BAG Betroffene, bei denen die Krankheit symptomlos verläuft, nicht mit teuren Medikamenten therapieren will, kann Anton Kohler nachvollziehen: «Dann soll aber das Kriterium für die Abgabe der Medikamente nicht das Stadium der Krankheit sein, sondern ob und welche Symptome man zeigt.»

[quote align=’right‘]Nicht die Herstellungskosten oder der Forschungsaufwand stecken hinter den hohen Preisen, sondern die Tatsache, dass es den Krankenkassen teurer zu stehen kommt, wenn man die Krankheit unbehandelt lässt. [/quote]Hepatitis C ist eine heimtückische Krankheit, die unbehandelt sogar zum Tod führen kann. Während sie bei einigen Betroffenen völlig symptomlos verläuft, löst sie bei anderen eine Vielzahl von körperlichen Beschwerden aus. So auch bei Anton Kohler. Er leidet unter Gliederschmerzen, extremer Müdigkeit, Schlafschwierigkeiten und Verdauungsproblemen. Auch was das Essen anbelangt, werde er immer mehr zum Exot, gibt er unter einem müden Lächeln zu. Erhitztes Fett und ölige Speisen verträgt er nicht mehr. Im Restaurant Fleisch zu bestellen sei unvorstellbar.
Die Therapie mit Interferon, die bis zur Zulassung der neuen Medikamente die einzige Option für Betroffene war, zeigt bei Anton Kohler keine Wirkung. Im Gegensatz zu Sovaldi & Co. bekämpft Interferon nicht das Virus direkt, sondern stärkt die Immunabwehr des Körpers. Für die neuen Medikamente kommt Kohler nicht infrage. «Bei mir ist die Krankheit zu neu. Meine Leber weist keine Schäden auf, das heisst, ich bin noch zu wenig krank», sagt er.

Gegenüber der Mannschaft bestätigt Dauwalder, dass das BAG gegenwärtig eine Vergütung der Medikamente auch in weiteren Patientengruppen prüft. «Voraussetzung dafür sind jedoch auch Preissenkungen (der Pharmaindustrie, Anm. d. Red.)», so Dauwalder.

Kohler glaubt hingegen, dass die Medikamente um einiges billiger wären, würde das BAG keine Einschränkungen erlassen. Schliesslich gehe es um viel Geld: «Ich gehe davon aus, dass die Pharmaindustrie es gut findet, wenn sie ihre Medikamente mehreren Patienten zugänglich machen kann. Die wollen doch verkaufen.»

Erstaunlicherweise sind es nicht die Herstellungskosten oder der Forschungsaufwand, die hinter den hohen Preisen der neuen Hepatitis-C-Medikamente stecken, sondern die einfache Tatsache, dass es die Krankenkassen teurer zu stehen kommt, wenn man die Krankheit unbehandelt lässt.
«Wenn Hepatitis C behandelt wird, können dank der Heilung die Gesamtkosten der chronischen Hepatitis-C-Infektion reduziert werden», sagt André Lüscher, Geschäftsleiter von Gilead Schweiz, auf Anfrage von Mannschaft Magazin. «Beispielsweise können Lebertransplantationen zu Kosten von CHF 150‘000 und deren Neuinfektionen verhindert werden, das heisst das Schweizerische Gesundheitssystem spart Kosten und auch Folgekosten wenn Folgeerkrankungen, wie Leberzirrhose oder Leberkrebs, verhindert werden.» Der Konzern sei überzeugt, dass der Preis aufgrund der hohen Heilungsraten und der in der Regel einmalig anfallenden Therapiekosten den medizinischen Wert und therapeutischen Mehrnutzen reflektiere.

Gilead habe gegenüber dem BAG jedoch seine Gesprächsbereitschaft signalisiert, so Lüscher gegenüber der Mannschaft.

Eine Stellungnahme von Janssen-Cillag, Hersteller des relativ neuen Medikaments Olysio, blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

«Sexualkontakte sind nie risikolos»
[quote align=’right‘]«Ich finde es verrückt, dass die Gesellschaft mir vorschreiben will, wann ich ein Kondom zu gebrauchen habe.»[/quote]Anton Kohler ist in der Szene kein Unbekannter. 2013 sorgte er für harsche Kritik, als er in der SRF-Sendung «Club» zugab, ungeschützten Sex mit anonymen Sexpartnern zu haben. Er geht davon aus, sich durch Sexualkontakt mit Hepatitis C angesteckt zu haben. Im Nachhinein sei es aber müssig, darüber zu diskutieren. «Ich habe mir auch schon überlegt, wo ich mich angesteckt haben könnte. Doch das findet man nicht heraus. Das Risiko, sich beim Sexualkontakt mit Hepatitis C anzustecken, ist sehr, sehr klein, aber nicht gleich Null. Sexualkontakte sind nie risikolos.»

