Volker Beck: «Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist»
Deutschland hat gewählt: Dass Volker Beck (Grüne) dem neuen Bundestag nicht mehr angehört, hat parteiinterne Gründe: Ihm wurde ein sicherer Listenplatz verweigert. Aber die Öffnung der Ehe, für die er viele Jahre gekämpft hat, bescherte ihm einen glücklichen Abschied.
Herr Beck, Ihnen wird massgeblich die Öffnung der Ehe als Erfolg zugeschrieben. Dafür wurden Sie viel gefeiert im Sommer. Das ist ein schöner Abschluss einer Karriere als Politiker, oder? Auf jeden Fall ein toller Erfolg eines langen Kampfes. Ich war in Sorge, dass wir das nicht mehr rechtzeitig in dieser Legislaturperiode hinkriegen und dass es in der nächsten Wahlperiode wirklich nicht einfacher wird, wenn die AfD im Bundestag sitzt und die Union dann womöglich noch ängstlicher wird. Deshalb war ich überglücklich, dass wir das jetzt noch durchgeboxt haben. Es waren 28 Jahre Kampf allein um diese Frage. Das ist eine verdammt lange Zeit. Und wenn es dann endlich durch ist, ist es einfach ein großartiges Gefühl. Auf diesem Weg gab es ja auch viele Niederlagen und viele Durststrecken. Das ist mit dem Durchbruch jetzt zwar alles vergessen, Geschichte, aber man weiss eben noch darum. Carolin Emcke hat auf dem Regenbogenempfang der Grünen am 30. Juni abends das Bild geprägt: «Das ist, wie wenn man einem erfrorenen Fuss wieder in warmes Wasser taucht.» Einerseits tut es ganz gut, es tut aber auch weh und man merkt auf einmal, wie sehr man vorher gefroren hat.
Deshalb ist es für mich ein ganz einschneidendes Ereignis und ich bin auch sehr froh darum. Ich hatte mich über die ganze Wahlperiode schon auf den letzten ordentlichen Sitzungstag des Bundestages, den 30. Juni, orientiert. Wir haben es ja auch mit verschiedenen Instrumenten probiert, unter anderem mit der gescheiterten Organklage. Und dass es dann doch noch nach Plan gelaufen ist, da kann man einfach nur dankbar sein.
Und stolz. Sie haben ja lange dafür gekämpft. Ja. Aber wichtiger ist einfach, dass diese Frage geklärt ist. Es geht da ja gar nicht um mich, obwohl das jetzt mit mir verbunden ist. Aber was auch vielen Heteros, glaube ich, nicht klar ist: Für Schwule und Lesben geht es darum, ob sie Menschen mit gleicher Würde und gleichen Rechten sind oder ob sie und ihre Partnerschaften «Aliuds» sind, worauf früher manche in der Diskussion um die Lebenspartnerschaft beharrten. [Aliud ist der lat. Ausdruck für etwas anderes, Anm. der Red]. Das habe ich auch nach dem 30. Juni erlebt. Beim Kölner CSD bin ich vorneweg in einer Bewegungsgruppe mitgelaufen, und da sind Leute heulend auf mich zugekommen. Da merkte ich: Es ist wirklich mehr als nur die Frage, ob es im Standesamt die gleiche Zeremonie ist, sondern es geht um die ganz prinzipielle Frage: Sind wir Menschen wie alle anderen auch?
An diesem Punkt ist auch die Politik für Lesben und Schwule noch nicht am Ziel: Die Epoche der Akzeptanz hat ja erst begonnen. Alle anderen gesellschaftlichen Gruppen, die Politik machen, gehen von diesem Punkt aus, den wir jetzt erst erreicht haben: gleiche Rechte.
