Wie queer ist … Liza Minnelli?
10 Gründe, warum die US-Entertainerin immer wieder speziell Schwule inspirierte
Bei Liza Minnelli ist es einfacher 10 Dinge zu finden, die an ihr nicht «queer» sind, als umgekehrt. Dank ihrer Oscar-gekrönten Darstellung der Sally Bowles in «Cabaret» ist sie in die Filmgeschichte eingegangen – eine Filmgeschichte, in die sie als Tochter des schwulen Regisseurs Vincente Minnelli und Schwulen-Ikone Judy Garland 1946 quasi automatisch hineingeboren wurde.
#1 Vincente Minnelli und Freeds Schwuchteln Lizas Vater war einer der grossen Camp-Künstler der 1940er- und 50er-Jahre, der vor allem mit seinen bonbonbunten Filmmusicals für MGM berühmt wurde: zum Beispiel «Meet Me in St. Louis» mit Judy Garland, aber auch der mit Oscars überhäufte Film «Gigi» über eine junge Kurtisane-in-der-Ausbildung im Paris der Belle Époque. Papa Vincente arbeitete mit der sogenannten Arthur Freed Unit, die für die MGM-Musicalsparte zuständig war. Wegen des hohen Anteils von Homosexuellen in dieser Abteilung wurde sie oft als «Freed’s Fairies» bezeichnet, was man grob übersetzen könnte als «Freeds Schwuchteln».
Aufgrund des seit 1934 geltenden Production Codes – einer Selbstzensurmassnahme Hollywoods, um den «moralischen Verfall» der USA aufzuhalten – konnten queere Themen nur im Subtext von Filmen behandelt werden oder als Metapher. «Freed’s Fairies» perfektionierten beides, etwa mit dem Klassiker «The Wizard of Oz» (1939). Arthur Freed selbst holte den ehemaligen Schaufensterdekorateur Vincente zu MGM. Über Minnellis sexuelle Orientierung kursieren viele Gerüchte, Details hielt er vor der Öffentlichkeit geheim. Claude J. Summers schreibt in «The Queer Encycloedia of Music, Dance & Musical Theater» 2004: «Obwohl er viermal verheiratet war, wird von vielen vermutet, dass Minnelli schwul war. Aber in der zutiefst konservativen Welt Hollywoods in den 1950er-Jahren hielt er sein Privatleben abgeschirmt, auch wenn seine schwule Ästhetik in all seinen Filmen deutlich erkennbar ist.»
#2 Judy Garland Viele behaupten, dass Liza Minnellis späteres «Pech», immerzu schwule Männer zu heiraten und ihr «Unglück» in Alkohol und Drogen zu begraben, das Erbe ihrer Mutter Judy sei. (MANNSCHAFT berichtete über Judy Garlands Leben.) Die holte ihre kleine Tochter schon 1949 vor die Kamera, um im Film «In the Good Old Summertime» in der Schlussszene ihr fiktives Kind zu spielen. Auch später trat Liza immer wieder zusammen mit ihrer Mutter auf, etwa in der berühmten «Judy Garland Show», wo die stolze Judy ihren aussergewöhnlich talentierten Nachwuchs wiederholt als Sängerin und Tänzerin vorstellte.
Liza lernte so das Showbusiness aus nächster Nähe kennen, mit allen Tricks und Tragödien, und sie lernte früh, sich neben ihrer überlebensgrossen Mutter zu behaupten, neben der sie u. a. im London Palladium auftrat. Übers Umfeld ihrer Mutter lernte Liza auch die Bedeutung einer eingeschworenen schwulen Fangemeinde kennen, die bis zum bitteren Ende zu ihr hält.
#3 Kander & Ebb Bevor Liza den ganz grossen Durchbruch mit der «Cabaret»-Verfilmung 1972 schaffte, lernte sie schon lange vorher das schwule Autorengespann John Kander und Fred Ebb kennen. Die beiden schrieben viele Songs für sie und gaben ihr 1965 auch ihre allererste Broadway-Rolle in der Titelpartie von «Flora the Red Menace». Liza war damals gerade 19 Jahre alt und bekam ihren ersten Tony Award für die Darstellung einer jungen Frau mit auffallend sozialistischen Ansichten. Sie sang im Stück sowie auf dem Cast Album das wunderbare Kander-&-Ebb-Lied «A Quiet Thing».
Am Broadway bekam sie 1966 die Rolle der Sally Bowles nicht von Regisseur Harold Prince, aber die Zusammenarbeit mit Kander & Ebb ging trotzdem weiter. So schrieben sie 1972 für sie die Show «Liza with a Z» – choreographiert von Bob Fosse –, dessen Titel so etwas wie die Visitenkarten von Liza Minnelli wurde. Kander & Ebb haben später weitere bahnbrechende Musicals kreiert, und mit «Kiss of the Spiderwoman» auch eins mit einer eindeutig schwulen Figur, die aus Liebe einen heroischen «Liebestod» für ihren heterosexuellen Zellengenossen aus dem Polizeigefängnis auf sich nimmt. Die Spinnenfrau sang mit überwältigendem Erfolg Chita Rivera, eine weitere Gay Icon. Kander & Ebb schrieben für Rivera und Minnelli als Divendoppel das Musical «The Rink», über eine komplizierte Mutter-Tochter-Beziehung. Liza verlies die Produktion 1984, um sich in die Betty-Ford-Klinik einliefern zu lassen.
