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Ungarn hat die erste «LGBT-freie Zone»

In einer Kleinstadt ist das Verbreiten von «LGBTIQ-Propaganda» künftig verboten

Ungarn
Foto: Facebook

Die ungarische Stadt Nagykáta hat eine Resolution verabschiedet, die das «Verbreiten und Fördern von LGBTQ-Propaganda» verbietet. Das Land blockiert derweil gemeinsam mit Polen wichtige EU-Budgetbeschlüsse im Umfang von 1,8 Billionen Euro mit ihrem Veto.

Die ungarische Kleinstadt Nagykáta gut 50 Kilometer östlich der Hauptstadt Budapest hat sich Anfang des Monats für «LGBT-frei» erklärt. Solche Massnahmen kennt man vor allem aus Polen (MANNSCHAFT berichtete), aber in Ungarn geht es jetzt offenbar auch los. «Es hat länger gedauert als erwartet», erklärte der Osteuropa-LGBTIQ-Experte Rémy Bonny via Twitter: Hier gebe es nun die erste «LGBT-freie Zone». Es sei «Zeit für die Europäische Union aufzuwachen.»

Ákos Szabó von der Unabhängigen Partei der Kleinlandwirte, der Landarbeiter und des Bürgertums hatte erklärt, bei LGBTIQ handle es sich um eine «liberale Ideologie» und eine «gewählte Orientierung».

Anlass für die Resolution ist offenbar die Veröffentlichung des Märchenbuchs «Meseorszag mindenkie» (MANNSCHAFT berichtete) – eine Sammlung neu erzählter traditioneller Märchen, die u. a. mit LGBTIQ-Charakteren in zeitgenössischem Umfeld aktualisiert wurden. Eine rechtskonservative Politikerin witterte «Homo-Propaganda» und steckte es medienwirksam in den Reisswolf. In einigen Kindergärten ist es verboten.


Erst vergangene Woche hatte sich die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, besorgt über die Lage von LGBTIQ in Ungarn gezeigt, weil deren Rechte beschnitten werden sollen (MANNSCHAFT berichtete): «Ich bin alarmiert ob der offensichtlichen Eskalation der Stigmatisierung von LGBTI-Menschen und der Beeinflussung ihrer Würde und Rechte zum politischen Vorteil», erklärte Mijatović offiziell. Als Beispiel nannte sie ein Gesetzesvorhaben, mit dem die Adoption von Kindern von Singles und gleichgeschlechtlichen Paaren nur noch mit Ausnahmegenehmigung möglich wäre.

Gegen Kritik aus dem Ausland verwahrt sich das Land. So hatte sich US-Schauspieler George Clooney mit einer kritischen Bemerkung über den stramm rechten Ministerpräsidenten Viktor Orbán in Ungarn Kritik zugezogen. Aussenminister Peter Szijjarto erklärte: «Offensichtlich mögen wir George Clooney als Schauspieler sehr, (…) doch es zeigt sich, dass seine historischen und politischen Kenntnisse begrenzt sind.»

Die ministerielle Schelte ausgelöst hatte ein Interview Clooneys mit dem Magazin GQ, in dem er über seinen neuen Film «The Midnight Sky» sprach. Darin bemühte sich der Schauspieler, die Atmosphäre des im Jahr 2049 spielenden Science-Fiction-Films zu beschreiben. «Wir waren noch nicht mitten in der (Corona-)Pandemie», sagte er, «aber da waren schon all die anderen Elemente des Hasses und der Wut da, wie wir sie alle irgendwie in diesem Augenblick der Geschichte erleben. Man braucht nur zu (Jair) Bolsonaro in Brasilien gehen oder zu Orbán in Ungarn.»


Kritiker werfen dem ungarischen Regierungschef immer wieder vor, die Demokratie in seinem Land abzubauen und Grundrechte wie Medien- und Wissenschaftsfreiheit einzuschränken. Menschenrechtler beklagen ausserdem, dass Orban häufig aus Hasskampagnen gegen Flüchtlinge oder zuletzt gegen Schwule, Lesben und trans Menschen politisches Kapital zu schlagen trachtet.

Zuletzt hatte der Leiter des Budapester Petöfi-Literaturmuseums, Szilard Demeter, mit einer geschichtsvergessenen Äusserungen Schlagzeilen gemacht. Er hatte am Samstag dem US-Investor und Philanthropen George Soros vorgeworfen, Europa zu seiner «Gaskammer» gemacht zu haben. Nach heftigen Protesten von in- und ausländischen Politikern, Diplomaten, jüdischen und nicht-jüdischen Organisationen zog Demeter am Sonntag den Kommentar zurück.

In dem für das regierungsnahe Internet-Portal origo.hu verfassten Beitrag hatte er unter anderen geschrieben: «Aus den Fässern der multi-kulturellen offenen Gesellschaft entströmt das Giftgas, das für die europäische Lebensform tödlich ist.» Soros setzt sich für eine offene, liberale Gesellschaft ein und fördert weltweit Organisationen, die für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit eintreten.

Demeter hatte sich zum EU-Haushaltsstreit geäussert, bei dem Ungarn und Polen wichtige Budgetbeschlüsse im Umfang von 1,8 Billionen Euro mit ihrem Veto blockieren. Die beiden mitteleuropäischen Länder wollen auf diese Weise verhindern, dass ein neuer Rechtsstaatsmechanismus wirksam wird. Dieser droht Ländern, deren Regierungen in die Unabhängigkeit der Justiz eingreifen, mit dem Entzug von EU-Hilfen.

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Demeter schrieb: «Die ‚Liberal-Arier‘ (Liberalen) wollen jetzt die Ungarn und die Polen aus jener politischen Gemeinschaft hinauswerfen, als deren Angehörige sie Rechte haben. Wir sind die neuen Juden.» Der in Ungarn geborene Holocaust-Überlebende Soros sei der «liberale «Führer»», schrieb er unter Nutzung der deutschen Bezeichnung für den NS-Diktator Adolf Hitler.

Der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, verurteilte die Einlassungen. «Nicht nur in Ungarn sind Holocaust-Überlebende angesichts dieser bizarren und hasserfüllten Hetze angewidert und entsetzt.» In Ungarn protestierten unter anderen die israelische Botschaft und der jüdische Dachverband Mazsihisz. (dpa/kr)


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