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Von Giacomettis Modell zum schwulen Verführer

Armie Hammer
Armie Hammer (Bild: Wikicommons)

Armie, gerade läuft dein neuer Film «Final Portrait» in den Kinos, ausserdem soll bald «Call Me by Your Name» folgen. Wie hast du es geschafft, dir gleich zwei so aussergewöhnliche Filme zu angeln?
Reines Glück, würde ich sagen. Zumindest kann ich nicht behaupten, dass ich irgendeinen grossen Plan gehabt oder mir etwas Besonderes für das vergangene Jahr vorgenommen hätte, als ich beide Filme gedreht habe. Von Stanley Tucci, der «Final Portrait» ja inszeniert hat, hätte ich wirklich jedes Angebot angenommen. Und im Fall von «Call Me by Your Name» hatte ich den Roman gelesen. Meine Frau nennt ihn sehr treffend «eines der sexyesten Bücher, das je geschrieben wurde». Wie hätte ich es mir also entgehen lassen können, in der Verfilmung mitzuspielen? Dann noch für einen so sinnlichen Regisseur wie Luca Guadagnino.

Jeden Tag gab es für uns einen Martini am Set.

Beide Filme entstanden im vergangenen Jahr?
Genau. 2016 war beruflich definitiv eines der besten Jahre meines Lebens. Erst arbeiteten wir in London an «Final Portrait», was sicherlich der zivilisierteste und gediegenste Dreh meines Lebens war. Jeden Tag gab es nach getaner Arbeit für Stanley, meinen Kollegen Geoffrey Rush und mich einen Martini am Set. Anschliessend machten wir uns frisch und gingen gemeinsam schick essen. Stanley natürlich stets elegant im Anzug. Das war wunderbar. Aber der anschliessende Sommer mit Luca und meinen Kollegen im sonnigen Italien war genauso toll.

In «Final Portrait» spielst du den Schriftsteller James Lord, der sich von Giacometti malen liess. Ist es etwas anderes, eine reale Person zu spielen?
Was das Schauspielern angeht, nicht wirklich. Aber selbstverständlich bedeutete es, dass ich zur Vorbereitung eine enorme Menge Quellen- und Recherchematerial zur Verfügung hatte. Das reichte von all seinen Romanen und Biografien bis hin zu den Briefen, die er seiner Mutter aus Paris geschickt hatte. Nicht zu vergessen die Tagebucheinträge, die er über die Sitzungen bei Giacometti verfasste. In einem solchen Fall nähert man sich einer Rolle natürlich anders als etwa bei «Call Me by Your Name», wo ich als Oliver lediglich eine Romanfigur spiele, die bestenfalls sehr lose auf einer echten Person basiert.


Warst du mit Lords Werken schon vor diesem Film vertraut?
Nicht wirklich, leider. Ich kannte seine Picasso-Biografie, aber das wars auch schon. Ich hatte noch nicht einmal «Alberto Giacometti – Ein Portrait» gelesen, was ich natürlich als Erstes nachholte.

Hast du für Kunst etwas übrig?
Ich bin sicherlich kein Experte. Aber ich würde schon behaupten, dass ich Kunstliebhaber bin. Und dabei beziehe ich mich nicht nur auf die bildende Kunst, sondern auf alle Künste, ganz allgemein. Im weitesten Sinne bin ich ja schliesslich selbst Künstler.

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In «Final Portrait» spielt Armie Hammer den Briten James Lord, einen schwulen Schriftsteller und Modell für den Künstler Alberto Giacometti (rechts, gespielt von Geoffrey Rush). (Bild: Sony Pictures Classics)

Hängst du dir auch Kunst an die Wände?
Ja, ich habe in den letzten Jahren Gefallen gefunden am Kunstsammeln. Natürlich kann ich mir keine Giacomettis oder so leisten. Aber ich kaufe viel von jungen, noch eher unbekannten Künstlern in Los Angeles. Zuletzt vor allem von einem Kerl namens Tyler Ramsey. Mir geht es dabei nicht ums Investieren oder so. Diese kommerzielle Seite des Sammelns, wo Leute Kunst nur für den Profit kaufen, interessiert mich so gar nicht. Ich suche mir einfach Werke aus, die mich ansprechen und Gefühle in mir auslösen. Wenn mit etwas gefällt, weil es mich interessiert und berührt, dann kaufe ich es.


Dass Lord schwul war, spielt in «Final Portrait» so gut wie keine Rolle. Warum eigentlich nicht?
Nun, zum einen geht es im Film viel mehr um Giacometti als um ihn. Und um das Verhältnis zwischen den beiden, dasjenige vom Künstler zu seinem Modell. In diesem Kontext ist die sexuelle Orientierung Lords einfach nicht wichtig. Und selbst als er zuhause anruft, um zu berichten, dass er noch länger in Paris bleiben wird, ist es eigentlich zweitrangig, dass da ein Mann statt einer Frau den Anruf entgegennimmt.

Ein Biopic über ihn wäre eigentlich auch höchst spannend, oder?
Da hast du recht. Da wäre seine Homosexualität auch ein wichtiges Thema. Denn er wurde deswegen schon als Kind und Jugendlicher in schlimmste Situationen gebracht. Man versuchte, ihn mit Elektroschocks und «Reparativtherapie» zu «heilen». Es war ein langer Kampf, bis er es schaffte, sich all diesen Massnahmen zu widersetzen.

