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«Wir haben gleiche Pflichten – aber nicht gleiche Rechte»

Deborah und Marisa werben in ihrem privaten und beruflichen Umfeld aktiv für ein Ja zur Ehe für alle am 26. September

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Nach acht Jahren Beziehung liessen Deborah (links) und Marisa Emery ihre Partnerschaft eintragen. (Bild: privat/zvg)

Als Deborah und Marisa Emery im Sommer 2018 ihre Partnerschaft eintragen liessen, kriegten sie von einer anderen Hochzeitsgesellschaft zu spüren, dass ihre Liebe nicht gleichwertig sei. Nun setzen sich die beiden Frauen für ein Ja zur Ehe für alle am 26. September ein.

Es sollte der schönste Tag des Lebens sein, doch wenn Deborah und Marisa Emery an jenen Tag im Standesamt Bümpliz im Westen von Bern denken, mischt sich grosse Enttäuschung in die Erinnerungen mit.

Das Schloss Bümpliz ist bei Paaren begehrt. In der warmen Jahreszeit reihen sich Termine an Termine, der Rosengarten im Schlosspark ist ein beliebtes Fotomotiv bei den frisch vermählten und eingetragenen Paaren. So auch im Sommer 2018: Deborah und Marisa Emery hatten soeben ihre Partnerschaft registriert, in den Händen hielten sie Blumensträusse.  Man war bereit für das anstehende Fotoshooting mit den Familien im Rosengarten. Im Schlosspark befand sich eine weitere Hochzeitsgesellschaft, auf einer Bank sassen drei Frauen im gleichen Alter wie die Emerys. Sie zeigten mit dem Finger auf das frisch eingetragene Paar, machten dumme Sprüche und lachten es aus.

«Wäre das im Alltag passiert, wäre ich durchgedreht», erinnert sich Marisa, damals hochschwanger mit Tochter Leilani. Da es ihr Hochzeitstag war, versuchte die Eventmanagerin es zu ignorieren. Doch vergessen konnte die 37-Jährige den Zwischenfall bis heute nicht. «Rückblickend hat es mir den ganzen Tag verdorben. Es zeigte einmal mehr, dass wir als gleichgeschlechtliches Paar nicht gleichberechtigt sind.»


Weniger Rechte, dieselben Pflichten
Eine eingetragene Partnerschaft unterscheidet sich in mehreren Punkten von einer Ehe. Beim Standesamt gibt es für gleichgeschlechtliche Paare keine Trauzeug*innen. Im Gegensatz zu «verheiratet», «geschieden» oder «verwitwet» heissen die Zivilstände für gleichgeschlechtliche Paare «in eingetragener Partnerschaft», «aufgelöste Partnerschaft» oder «durch den Tod aufgelöste Partnerschaft». Da bei eingetragenen Paaren automatisch die Gütertrennung gilt, mussten Deborah und Marisa die Errungenschaftsbeteiligung notariell beglaubigen lassen. Weitere Hürden waren die Stiefkindadoption für die gemeinsame Tochter sowie eine Namensänderung, damit alle Deborahs Nachnamen tragen konnten (MANNSCHAFT berichtete). Für alle Verfahren mussten die Emerys mehrere Tausend Franken bezahlen. Für eine weitere Überraschung sorgte die erste gemeinsame Steuerrechnung, die um einen höheren vierstelligen Betrag ausfiel – die sogenannte «Heiratsstrafe». «Wir haben nicht die gleichen Rechte wie Ehepaare, die gleichen Pflichten hingegen schon», sagt Marisa.

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Deborah Emery ritt auf einem Pferd zum Altar. (Bild: privat/zvg)

Für die Emerys war es wichtig, ihre Hochzeit gebührend feiern zu können. Ein Jahr nach der Eintragung ihrer Partnerschaft buchten Deborah und Marisa eine Villa in der Toskana für eine freie Zeremonie. Vor 80 geladenen Gästen wartete Marisa mit Leilani auf dem Arm vor dem Altar, Deborah ritt auf dem Pferd daher. Im weissen Brautkleid, wohlgemerkt. «Wir sind extrovertierte Frauen, wir sind ‹out and proud›», sagt Deborah, 37, die als Marketingspezialistin arbeitet. «Wir wollten ein Zeichen setzen und sagen: Das, was ihr könnt, wollen wir auch.»