#4 Cabaret In der Verfilmung des Musicals «Cabaret» aus dem Jahr 1972 verwandelte Liza Minnelli zusammen mit Regisseur Bob Fosse die Hauptfigur der Sally Bowles in etwas Neues: ein sexuell befreiter Wirbelwind, der durch die letzten Tage der Weimarer Republik fegt und alles mitnimmt, was sich anbietet. Dazu singt Minnelli an der Seite des androgynen und enigmatischen Master of Ceremonies, gespielt von Joel Grey, Musiknummern, die Kander & Ebb neu für sie komponierten, darunter «Money, Money, Money», aber auch den Lovesong «Maybe This Time (I’ll Be Lucky)» sowie natürlich den Kracherauftritt «Bye bye mein lieber Herr».
Im März 1973 wurde der Film für zehn Oscars nominiert. Gleichzeitig war «Der Pate» mit Marlon Brando ebenfalls für zehn Oscars nominiert. Christopher Isherwood, auf dessen Romanvorlage das Musical basiert, schrieb stolz in sein Tagebuch: «Triumph von Cabaret über Der Pate. Sie bekamen nur drei Oscars, wir acht.» Der Film gewann u. a. in der Kategorie «Beste Schauspielerin» (Minnelli) und «Beste Regie» (Fosse).
Im Film wird die männliche Hauptfigur (gespielt von Michael York) erstmals als bisexuell gezeigt. 1976 veröffentliche Isherwood schliesslich seine Autobiografie «Christopher and His Kind» und machte öffentlich, dass diese Hauptfigur (= er selbst) schwul ist und nach Berlin kam, um «Jungs» zu treffen. Viele spätere Inszenierungen des Musicals haben diese Idee aufgegriffen und aus dem ursprünglich heterosexuellen «Cliff» den neuen schwulen «Chris(topher)» gemacht, etwa die Langzeitproduktion von «Cabaret» im Berliner Tipi am Kanzleramt, von Madonnas Ex-Choreograph Vincent Paterson.
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#5 Schwules Museum Die Art und Weise, wie Liza die von gesellschaftlichen Konventionen befreite Figur der Sally Bowles spielte, inspirierte viele Männer der jungen Schwulenbewegung – auch im West-Berlin der frühen 1970er-Jahre. Aktivist und Filmhistoriker Wolfgang Theis beispielsweise schmiss sich kurz nachdem «Cabaret» in die deutschen Kinos kam in die berühmte Kostümierung Minnellis und stellte sich in «Mein lieber Herr»-Pose vor die Kamera. Später gründete Theis das Schwule Museum und brachte zusammen mit der Akademie der Künste die Ausstellung «Goodbye to Berlin: 100 Jahre Schwulenbewegung» heraus. Auf dem Cover: Christopher Isherwood mit seinem Partner Don Bachardy. Zwar zeigte Theis sich damals im Katalog nicht als Sally-Bowles-Double, aber das Foto tauchte dann 2019 doch noch prominent auf in der SMU-Ausstellung «My Dearest Sweet Love: Christopher Isherwood & Don Bachardy» (MANNSCHAFT berichtete).
#6 Der bisexuelle Ehemann Peter Allen Ihren erste Ehemann Peter Allen lernte Liza übers Umfeld ihrer Mutter kennen, die den jungen Australier protegierte. Liza heiratete ihn 1967. Allen war ein flamboyanter Singer-Songwriter, der in den frühen 70ern seiner Bisexualität nicht mehr verstecken wollte. Er und Liza liessen sich 1974 scheiden, im gleichen Jahr schrieb Allen den Song «I Honestly Love You», der dank Olivia Newton-John ein Riesenhit wurde. Seine Bisexualität thematisierte er 1980 auch mit dem Album «Bi-Costal» und seine Andersartigkeit mit dem Album «Not the Boy Next Door».
Nach der Trennung von Liza lebte Allen mit dem Fashion Model Gregory Connel zusammen, der die Liebes seines Lebens gewesen sein soll
Nach der Trennung von Liza lebte Allen mit dem Fashion Model Gregory Connel zusammen, der die Liebe seines Lebens gewesen sein soll, wie sein Biograf schreibt. Connel starb an Aids, Allen im Jahr 1992 ebenfalls. Nachdem er etwas vergessen wurde, erschien die Doku «The Boy from Oz», aus der dann ein Jukebox-Musical wurde, das 1998 in Australien auf die Bühne kam. Die Lebensgeschichte von Allen – und seine Songs – sang damals der junge Hugh Jackman, der sich mit seiner überwältigen Darstellung an den Broadway katapultierte und gleich noch einen Tony Award gewann. Eine Ahnung von Allens Ausstrahlung und Jackmans Charisma bekommt man, wenn man sich die Tony-Award-Zeremonie von 2004 anschaut, in der Jackman in Goldhose auf einem Kamel hereingeritten kommt, bevor er Sarah Jessica Parker auf die Bühne holt und ihr zeigt, wie man seine Hüften richtig schwingt, wenn man nicht der typische «Boy Next Door» ist.