Wer waren die Menschen, die auf dem CSD zu Ihnen kamen? Das war ganz unterschiedlich. Drei Situationen blieben mir besonders im Gedächtnis: Zwei junge Mädchen, die hatten ein Schild vorbereitet, auf dem stand «Danke». Dann kamen ältere Leute, die wirkten nicht schwul oder lesbisch, vielleicht hatten sie schwule Neffen oder lesbische Nichten oder Enkel. Und es kam eine behinderte Frau zu mir, die mich ganz lange in den Arm nahm.
Die Grünen sind seit zwölf Jahren in der Opposition. Es ist Ihnen und Ihrer Partei trotzdem gelungen, neben der Eheöffnung auch die Rehabilitation für die §175-Opfer entscheidend voranzubringen, dass sie Gesetz wurden. Es scheint nicht ganz zu stimmen, was Franz Müntefering mal gesagt hat: «Opposition ist Mist». Man kann auch etwas verändern, wenn man nicht regiert. Wobei es auch Leute gibt – wenn ich mir angucke, wie die arbeiten –, die ändern auch nichts, wenn sie regieren. Man muss, wenn man Politik macht, das Ziel haben, die Macht zur Gestaltung zu erlangen. Aber diese Kämpfe um die Macht finden nicht nur am Koalitionstisch statt. Man muss gesellschaftliche Hegemonie erzeugen, damit man die Anliegen durchkriegt, und manchmal muss man sich genau anschauen: Wo sind die Stärken und wo die Schwächen einer Position und wo kann man auch was aufs Gleis setzen, auch auf unübliche Art und Weise. Der erste parlamentarische Erfolg, den ich hatte, war 1996 in der Opposition. 300 Millionen Mark gingen damals an die Jewish Claims Conference für Renten von osteuropäischen Holocaustüberlebenden. Das wollte die Bundesregierung damals nicht. Ich war zusammen mit Kollegen aus dem Kongress auf einer Pressekonferenz in Washington – mich kannte damals wirklich niemand –, und dann kam die Deutsche Botschaft herein und verteilte eine Pressemitteilung des damaligen Kanzleramtsministers Bohl. Und dann dachte ich, okay, jetzt hast du gewonnen. Wenn die einen Niemand wie Volker Beck bei einer Pressekonferenz mit einer solchen Intervention adeln … Das waren auch Kämpfe im Parlament mit Reden, mit Anfragen, Anträgen, Pressearbeit, Über-Bande-Spielen mit NGOs. Damals war ich auch in der Opposition. Das war mein erster Erfolg.
Es kommt also darauf an, was man aus der Oppositionsrolle macht. Die Taktzahl, wenn man regiert und sich kümmert, ist natürlich eine ganz andere. Wenn ich an Rot-Grün im Bund denke, mal nur beim Thema LGBT: Rehabilitierung homosexueller NS-Opfer, Ende der Diskriminierung bei der Bundeswehr, Antidiskriminierung, Lebenspartnerschaftsgesetz, Homosexuellendenkmal und, und, und … Aber es ist falsch, zu sagen, in der Opposition könne man nichts erreichen. Wichtig: Man darf nie zu früh aufgeben. Ich weiss noch, als ich am Freitag vor dem 30. Juni aus dem Büro ging, sagte ich zu meinen Mitarbeitern: Jetzt schiessen wir bis Mittwoch nochmal aus allen Rohren. Da sah es nämlich noch nicht so aus, als würde die SPD im Rechtsausschuss die Abstimmung mit uns durchsetzen. Aber: Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist. Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man. Aber man muss immer auf Sieg setzen, sonst hat der Erfolg auch keine Chance.
