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Wer den ESC politisiert, kann sich entscheiden, ihm fernzubleiben

Boykott-Aufrufe hat es in der Geschichte des Contest immer wieder gegeben

ESC
Eurovision Song Contest (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Es gibt Forderungen, Israel vom Eurovision Song Contest auszuschliessen. So wie Russland. Doch der Vergleich zwischen den Ländern und den Kriegen, die sie führen, ist nicht zulässig, schreibt unser Autor in seinem Kommentar*.

In den Foren von ESC-Fans wächst die Vorfreude auf den nahenden Mai, auch wenn die Temperaturen gerade nicht andeuten, dass es in gar nicht so weiter Ferne frühlingshaft wird. Am 11. Mai findet in Malmö das Grand Final des 68. Eurovision Song Contest statt (MANNSCHAFT berichtete) – an einem Samstag wie immer, und am Dienstag und Donnerstag zuvor werden dortselbst die Semifinals gegeben. In einigen Ländern hat es schon gültige Nominierungen gegeben, in Deutschland findet die Vorentscheidung im Februar statt (MANNSCHAFT berichtete). 37 Länder werden in der schwedischen Hafenstadt gegenüber von Kopenhagen an den Start gehen.


Billie Eilish hat sich geoutet – und sagt: «War das nicht offensichtlich?»


Und geht es nach einigen Stimmen in Island, unterstützt durch weitere in Irland und Finnland, sollen es nur 36 Länder sein, die um die Krone des eurovisionären Pop streiten bzw. singen & tanzen. Israel nämlich soll draussen bleiben, denn dieses Land sei wegen seines Kriegs gegen Gaza nicht akzeptabel (MANNSCHAFT berichtete). Sollte das nahöstliche Land, das am 7. Oktober vorigen Jahres durch massakrierende Attacken, mehr als 1200 nicht-soldatische Menschen wurden getötet, der im Gazastreifen herrschenden Terrororganisation Hamas heimgesucht wurde und deshalb militärisch gegen diese Organisation vorgeht (die Zahl der Toten in Gaza liegt laut dem von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministerium bei mittlerweile rund 26’000 – die Zahlen lassen sich kaum unabhängig überprüfen) nicht ausgeschlossen werden, würden diese Länder sich überlegen, nicht in Malmö dabei zu sein.


Die European Broadcasting Union, die Schaltzentrale der öffentlich-rechtlichen Sender Europas (und der angrenzenden Mittelmeerstaaten) in Genf, hat reagiert und darauf verwiesen, dass der ESC ein unpolitischer Wettbewerb, in dem es nur ums Entertainment gehe. Das ist allerdings so wahr wie unwahr: Symbolisch ist der ESC nichts als Show und zugleich immer ein Zeichen, wer dazugehört und wer nicht.

Boykottaufrufe hat es in der ESC-Geschichte immer gegeben, einige waren erfolgreich, andere versandeten, ohne die europäischen Öffentlichkeiten zu rühren. 1969 waren nicht alle Länder der damals zur Eurovisionscommunity zählenden Länder bereit, nach Madrid zum ESC zu reisen – Spanien war noch eine Rechtsdiktatur, man wollte diesen Staat nicht imagemässig aufwerten.
Israel kam erst 1973 erstmals zum ESC – und belegt mit der Sängerin den vierten Platz. 1980, trotz Sieg Israels 1979 beim ESC, hatte das israelische Fernsehen weder Geld noch Kapazität, den ESC auszureichen – es war das einzige Jahr, in dem ein arabisches Land die Möglichkeit zur Selbstdarstellung beim ESC nutzte: Marokko, unter «ferner sangen» endete dessen Performance. Maghrebinische Länder sind Teil der ESC-Länderschar, aber weil eben Israel dabei ist – und jedes Jahr neu heiss darauf ist, der ESC ist dort sehr populär –, verzichtet man.

Das war in all den Jahrzehnten nie ein Problem, zumal immer mehr muslimisch geprägte Künstler*innen, beheimatet in europäischen Ländern, antraten und vielfach sehr gut abschnitten. Der Initiative aus Island (mit Support aus Irland und Finnland) wird kein Erfolg geweissagt: Die EBU schliesst prinzipiell keine EBU-Länder aus, weil deren Politik da und dort nicht behagt. Der Trick ist: Wer den ESC politisiert, kann sich entscheiden, nicht dabei sein zu wollen.


Gute Lösung, finde ich. In Island, Stand jetzt, heisst es nun: Wer gewinnt, könne selbst entscheiden, ob sie nach Malmö reisen wollen oder nicht. Ich würde sagen: Wer protestiert, für oder gegen was auch immer, braucht ein Forum. Wer das in Malmö nicht sucht, bleibt ungehört. Es wäre der Ruin von Karrierechancen, würden etwa isländische, irische oder finnische Künstler*innen zuhause bleiben. ESC ist ja gerade auch da, um sich über die eigenen Landeshorizonte hinaus zu empfehlen.


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So oder so, wie auch immer die politischen Moralisierungen in Reykjavik, Dublin und Helsinki weiter verlaufen: Ausgerechnet das Land Isreal ausschliessen zu wollen, missachtet den Anlass des israelischen Krieges gegen die Hamas (nicht gegen die Palästinenser!). Wer jetzt sagt, Russland und Belarus seien ja auch vom Wettbewerb ausgeschlossen worden, verkennt die politische Qualität: Russland hat die Ukraine kriegerisch angegriffen –, nicht weil es zuvor von der Ukraine bebomt wurde – und weil Belarus das unterstützte.

Schade, dass aus Island der Impuls in den diesjährigen ESC hineingetragen wurde, Israel zu dämonisieren.

* Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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