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Zurich Pride macht LGBT- Flüchtlinge zum Jahresmotto

Mit der weiterhin angespannten Lage in Syrien und der grassierenden Schwulen­verfolgung in Tschetschenien ist das Thema Flüchtlinge aktueller denn je. Die Zurich Pride macht LGBT-Flüchtlinge zum Jahresmotto – und verschreibt sich damit gemäss kritischen Stimmen der Flüchtlingspolitik. Es gehe darum, den Dialog zu fördern, sagt Vorstandsmitglied Alan David Sangines gegenüber der Mannschaft.

In seiner bald zwanzigjährigen Tätigkeit hat sich der «Verein Zurich Pride Festival» stets der Forderungen der Schwulen- und Lesbenbewegung angenommen, später auch jener der gesamten Schweizer LGBT-Community. Mit dem diesjährigen Jahresmotto «No Fear To Be You – Sicherheit für LGBT-­Flüchtlinge» hat sich das Organisationskomitee nun die Flüchtlingspolitik auf die Fahne geschrieben. Ein Thema, das nicht unbedingt viel mit bekannten Forderungen wie der Öffnung der Ehe, dem Diskriminierungsschutz oder dem Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare zu tun hat.

Das Jahresmotto soll bewusst auf die Situation von LGBT-Menschen aufmerksam machen, die ihre Heimat aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität verlassen. Ihre Andersartigkeit führt oft dazu, dass sie auch auf der Flucht oder in Asylunterkünften von ihren Landsleuten diskriminiert, bedroht oder gar angegriffen werden. Schon die Tatsache, dass unter den Flüchtlingen auch LGBT-Menschen sind, die zusätzliche Herausforderungen meistern müssen, sei vielen nicht bewusst, sagt Alan David Sangines gegenüber der Mannschaft. Als Vorstandsmitglied und Politverantwortlicher beim Verein «Zurich Pride» war er eine der treibenden Kräfte hinter dem diesjährigen Jahresmotto. «Vorurteile gegenüber Flüchtlingen sind auch bei vielen Menschen in der Community vorhanden. Genau hier müssen wir ansetzen.»

Im Rahmen der Organisation des Festivals habe der Verein bewusst kritische Stimmen gesucht, um mit ihnen in den Dialog zu treten. Das Resultat ist unter anderem ein interaktiver Artikel, der die Vorbehalte gegenüber dem Jahresmotto aufgreift und mit Argumenten zu entkräften oder in Perspektive zu setzen versucht. Der Artikel erscheint im jährlichen Pride-Magazin kurz vor dem Festival, das am 9. und 10. Juni wie in den Vorjahren auf dem Kasernenareal in der Nähe des Hauptbahnhofs stattfinden wird.


Ein Austausch mit LGBT-Flüchtlingen
«Eine Aufklärung in diesem Themenfeld ist wichtig», sagt Sangines. «Der Community muss bewusst werden, dass Homosexualität und somit auch gleichgeschlechtliche Handlungen in vielen Ländern der Welt unter Strafe stehen. Die Menschen flüchten nicht in die Schweiz, weil wir die cooleren Schwulenclubs haben als Kabul oder Kampala, sondern weil sie dort um ihr Leben fürchten müssen – nur weil sie so sind wie wir!»

Um eine höchstmögliche Aufmerksamkeit für die Thematik zu erzielen, will der Verein seine Social-Media-Kanäle, das Pride-Magazin und den Demonstrationsumzug nutzen. In der dem Festival vorausgehenden Pride-­Woche sind diverse Veranstaltungen geplant, die LGBT-Flüchtlinge mit einheimischen LGBT-Menschen zusammenbringen sollen. So organisiert «Outdoorsport for Gays» etwa eine Wanderung, zu der explizit auch LGBT-­Flüchtlinge eingeladen sind.

Die Menschen flüchten nicht in die Schweiz, weil wir die cooleren Schwulenclubs haben als Kabul oder Kampala.

Für das Jahresmotto ist «Zurich Pride» auf diverse Organisation zugegangen, darunter Queeramnesty, TGNS und ORAM. Letztere ist weltweit tätig und spezialisiert sich auf die Neuansiedlung von LGBT-Flüchtlingen in westlichen Ländern.


