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Verhandelbar, verklagt, verboten

«Was darf die Satire? Alles.» Dieses Zitat von Tucholsky wird oft bemüht, wenn mal wieder ein Witz die Gemüter der Nation erhitzt. Auch dem Exchefredakteur der Titanic, Oliver Maria Schmitt, wurde die Frage über die Grenzen der Satire in einem TV-Interview gestellt. Seine Antwort: «Satire darf nicht alles. Vor allem darf sie nicht langweilen. Die Grenzen des guten Geschmacks haben uns noch nie interessiert. Denn was ist schon guter Geschmack? Guter Geschmack ist verhandelbar.»

Dass die Titanic gerne beleidigt, ist nichts Neues. Seit 1979 erscheint das Heft im Monats­rhythmus und lotet seither kontinuierlich die Grenzen des guten Geschmacks aus. Ob die Kirche, Unfallopfer Schumacher oder gestrandete Flüchtlinge: nichts und niemand ist vor der Titanic sicher. Jede Ausgabe muss vor der Veröffentlichung von einer Rechtsanwältin überprüft werden, und das aus gutem Grund. Bis 2007 wurde das Heft 55 Mal verklagt. 35 Ausgaben sind noch immer verboten.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]«Satire darf nicht alles. Vor allem darf sie nicht langweilen.»[/perfectpullquote]


Relativ zahm gibt sich da die Märzausgabe. Auf dem Cover lächelt SPD-Überflieger Martin Schulz mit Bierhelm. So richtig ab geht es auf Seite 13, mit dem Heft im Heft: «Mein Trump». Aufgemacht wie ein Magazin für Schlagerfans und Freunde der seichten Unterhaltung, wird hier zum ersten Mal ausgeteilt. Das Editorial stammt von keiner Geringeren als «Melania Trump», die über ihren Gatten spricht.

«Liebe Leserinnen, er ist ein alter Sack, bei dem ohne jede Menge Pillen schon seit Jahren überhaupt nichts mehr geht. Mein Mann, der Präsident, steht hinter mir als Frau. Und das meine ich wortwörtlich. Er steht in diesem Moment hinter mir und blickt mir über die Schulter … Warum knallt ihn keiner ab? Doch eines möchte ich noch klarstellen: Ich hasse Mexikaner, Islamerer, Neger, Juden und Abtreibungen … America first, white power und tüdelü! Ihre Melania Trump.»

Pussys, KKK und Fake-News: Hier wird jedes Trump-Fettnäpfchen bedient.

In einer Box neben Melanias Editorial folgen dann auch gleich die besten Witze für Kinder, präsentiert von Trumps Sohn Barron. «Woran merkt man, dass ein Vater seine Tochter mehr liebt als seinen Sohn? Daran, dass er nur zu ihr ins Bett geht.»


Es folgen viele Cartoons, lustige Telefoninterviews, die so nie stattfanden, und eine Doppelseite zu gefakten Amazon-Rezensionen. Auf dieser wird Fake-Schreibern beigebracht, wie sie ihre Rezensionen zu verfassen haben, damit dem Kunden der Schwindel nicht auffällt. «Vermeiden Sie Phrasen wie ‹Top!›, ‹Gerne wieder!› oder ‹ … schreibe dies im Vollbesitz meiner geistigen Fähigkeiten›.»

Nach zwei Stunden Titanic-Lektüre ziehe ich folgendes Fazit: Die Titanic ist böse, lustig, stellenweise langweilig und schiesst noch immer gerne übers Ziel hinaus. Mit Satire kenne ich mich einigermassen aus. Ich habe vier Jahre lang die Satireseite der-enthueller.ch betrieben und komme mir gerade ziemlich geil vor, weil ich das endlich mal irgendwo niederschreiben darf. Jedenfalls ist die Titanic meiner Meinung nach nicht dafür gemacht, in einem Zug gelesen zu werden. Satire funktioniert bei mir nur häppchenweise. Möglicherweise hat mich das Internet auch etwas geschädigt, aber wenn ich vierspaltige Textseiten ohne Bilder und Zwischentitel sehe, vergeht mir die Lust aufs Lesen. Generell kommt mir das Heft vom Grafischen her sehr altbacken vor. Zwischen viel Durchschnittlichem und Klischeebeladenem verstecken sich dann aber doch noch einige Perlen der Print-Humorlandschaft.

Was soll ich als Nächstes lesen? Wie kann man diese Kolumne verbessern? Sags mir auf: frank@mannschaft.com 

Kaufempfehlung für …
… Postillon-Leser, Menschen mit schwarzem Humor und Trump-Hasser.
Text & Fotos — Frank Richter


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