Westjordanland: Sanktionen gegen queerfeindliche Siedlungspolitik
Ungarn stellte sich lange dagegen, jetzt aber verhängte die EU erstmals Strafen
Die EU setzt jetzt ein Zeichen gegen die gewaltsame Siedlingspolitik gegen Palästinenser*innen im Westjordanland. Ziel ist es, langfristig die Friedensbemühungen voranzutreiben.
Die EU hat erstmals Sanktionen wegen der Gewalt radikaler israelischer Siedler gegen Palästinenser im Westjordanland verhängt. Die Mitgliedstaaten beschlossen die Strafmassnahmen gegen Personen und Organisationen, die dafür verantwortlich sein sollen, am Freitag in einem schriftlichen Verfahren. Ab sofort mit Sanktionen belegt sind vier Männer, denen zum Beispiel Folter, Erniedrigungen oder Verstösse gegen das Eigentumsrecht vorgeworfen werden, wie aus dem EU-Amtsblatt hervorging. Zudem sind die radikale Jugendgruppe Hilltop Youth und eine rechtsradikale jüdische rassistische Gruppe mit dem Namen Lehava betroffen.
Angriffe gegen Palästinenser*innen werden wie der Siedlungsbau im Westjordanland als eines der Hindernisse für Bemühungen um eine langfristige Friedenslösung im Nahost-Konflikt gesehen – insbesondere auch nach dem Hamas-Massaker in Israel vom 7. Oktober (MANNSCHAFT berichtete). Die EU hat die Gewalttaten und den Siedlungsbau bereits wiederholt verurteilt – für Strafmassnahmen gab es aber bis heute nie den erforderlichen Konsens.
Die Sanktionsentscheidung gilt deswegen als ein Anzeichen für einen Kurswechsel in der Israel-Politik der EU – auch wenn die Strafmassnahmen an sich für die Betroffenen vergleichsweise geringe Auswirkungen haben. Im Idealfall sollen die sie nach Angaben von Diplomat*innen aber dazu führen, dass die israelische Justiz sich künftig engagierter um die Verfolgung von Gewalt von israelischen Siedler*innen gegen palästinensische Dörfer und Olivenhaine kümmert.
Hilltop Youth wird im EU-Amtsblatt als eine Gruppe beschrieben, die sich aus Mitgliedern zusammensetze, die für Gewalttaten gegen Palästinenser*innen und deren Dörfer im Westjordanland bekannt seien. Die Strafmassnahmen gegen Lehava begründet die EU unter anderem damit, dass diese Gewalt anwende und zu Gewalt gegen Palästinenser*innen, Christ*innen und Messianische Jüd*innen anstifte. Lehava-Mitglieder hätten zum Beispiel «Tod den Arabern» gesungen und bei Kundgebungen dazu aufgerufen, zu den Waffen zu greifen.
Lehava organisiere zudem gewaltsame Proteste gegen jüdisch-muslimische Hochzeiten und die LGBTIQ-Gemeinschaft. Lehava-Mitglieder*innen schikanierten arabisch-jüdische Paare und griffen diese an. Zu den betroffenen Personen zählen Mitglieder von Hilltop Youth wie der Siedleraktivist Elisha Yered und ein Mann namens Neria Ben Pazi. Letzterer soll im Jahr 2019 vier der gewalttätigsten Aussenposten im Westjordanland errichtet haben.
Die Sanktionen gegen Siedler hätten eigentlich bereits vor längerem beschlossen werden sollen. Die ungarische Regierung, die in der EU als besonders israelfreundlich gilt, signalisierte allerdings erst im vergangenen Monat, dass sie ihnen nicht mehr im Weg steht. Teil der Einigung war, dass es auch neue Strafmassnahmen gegen bewaffnete islamistische Gruppen gibt. Sie waren bereits in der vergangenen Woche verhängt worden – insbesondere wegen des Einsatzes «systematischer und weiträumiger sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt».
Die Sanktionen wurden mithilfe des EU-Sanktionsinstruments zur Ahndung von schweren Menschenrechtsverstössen verhängt. Personen, die betroffen sind, dürfen nicht mehr in die EU einreisen und keine Geschäfte mehr mit EU-Bürgern machen. Ausserdem müssen von den Betroffenen in der EU vorhandenen Konten und andere Vermögenswerte eingefroren werden.
Mit den Sanktionen folgt die EU dem Beispiel der USA. Diesen haben bereits Strafmassnahmen verhängt, die sich gegen extremistische israelische Siedler richten. Die USA werfen den Betroffenen unter anderem vor, sich im Westjordanland an Gewalt gegen palästinensische Zivilisten beteiligt zu haben.
Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, hatte die Entwicklungen in dem Gebiet erst in der vergangenen Woche wieder als höchst besorgniserregend bezeichnet. Im Westjordanland würden Palästinenser*innen ständig von Hunderten israelischen Siedler*innen angegriffen, die oft vom Militär unterstützt würden, liess er mitteilen. Nach der Tötung eines 14-jährigen Israeli aus einer Siedlerfamilie seien bei Racheakten vier Palästinenser*innen getötet worden, darunter ein Kind. Israel sei als Besatzungsmacht verpflichtet, Palästinenser*innen vor Siedlerattacken und rechtswidriger Gewalt durch Sicherheitskräfte zu schützen, so Türk.
Ein Grund für die angespannte Lage im Westjordanland ist, dass Israel dort seit der Eroberung des Gebiets im Sechstagekrieg 1967 umstrittene Siedlungen ausbaut. Die Zahl der Siedler*innen in dem Gebiet, das zwischen dem israelischen Kernland und Jordanien liegt, ist inzwischen auf etwa eine halbe Million gestiegen. Einschliesslich Ost-Jerusalems sind es sogar 700’000. Die Siedler*innen leben inmitten von rund drei Millionen Palästinenser*innen.
Die Vereinten Nationen haben diese Siedlungen als grosses Hindernis für eine Friedensregelung eingestuft, weil sie kaum noch ein zusammenhängendes Territorium für die Palästinenser bei einer möglichen Zweistaatenlösung zulassen. Als ein weiterer Grund für die angespannte Lage gelten Razzien der israelischen Armee in Städten des Westjordanlands wegen Anschlägen von Palästinenser*innen auf Israelis.
Ein schwuler Soldat der israelischen Armee hat eine Pride-Flagge auf dem Boden des Gazastreifens enthüllt und löste damit Diskussionen aus (MANNSCHAFT berichtete).
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