Scham kann Asylverfahren gefährden
Sangines engagiert sich seit Jahren im Asylbereich. Nebst der möglichen Diskriminierung durch eigene Landsleute bringe die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität von LGBT-Flüchtlingen auch im Asylverfahren oder in der Integration zusätzliche Herausforderungen mit sich. «Sie haben oft grosse Schwierigkeiten, bei der entscheidenden Befragung zu den Asylgründen beim Staatssekretariat für Migration über ihre sexuelle Orientierung zu sprechen. Das kann sich negativ auf ihren Asylentscheid auswirken», sagt Sangines. «Gleichzeitig haben sie oft Mühe, in der Community Anschluss zu finden.» Gründe dafür gebe es mehrere, darunter etwa Hemmungen, Scham, fehlende Sprachkenntnisse oder etwa auch Rassismus innerhalb der LGBT-Szene.

Die Schweizer Praxis im Umgang mit Asylsuchenden beschreibt Sangines als restriktiv. Dass unter allen Flüchtlingen LGBT-Menschen besonders gefährdet sind, sei der Schweizer Politik noch zu wenig bewusst. «Vorstösse im Parlament, die etwa die explizite Nennung von Homosexualität als Asylgrund im Asylgesetz verankern wollten, wurden abgelehnt.»

Aufgrund der Ausgangslage für LGBT-­Flüchtlinge hat der Verein «Zurich Pride Festival» mehrere Forderungen an die Politik formuliert. Dazu gehören eine grosszügigere Gewährung von Asyl bei Menschen, die in ihren Heimatländern aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gefährdet sind, sichere Unterkünfte für LGBT-­Flüchtlinge und Schutz bei Bedrohung sowie eine Sensibilisierung von Sachbearbeitenden, die über die Asylanträge von LGBT-­Menschen entscheiden. Ein spezielles Augenmerk gilt gemäss Sangines auch den Dolmetscherinnen und Dolmetscher, damit sich LGBT-Menschen von ihnen nicht bedroht fühlen. Erste Schritte in die richtige Richtung seien schon beim Staatssekretariat für Migration gemacht worden. Seit 2014 informiert ein internes Merkblatt zum Umgang mit LGBT-Flüchtlingen, auch Schulungen für die Mitarbeitenden führe es durch.

Petitionen werden unterschätzt
Konflikte im Nahen Osten, Schwulenverfolgungen in Tschetschenien und homophobe Gesetze in Uganda oder Russland können der Durchschnittsbürgerin und dem Durchschnittsbürger schnell ein Gefühl der Hilflosigkeit vermitteln. Die Aussicht, fremde Mächte in die Knie zu zwingen und einen Wandel herbeizuführen, scheint aussichtslos, wenn nicht unmöglich.

Und wenn die Menschen hierhin flüchten: Fordert von der Politik, dass sie bleiben dürfen, und empfangt sie mit offenen Armen in der Schweiz und in der Community!

Alan David Sangines verweist auf verschiedene Petitionen und sogenannte «Urgent Actions» («eindringliche Appelle») von Amnesty International, die einem zeigen, wie man an die Regierungsvertreter dieser Länder und die entsprechenden Botschaften in der Schweiz Protestbriefe oder Protestmails schickt. «Oft unterschätzt man die Wirkung von lautstarken, weltweiten Protesten. Diese können die Schweizer Politik aber sehr wohlauf den Plan rufen und zu diplomatischen Bemühungen führen», sagt er. Eine Möglichkeit sei auch die finanzielle Unterstützung von Organisationen mit Sitz in der Schweiz oder im Ausland. Schweizer Organisationen leisten hier wichtige Arbeit, während Organisationen im Ausland diejenigen Kräfte seien, die Betroffene in Sicherheit bringen. Doch damit soll das Engagement nicht enden. «Und wenn die Menschen hierhin flüchten: Fordert von der Politik, dass sie bleiben dürfen, und empfangt sie mit offenen Armen in der Schweiz und in der Community!»


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