Er gibt zu, auch heute noch häufig ungeschützten Sex zu haben: «Ich gehe davon aus, dass jeder für sich und seinen Sexpartner Verantwortung übernimmt. Bei meinem Arzt habe ich abgeklärt, welche Praktiken risikobehaftet sind und welche nicht. Für meinen Sexpartner besteht zum Beispiel ein Ansteckungsrisiko, wenn ich als Passiver ungeschützten Analverkehr habe, nicht aber als Aktiver. Auf risikobehaftete Praktiken verzichte ich.»
Kein Verständnis hat Anton Kohler für die Kritik an seinen Safer-Sex-Praktiken: «Ich finde es verrückt, dass die Gesellschaft mir vorschreiben will, wann ich ein Kondom zu gebrauchen habe. Gleichzeitig bekomme ich die Medikamente nicht, mit denen ich eine Ansteckung verhindern könnte.»

Kohler hofft, mit seiner Petition bis Ende Juli noch möglichst viele Unterschriften zu sammeln. Nebst Betroffenen hätten besonders auch Vertreter aus Medizinkreisen die Forderungen bereits unterzeichnet.

«Es ist skurril, dass wir unser Gesundheitssystem rühmen und unendlich Geld reinstecken», so Kohler. «Dann haben wir eine unangenehme Krankheit, teure Medikamente und todkranke Menschen, denen man eine Therapie verweigert. Das kennt man aus Drittweltländern. Und plötzlich ist das auch bei uns möglich.»

Dieser Artikel erschien in der Juni-Ausgabe der Mannschaft.

[accordion open=’true‘ title=’«Die Folgen der hohen Preise schränken uns in der ärztlichen Tätigkeit ein.»‘]

Dr. med. Philip Bruggmann Chefarzt Innere Medizin Arud Zentren für Suchtmedizin
Dr. med. Philip Bruggmann
Chefarzt Innere Medizin
Arud Zentren für Suchtmedizin

Dr. Bruggmann, wie kann man sich mit Hepatitis C anstecken?
Die Ansteckung erfolgt von Blut zu Blut. Am häufigsten steckt man sich durch das Spritzen oder Sniffen von Drogen, durch Sexualkontakt sowie durch das Stechen von Tattoos und Piercings mit unsterilen Instrumenten an.

Wieso ist Hepatitis C gerade für schwule Männer und MSM ein Thema?
In der Schweiz beobachten wir eine Zunahme von Hepatitis-C-Ansteckungen bei HIV-positiven MSM. Die HIV-Infektion begünstigt eine Ansteckung auf sexuellem Weg.

Wie verläuft die Krankheit?
Bei einem von fünf Angesteckten heilt die Krankheit spontan aus. Beim chronischen Verlauf kommt es häufig zu Müdigkeit und Leistungseinbussen. Über die Jahre kann die Leber vernarben und eine Leberzirrhose entstehen. Dies umso schneller je mehr noch andere leberschädigende Faktoren im Spiel sind, wie zum Beispiel Alkohol.

Ist Hepatitis C tödlich?
Die Folgen von Hepatitis C können tödlich sein. Dies erfolgt meistens erst Jahrzehnte nach der Ansteckung. Hepatitis C ist die häufigste Ursache für Lebertransplantationen.

Aus welchem Grund sind die Medikamente nur für bestimmte Patienten erhältlich?
Das BAG hat aufgrund der hohen Preise der neuen Hepatitis-C-Medikamente den Einsatz auf Personen mit schwerem Leberschaden eingeschränkt. Es hat aufgrund des enormen Umsatzpotentials der neuen Medikamente Prämienanstiege der Krankenkassen befürchtet.

Können Sie die Einschränkungen des BAG nachvollziehen?
Die neuen Medikamente sind nicht nur deutlich potenter als die Interferon-basierte frühere Behandlung, sondern auch viel sicherer und einfacher in der Anwendung. Daher das viel höhere Umsatzpotential. Es ist mir unverständlich, weshalb von Seiten der Pharmafirmen so hohe Preise verlangt werden, die zwangsläufig Rationierungen mit sich bringen.

Unterstützen Sie die Petition von Anton Kohler?
Ich unterstütze diese Petition. Es haben schon mehr als hundert unserer Patienten unterschrieben. Die aktuelle Situation ist sehr unbefriedigend für viele von ihnen. Die Preise müssen rasch deutlich reduziert und im Gegenzug die Limitierung aufgehoben werden. Die bürokratischen Folgen der hohen Preise schränken uns in der ärztlichen Tätigkeit stark ein.

Wie schützt man sich als schwuler Mann vor Hepatitis C?
Besondere Vorsicht gilt bei blutigen Sexualpraktiken wie zum Beispiel beim Fisting. Kein Fisting mit gleichem Handschuh bei mehreren Männern! Aber auch beim Sniffen sowie beim Spritzen von Drogen oder Anabolika gilt es, die Safer-Use-Regeln zu beachten.[/accordion]


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