Ehrung für Volker Beck (li): Mit Alexander Straßmeier am Vorabend des Berliner CSD beim multireligiösen Gottesdienst in der St. Marienkirche (KKBS/Philipp Kost)
Wenn Sie künftig nicht mehr im Bundestag sitzen, wen werden Sie am meisten vermissen: Erika Steinbach, Norbert Lammert oder Volker Kauder? Herrn Lammert und Herrn Kauder, jeden auf eine andere Weise. Mit beiden habe ich verschiedene Dinge durchgebracht, teils streitig, teils an einem Strang ziehend: Parlamentsrecht, Sterbehilfe, Initiativen zur Religionsfreiheit. Das würde man vielleicht gar nicht denken, weil man in vielen Gebieten sehr weit auseinanderliegt, aber es gibt eben auch Bereiche, in denen man sich durchaus sinnvoll austauscht und zusammenarbeitet. Das ist gut für die Demokratie. Das ist die Stärke des Parlaments.
Erika Steinbach – die wird mir nicht fehlen. Jenseits dessen, dass es immer wichtig ist, gute Gegner zu haben. Aber Frau Steinbach und Norbert Geis von der CSU haben sich sehr um die Sache der Lesben und Schwulen verdient gemacht, weil sie sich oft so deplatziert geäussert haben, dass sie uns die Mitte der Gesellschaft zugetrieben haben. Frau Steinbach hat einen so unguten Lauf, das ist schon fast tragisch: Sie steckt in einer Spirale des Hasses hin, der sich zu einer teils aggressiven menschenverachtenden Haltung steigert. Das wirkt insgesamt bedrohlich. Ich habe es im Internet bei ein paar Leuten gesehen, die sich so radikalisierten. Die Netzwerke belohnen Schrillheit mit Aufmerksamkeit und noch mehr Zustimmung. Das verführt manche dazu, immer lauter und schriller zu werden. Vielleicht wird es in einem stillen Moment so sein, dass Frau Steinbach zu dem Punkt kommt und sich selbst nicht mehr wiedererkennt.
Diese Stille hat sie ja vielleicht jetzt, da sie ebenfalls nicht mehr im Bundestag sitzt. Ich weiss es nicht.
Wünschen wir es ihr. Ich wünsche ihr, dass sie zur Besinnung kommt. Man muss ja auch jedem, der sich verirrt, die Chance zur Rückkehr geben.
Was werden Sie am meisten an der Arbeit als Abgeordneter vermissen? Die Möglichkeit, relativ unabhängig und relativ schnell auf politische Entwicklungen zu reagieren und dort zu intervenieren, wo es vielleicht notwendig ist. Und das mit einer gewissen Relevanz tun zu können, die einem so als Bürgerin oder Bürger nicht immer unmittelbar zugestanden wird. Da muss man viel mehr tun, um in gleicher Weise wahrgenommen zu werden. Das war mir immer wichtig: Wir haben viele Privilegien, eine Infrastruktur, das Büro, die Mitarbeiter, die Möglichkeit zur Recherche, unser parlamentarisches Frage- und Initiativrecht. Dazu den Diplomatenausweis – auch wenn wir keine Diplomaten sind –, der uns im Ausland ein wenig schützt. Das sind Privilegien, aber für mich war es auch immer eine Verpflichtung, sie politisch einzusetzen – dafür haben wir sie ja auch. Einsetzen kann man sich als Bürger natürlich auch, aber man muss mehr Aufwand betreiben und man hat diese Infrastruktur nicht im Rücken, die man nutzen kann.