Kommen wir noch auf «Call Me by Your Name» zu sprechen, die Verfilmung des Romans von André Aciman. Der Film sieht aus wie die perfekten Sommer­ferien …
So ungefähr waren auch die Dreharbeiten. Am liebsten würde ich sofort zurück nach Italien und noch ein bisschen weiterdrehen. Zum einen hatte ich nur fantastische Menschen um mich herum, wie meinen entzückenden jungen Kollegen Timothée Chalamet, mit dem ich mich wirklich fantastisch verstand. Zum anderen waren wir auch von der schönsten Landschaft umgeben. Wir radelten durch die Sonne und assen mittags die tollsten Mahlzeiten in kleinen alten Provinzstädtchen. Alles an diesem Film war eigentlich ein Geschenk!

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«Call Me by Your Name» spielt 1983 an der italienischen Riviera. Der amerikanische Student Oliver (Armie Hammer) verbringt den Sommer im Elternhaus des 17-jährigen Elio (Timothée Chalamet). Zwischen den beiden entwickelt sich eine leidenschaftliche Affäre. (Bild: Sony Pictures Classics)

Es fiel also nicht schwer, die nötige Chemie zwischen dir und Timothée zu erzeugen?
Kein bisschen. Ausser uns beiden sprach in diesem kleinen Örtchen, in dem wir drehten, kaum jemand Englisch, deswegen verbrachten wir von Anfang an viel Zeit miteinander. Das hat uns natürlich zusammengeschweisst.

Heute würden sich die beiden vermutlich über Grindr verabreden, geilen Sex haben und danach getrennte Wege gehen.

Ich habe viel übrig für den Kerl, daran hat sich auch nach Drehschluss nichts geändert. Wann immer wir uns sehen, wie etwa während der Berlinale, verbringen wir so viel Zeit miteinander wie möglich.

Ist die Liebesgeschichte zwischen euch beiden deiner Meinung nach eigentlich eine typisch schwule?
So würde ich das nicht ausdrücken. Eigentlich passiert zwischen den beiden doch etwas, das fast jeder kennt. Man begegnet jemandem, der einem gefällt, und fängt an zu überlegen, wie man dessen Blicke deuten soll. Man fragt sich die ganze Zeit, ob man irgendwelche Zeichen richtig deutet, und weiss nicht recht, ob man der eigenen Intuition vertrauen kann. Das sind ganz grundlegende Elemente zwischenmenschlicher Begegnungen, die nicht nur den beiden, sondern auch einem Jungen und einem Mädchen passierten könnten.

Dass die beiden eine Weile brauchen, um sich wirklich näherzukommen, hat doch aber auch damit zu tun, dass es hier um eine Liebe zwischen zwei Männern geht, oder?
Natürlich, das ist ein wichtiger Bestandteil der Geschichte. Aber noch wichtiger ist sicherlich die Zeit, in der sie spielt, also die frühen Achtzigerjahre. Damals war das mit dem Sichnäherkommen ja noch etwas anderes, gerade unter Schwulen. Heutzutage würden sich die beiden vermutlich über Grindr verabreden, einmal geilen Sex haben und danach wieder getrennter Wege gehen.

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Foto: John Philips

Apropos Sex: Du zeigst in «Call Me By Your Name» ziemlich viel Haut. Ein gutes Gefühl?
Ehrlich gesagt war ich deswegen ganz schön nervös. Bislang habe ich mich vor der Kamera eher selten ausgezogen, und irgendwie fand ich das anfangs ganz schön intim. So, als würde sowohl meine Privatsphäre als auch diejenige der Zuschauer gestört. Aber gleichzeitig machten all diese Szenen natürlich Sinn beziehungsweise war das geradezu nötig für die Authentizität. Im Sommer in Italien ist es nun einmal heiss, warum sollte man da ein Hemd tragen? Und in den Achtzigerjahren waren die Shorts nun einmal verdammt kurz. Aus heutiger Sicht ist es vielleicht nicht mehr nachvollziehbar, warum sie so kurz sein mussten. Aber damals schien sich niemand solche Fragen zu stellen. Also habe ich das auch nicht getan.

Der Film «Final Portrait» läuft seit August in den Kinos. Der Kinostart für «Call Me by Your Name» ist voraussichtlich im Frühjahr 2018, wird aber vom 29. September bis 6. Oktober 2017 am «Zurich Film Festival» gezeigt.

Interview von Patrick Heidmann.

Armie Hammer

Armie Hammer wurde 1986 als Sohn eines Geschäftsmannes und einer Bankangestellten in Kalifornien geboren und ist mit der TV-Moderatorin Elizabeth Chambers verheiratet. Bekannt wurde er, als er in «The Social Network» nicht nur einen, sondern gleich zwei Konkurrenten von Mark Zuckerberg spielte, nämlich die Winklevoss-­Zwillinge. Schnell riss sich Hollywood um den 1,96 Meter grossen Blonden. Er spielte Leonardo DiCaprios schwulen Lover in «J. Edgar», den Märchenprinzen in «Spieglein, Spieglein» und Johnny Depps Kumpel in «Lone Ranger». Nachdem er im vergangenen Jahr auch eine kleine Rolle in Tom Fords «Nocturnal Animals» hatte, spezialisiert sich der Vater zweier Kinder nun zusehends auf kleine, aber ganz besonders feine Filme. Aktuell ist Hammer in Stanley Tuccis Künstler-Biografie «Final Portrait» in den Kinos zu sehen, 2018 folgt die fantastische Verfilmung der gefeierten schwulen Liebesgeschichte «Call Me by Your Name».


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