Von Syrien nach Südafrika – Wenn sich die Welt neu formt
Adnan Al Mousellis Flucht in die Freiheit
Nach Jahren geprägt von Krieg und Missbrauch, würdigt Adnan Al Mouselli die schönen Dinge im Leben, mögen sie noch so klein und vermeintlich unbedeutend sein. Der 27-jährige Syrer wohnt derzeit in Südafrika, hat Innenarchitektur studiert und ist als Model tätig. Ein Gespräch über die Gratwanderung zwischen Selbstbehauptung und bedingungsloser Liebe zur Familie.
Adnan, mach ein bisschen Werbung für Kapstadt. Der Strand und die Berge machen Kapstadt zu einem der schönsten Orte auf diesem Planeten. Das Wetter ist fast immer gut zum Surfen und für andere Aktivitäten im Freien. Es ist wirklich hervorragend hier.
Modelst du schon lange? 2015 arbeitete ich als Kellner in einem Restaurant. Ein sehr freundlicher Herr, der in Kapstadt eine Modelagentur besass, sah mich dort und schlug vor, dass ich mich bewerbe. Ich hatte mir das bis dahin noch nie überlegt und war neugierig. Seither ist es mir in der Tat ans Herz gewachsen.
Das Konzept einer Agentur fand ich hingegen für mich persönlich nicht sehr passend. Heute arbeite ich mit Fotograf*innen zusammen, die ich über Instagram kennen lerne. Mir gefällt es, Dinge zu kreieren, an denen Menschen Gefallen finden, seien das Fotos oder Inneneinrichtungen.
Wird es nicht besser, so wird es wenigstens anders. Dieser Gedanke spendet mir Trost.
Wie bleibst du als Model in Form? Die Pflege meines Wohlbefindens steht vor meinem Äusseren an erster Stelle. Ich achte auf eine unverarbeitete, gesunde und umweltfreundliche Ernährung. Ich mache viel Sport und bringe meinen Körper gerne an seine Grenzen, ohne diese dabei zu überschreiten. Realistische und naturbelassene Körperformen gefallen mir am besten, und das versuche ich zu bedenken, wenn es um meinen Lebensstil oder tägliche Routine geht.
Was macht für dich einen perfekten Tag aus? Ich gehe täglich vor Sonnenaufgang joggen. Ohne meinen Morgenlauf kann ich tagsüber nicht funktionieren.
Wie hast du den Krieg in Syrien in Erinnerung? Als eine der schwierigsten Lebenserfahrungen, die ich durchlebt habe und die sich heute noch in verschiedenen Traumata äussert. Obwohl es schon bald zehn Jahre her ist, weiss ich, dass sie mich mein restliches Leben lang begleiten werden. Aber ich bin auch froh, denn ohne meine Vergangenheit wäre ich nicht da, wo ich heute bin.
Kannst du daraus Kraft schöpfen? In beängstigenden oder traumatisierenden Situationen glauben wir, dass die Welt untergeht. Das ist nicht wahr, die Welt formt sich nur neu. Egal wie schlimm alles ist: Wird es nicht besser, so wird es wenigstens anders. Dieser Gedanke spendet mir Trost.
Mit 13 wurdest du über zwei Jahre von einem Mann sexuell missbraucht. Mit deinem Blog «Diary of a Gay Arab Man» hast du diese Erfahrung verarbeitet. Wie kam es dazu? Ich kam mit einem Traum nach Südafrika, oder wenigstens mit einer Erwartung: Dass ich an einem Ort sein würde, an dem ich akzeptiert bin. Aber ich fühlte mich hier nie wohl. Dieses Land leidet immer noch unter Rassismus und an den Folgen der Segregation. Noch heute habe ich keinen anerkannten Flüchtlingsstatus, mein erster Asylantrag ging verloren.
Ich fühlte mich unsichtbar. Ich hatte mein Land und meine Familie verlassen und seit meiner Ankunft hart gearbeitet. Ich wollte, dass meine Stimme gehört wird, auch wenn das nur auf einer Website ist. Darum startete ich meinen Blog.
Deine Stimme wurde gehört. Dein Blog erschien sogar in den Medien. Hast du viel Feedback bekommen? Die Resonanz war unglaublich. Ich habe hunderte E-Mails aus der ganzen Welt erhalten, die ich mit Screenshots aufbewahrte, bis es einfach zu viel wurde. Menschen schrieben mir, die ebenfalls ausgeschlossen oder missbraucht wurden, viele konnten meinen Schmerz nachvollziehen. Viele bedankten sich bei mir, weil ich über Dinge schrieb, die sie nicht aussprechen, geschweige denn online veröffentlichen konnten.