«Jede Stimme zählt»
Die junge Familie engagiert sich stark im Abstimmungskampf für die Ehe für alle. An ihrer Hauswand hängt die «Ja, ich will»-Fahne des Ja-Komitees. Immer wieder erinnern die beiden Frauen ihr Privat- und Berufsumfeld daran, am 26. September abstimmen zu gehen. «Das Gefühl, bei meinen Bekannten auf Betteltour gehen zu müssen, ist mir unangenehm – dass ich andere darum bitten muss, mir die gleichen Rechte zu geben, die für sie selbstverständlich sind», sagt Marisa.


Deborah ergänzt: «Ich teile unser Anliegen oft: auf Instagram und Facebook – sogar auf Linkedin. Einerseits bin ich stolz auf unsere Regenbogenfamilie. Andererseits möchte ich andere mit der Thematik nicht nerven. Doch es geht nicht anders. Wenn wir die Botschaft nicht vermitteln, kommt die Ehe für alle an der Urne auch nicht durch. Jede Stimme zählt.»

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Mit einer freien Zeremonie in der Toskana feierten Deborah und Marisa im Sommer 2019 ihre Hochzeit. (Bild: privat/zvg)

Ein kräftezehrender Abstimmungskampf
Von 2013 bis 2020 beriet die Politik die Ehe für alle, seit Monaten befindet sich die Community im Abstimmungskampf. Die mediale Präsenz des Themas zehrt an den emotionalen Kräften. Deborah und Marisa sind froh, wenn die Abstimmung vorbei ist. Zeitungen berichten laufend über queere Paare, eine gute Familienfreundin trat in einer Talkshow auf. «Ich kann die Kommentare in den Medien gar nicht mehr lesen. Vieles davon ist unter der Gürtellinie», sagt Marisa. Dann kommt sie auf die Plakatkampagne einer Nein-Gruppierung zu sprechen, die die Ehe für alle mit Sklaverei und toten Samenspendern in Verbindung brachte. «Wir waren schockiert. Wirklich schockiert! Es überrascht mich, dass das Streuen solcher Unwahrheiten überhaupt erlaubt ist. Man stelle sich Leute vor – vor allem ältere Menschen –, die sich nicht mit dem Thema auseinandersetzen, und aufgrund solcher Plakate Nein stimmen.»

Deborah und Marisa sind glücklich, in einem Umfeld zu leben, das sie und ihre Tochter bedingungslos unterstützt. Dass das nicht immer so ist, zeigen Beispiele von Freund*innen. «Wir wissen von homosexuellen Freund*innen, deren Familien Nein stimmen werden. Im Sinne von: ‹Lesbisch oder schwul zu sein ist völlig okay, heiraten und Kinder kriegen aber nicht.›», sagt Deborah. Umso mehr freut es die beiden Frauen, wenn sie positives Feedback von heterosexuellen Freund*innen und Bekannten erhalten und als Rollenbilder wahrgenommen werden. «Freundinnen, Arbeitskollegen und auch Familienmitglieder haben uns gesagt, dass sie an unserem Beispiel sehen, dass Regenbogenfamilien funktionieren und etwas Schönes sind», sagt Marisa.

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Deborah und Marisa setzen sich in ihrem Umfeld aktiv für ein Ja am 26. September ein. (Bild: privat/zvg)

Ob die Ehe für alle zur «Normalisierung» gleichgeschlechtlicher Beziehungen beitragen wird? «Auf jeden Fall. Dies führt sicher zu mehr Akzeptanz», sagt Marisa. Der Abstimmungskampf habe diesbezüglich viel Vorarbeit geleistet. «Die Medien haben viele positive Geschichten über LGBTIQ-Menschen gebracht. Auch die Zusicherung aus dem Freundes- und Bekanntenkreis hat mich überwältigt, selbst wenn man das nur anhand eines eingefärbten Profilbilds in den sozialen Medien gesehen hat.»


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