#7 Halston Einer der engsten Freunde und Weggefährten von Liza in den 1970er- und 80er-Jahren war der schwule Modeschöpfer Halston. Liza trug seine Designs, wenn sie als Dauergast im Studio 54 auftauchte, aber auch sonst bei vielen Fototerminen. Und natürlich war Liza ständig zu Gast in Halstons Townhouse, wo in Sachen Sex und Drogen die Post abging. Auch Halston starb an Aids. Für 2021 hat Netflix eine Ryan-Murphy-Miniserie mit dem Titel «Haltson» angekündigt, in der Ewan McGregor in die Rolle des titelgebenden Style-Gurus schlüpft. Gian Franco Rodriguez spielt Halstons langjähriger Lover Victor Hugo; Krysta Rodriguez spielt Liza. (MANNSCHAFT berichtete u. a. über Murphys Netflix-Serie «Hollywood».) Zum Aufwärmen sei die Dokumentation «Halston» von Frédéric Tcheng aus dem Jahr 2019 empfohlen, die bei Amazon Prime verfügbar ist.
#8 Aids Wegen der unendlich vielen Aids-Toten in ihrem unmittelbaren Umfeld, hat sich Liza Minnelli schon früh dafür eingesetzt, das Virus zu bekämpfen und sich für Projekte engagiert, die Geld sammelten, um Aids-Patienten zu helfen. 2006 erzählte sie in einem Interview, dass sie Elizabeth Taylor auf das HIV/Aids-Problem aufmerksam gemacht habe, als beide über den gemeinsamen Freund Rock Hudson sprachen. Liza hat später viel Zeit und Energie in «The Foundation for AIDS Research» investiert, die von Taylor mitgegründet wurde. 1994 nahm sie den Kander-&-Ebb-Song «The Day After That» (aus «Kuss der Spinnenfrau») auf und spendete die Einnahmen für die Aids-Forschung. Im gleichen Jahr sang sie das Lied vor tausenden Menschen im Central Park, anlässlich des 25. Jahrestags der Stonewall Riots.
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#9 Carnegie Hall Es war Rock Hudson höchstpersönlich, der die junge Liza 1961 am Ende des legendären Carnegie-Hall-Konzerts von Judy Garland auf die Bühne hob für den Schlussapplaus. Es war eigentlich klar, dass Liza irgendwann selbst ein Carnegie-Hall-Konzert geben würde. Das tat sie 1987 als eine Art Comeback nach ihren ersten grossen öffentlichen Drogenabstürzen. Als sie am Ende des Konzerts «Life is a Cabaret» sang und der Saal jubelte – übervoll mit schwulen Fans, die selbst im Lebenskampf gegen Aids standen –, änderte Liza den Schluss und sang «When I go, I am NOT (!) going like Elsie». Man kann die Reaktion des Publikum nachhören auf dem Doppelalbum «Liza Minnelli: At Carnegie Hall», mit dem sie es zum ersten Mal seit 13 Jahren wieder schaffte, in die Billboard-200-Albencharts einzusteigen.
#10 Pet Shop Boys Kurz nach dem Carnegie-Hall-Comeback überredeten die Pet Shop Boys Liza, ein Pop-Album mit ihnen zu machen. Dieses trug den Titel «Results», wurde 1989 in London aufgenommen und kam im gleichen Jahr auf den Markt. Neil Tennant war schon vorher ein grosser Fan von Minnelli und schrieb etliche Songs gezielt für sie. Einer der grössten Hits des Album wurde allerdings die Singleauskopplung «Losing My Mind», ein Song des schwulen Musicalgotts Stephen Sondheim, aus dessen Stück «Follies». Diese Neufassung des Liedes stürmte im UK die Hiparaden und landete auf Platz 6. Minnelli trat damit bei «Top of the Pops» auf.
Nach vielen weiteren Karriere Hochs und Tiefs trat Minnelli 2010 quasi als ihr eigenes Denkmal im zweiten «Sex and the City»-Film auf, um bei der «Hochzeit» von zwei schwulen Männern zu singen, trotz kaputten Knien und einer Reststimme in Ruinen. Sie begeistert trotzdem – oder gerade deswegen. Weil sie sich durch nichts unterkriegen lässt!
Seither hat sich Minnelli nach Los Angeles zurückgezogen. Ein Freund erzählte mir kürzlich, dass er sie besucht habe. Als die Tür in Beverly Hills aufging stand Liza im Flur, hinter ihr – direkt nebeneinander – die überlebensgrossen Porträts von Judy Garland und Vincente Minnelli. Das ergab, so mein Bekannter, ein Trost-spendendes Triptychon: drei queere Götter bzw. Göttinnen vereint, ihres Platzes in so was wie einer ewigen LGBTIQ-Ruhmeshalle absolut sicher.
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