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Warum hast du deinen Blog offline genommen? Letztes Jahr kehrte ich nach Syrien zurück. Ich hatte die Hoffnung verloren, denn die Behörden konnten meinen Asylantrag nicht mehr finden. Rückblickend war das kein kluger Zug, denn ich hatte mir keinen Plan B zurechtgelegt. Meine Familie, die bis dahin nicht gewusst hatte, dass ich schwul bin, konfrontierte mich mit meinem Blog. Irgendjemand hatte ihnen den Link geschickt. Es folgten mehrere Auseinandersetzungen, die schliesslich eskalierten. Es war schlimm. Daraufhin schickten sie mich zu einem Therapeuten, um mich zu «heilen».
Eine Konversionstherapie? Ich hatte keine andere Wahl. Sollte ich mich weigern, würde mich meine Familie aus dem Haus werfen. Wie betäubt habe ich diese Sitzungen über mich ergehen lassen. Ich weiss gar nicht mehr, wie ich sie überstanden habe. Einmal war sogar meine Mutter dabei. Stell dir vor, du musst dein Sexleben vor deiner Mutter ausschlachten. Das war zweifellos der dunkelste Moment meines Lebens.
Wie bist du da wieder rausgekommen? Ich kam an einen Punkt, an dem ich nichts mehr zu verlieren hatte. Ich dokumentierte alles auf Twitter, wo ich eine anständige Anzahl an Follower*innen hatte. Dank einem guten Freund, der ein Crowdfunding einrichtete, konnte ich in den Libanon flüchten und einen Einwanderungsanwalt engagieren. Schliesslich kehrte ich mit einem Besuchervisum nach Südafrika zurück. Das war auch eine Bestätigung dafür, dass mein Asylantrag tatsächlich verloren ging. Sonst hätte ich das Visum niemals bekommen.
Stehst du noch in Kontakt mit deiner Familie? Ja, obwohl das viele nicht nachvollziehen können. Sie erwarten, dass ich meine Familie hasse. Das ist aber nicht so einfach, denn ich liebe meine Familie, vor allem meine Mutter, die bei der Konversionstherapie eine entscheidende Rolle gespielt hat. Ich spreche täglich mit ihr und gebe ihr Bescheid, wie es mir geht. In ihrem Kopf bin ich heterosexuell und die Therapie hat funktioniert. Das soll mir recht sein. Die Erfahrung lehrt mich, dass ich meine Sexualität niemandem beweisen muss und dass es Dinge gibt, die besser ungesagt bleiben.
Und wenn du eines Tages einen Freund oder langjährigen Partner hast? Ich würde meiner Mutter wahrscheinlich nicht davon erzählen.
Ich tendiere dazu, einem Typ Mann zu verfallen, der mir nicht besonders guttut.
Spielst du mit dem Gedanken, deinen Blog wieder online zu schalten? Ich weiss nicht. Der Blog war eine bittersüsse Erfahrung. Zum einen hätte ich niemals gedacht, dass ich dadurch meine Sicherheit gefährden würde. Zum anderen rechnete ich nicht damit, dass mir manche keinen Glauben schenken würden. So unglaublich grossartig die Bestätigung war, nicht alleine zu sein, war es ernüchternd, zu sehen, wie einige über mich urteilten oder mich für den sexuellen Missbrauch verantwortlich machten. Obwohl ich meine Geschichte in meinen Worten erzählte, kann man das Geschehene nur dann verstehen, wenn man es auch am eigenen Leib erfahren hat. Sollte ich meine Texte wieder veröffentlichen, dann höchstens in der Form eines Buchs. Meine Geschichte verdient etwas Besseres als einen Blog. Doch dazu muss ich zuerst in einer stabilen Situation sein und ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht haben.
Wie hast du den Missbrauch verarbeitet? Die Therapie ist eine ständige Begleiterin. Ich glaube nicht, dass man jemals vollständig darüber hinwegkommt. Manchmal habe ich Phasen der Depression, manchmal überkommt mich eine grosse Wut. Schreiben hilft sowie das Reden mit anderen Menschen. Es fällt mir schwer, Menschen zu vertrauen, besonders Männern. Ich tendiere dazu, einem Typ Mann zu verfallen, der mir nicht besonders guttut. Es ist wie eine Krankheit, die nie weggeht.
Hast du ein Ziel, das du unbedingt noch erreichen möchtest? Ich stelle mir meine Zukunft als mehrere grosse Ziele vor, die in kleine Aufgaben aufgeteilt sind. Jeder Tag, an dem ich eine Aufgabe abhaken kann, ist ein Tag, an dem ich in der Zukunft gelebt habe.
«Unsere Familien haben schon Todesdrohungen erhalten»
Wir haben über deinen Tiefpunkt gesprochen. Was wäre ein Höhepunkt? Oh, da gibt es viele. Wenn ich auf mein bisheriges Leben zurückschaue, bin ich nicht wütend oder verbittert, sondern froh, dass ich alles durchgestanden habe und es mir heute gut geht. Das ist mein glücklichster Moment.
Was ist für dich unverzichtbar? Gutes Essen, Musik und ein schönes Nickerchen.
Mehr zum Thema: Danial flüchtete aus dem Iran in die Schweiz. Auch er sagt, dass er seine Familie immer noch liebt – trotz alldem, was sie ihm angetan hat.
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