Was wären denn Ihrer Ansicht nach künftige Aufgaben im LGBTI-Bereich? Die Sachen, die mir auf der Seele liegen, sind überwiegend gar nicht im Bereich Lesben und Schwule. Äquivalent zur Ehe für alle ist da im Hinblick auf die Rechte und den Respekt für Trans* noch das Transsexuellengesetz. Dieses muss endlich durch ein Selbstbestimmungsgesetz abgelöst werden. Es gibt ja auch einen Vorschlag, den ich hinterlasse, von dem ich hoffe, dass er in wesentlichen Zügen zum Gesetz wird. Über die geschlechtliche Identität kann nur der Mensch selber kompetent Auskunft geben und nicht irgendein Gutachter, Richter oder Beamter. Und natürlich brauchen wir einen nationalen Aktionsplan gegen Homo-, Bi- und Transphobie. Die Fälle von Gewalt gegen LGBT steigen ja in den letzten Jahren an. Ansonsten brennen mir ein paar andere Sachen unter den Nägeln. Zum Beispiel, dass die jüdischen Kontingentflüchtlinge, die nach 1990 nach Deutschland kamen, in der Rente so behandelt werden wie christliche Spätaussiedler – da gibts nämlich eine schwere Diskriminierung. Das unterschiedliche Ergebnis ist eigentlich ein Ergebnis jahrhundertelanger Geschichte des europäischen Antisemitismus. Das ist genauso ein Gleichstellungsproblem, und das geht mir auch genauso an die Nieren. Oder das Schicksal des europäischen Volkes der Roma und die Verteidigung eines menschenwürdigen Flüchtlingsrechtes.
Wie geht es mit der deutschen LGBT-Bewegung weiter? In den USA haben die grossen NGOs nach der Supreme-Court-Entscheidung zur Eheöffnung grosse Spendeneinbussen hinnehmen müssen. Bei so einer grossen Frage, die man mit Ja oder Nein beantworten kann, ist man natürlich in der Debatte anders präsent. Wir haben eine grosse Aufgabe und eine grosse Verpflichtung: Wir müssen am Thema internationaler Solidarität arbeiten. Und uns daran erinnern, dass wir eine Geschichte von jahrhundertelanger Verfolgung und jahrzehntelanger Diskriminierung hinter uns haben. Die haben wir auf der rechtlichen Ebene überwunden, aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, was das mit uns gemacht hat. Am Ende wird ja immer die Frage diskutiert: Sind die Menschen verschieden und deshalb unterschiedlich viel wert – oder sind sie verschieden und gleich an Würde und Rechten? Das muss von Generation zu Generation immer wieder neu diskutiert werden: Was bedeutet die Verschiedenheit der Menschen? Hier können wir aus unserer Geschichte und Erfahrung schöpfend auch solidarisch mit anderen benachteiligten Gruppen sein.
Ich wünsche mir von der LGBT-Bewegung in Deutschland, aber auch von denen, die nicht so sehr bewegt sind, Solidarität mit Schwulen, Lesben, Trans* und Intersexuellen in anderen Ländern, wo Homosexualität noch verfolgt wird und Gewalt gegen Trans* alltäglich ist. Dass man vielleicht sagt: Uns geht es gut. Deshalb bitte ich bei der nächsten Geburtstagsfeier, anstelle von Geschenken, um Spenden für die Hirschfeld-Eddy-Stiftung, zum Beispiel. Damit anderen, die sich unter dem Einsatz ihres Lebens und ihrer Freiheit für LGBTI-Rechte einsetzen, geholfen werden kann.
Internationale Solidarität ist wichtig. Aber gibt es sie überhaupt innerhalb der deutschen LGBTI-Gemeinde? Ich habe da manchmal Zweifel. Erstmal sind die Menschen immer unterschiedlich. Und es gibt in jeder Gruppe Menschen, die nur ihr höchsteigenes Interesse im Blick haben. Das gibt es natürlich in der schwulen Community auch und das hat es auch immer gegeben. Ich warne da vor jeder Art Romantik, dass früher alles besser war. Das Einzige, das besser war, ist, dass wir jünger waren …
… was auch nicht immer ein Vorteil ist. Ja, aber ansonsten war es früher eben auch nicht besser. Das verwechseln die Menschen manchmal. Es gehört dazu, dass es in jeder Gruppe Arschlöcher und Egoisten gibt. Da sind wir als soziale Gruppe nicht anders als andere. Aber es geht immer darum, wer die Hegemonie in einer Gruppe hat. Dass alle gleich solidarisch sind, ist in einer Demokratie nicht erreichbar.
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