Ulrich Matthes: «Wir haben mit #Actout ein Zeichen gesetzt»

Der Akademiechef im Interview

Ulrich Matthes, Schauspieler und ehemaliger Präsident der Deutschen Filmakademie (Foto: Christoph Soeder/dpa)
Ulrich Matthes, Schauspieler und ehemaliger Präsident der Deutschen Filmakademie (Foto: Christoph Soeder/dpa)

Am Freitag wird der Deutsche Filmpreis verliehen. Ein Gespräch mit Akademiechef Ulrich Matthes – über #Actout, sein eigenes Coming-out und die simple Frage: Wie wird man eigentlich zum besseren Menschen?  Interview: Julia Kilian, dpa

Monatelang waren die Kinos geschlossen – nun wird am Freitag der Deutsche Filmpreis verliehen. Schauspieler Ulrich Matthes ist Präsident der Deutschen Filmakademie und erklärt im Interview, warum er Fragen zur Aktion #allesdichtmachen nicht mehr hören kann und warum ihn Olympia zu Tränen rührt.

Herr Matthes, die Kinos haben wieder offen. Waren Sie schon?Was für eine Frage, natürlich war ich schon!

Und, wie war’s? Ich habe das herbeigesehnt und wieder den Unterschied zwischen den Streamingangeboten und dem Kino gespürt. Ich bin kein Verächter von Netflix und Co – im Gegenteil, ich habe so manche Stunde gebingewatched während der Corona-Zeit. Aber es ist dann doch ein riesiger Unterschied.

Aber zuhause hat man einen Kühlschrank. Und ein Sofa. Jaja, na klar. Aber so gemütlich es ist, mal einen verkuschelten Abend vor der Glotze zu haben mit der Käsestulle – es ist dann doch ein völlig anderes Erlebnis, im Kino zu sitzen. Und ein Gesicht, eine Landschaft, eine Emotion um ein Vielfaches vergrössert zu erleben. Aber beides hat seine Berechtigung.

Während Olympia habe ich bei jeder zweiten Siegerehrung eine Träne verdrückt.

Weinen Sie eigentlich auch mal beim Filmgucken? Ich bin echt nah am Wasser gebaut. Während Olympia habe ich bei jeder zweiten Siegerehrung eine Träne verdrückt. Ich glaube, während des Films «Herr Bachmann und seine Klasse» hatte ich durchgehend feuchte Augen. Ich könnte auch andere Filme nennen. Ich bin sehr schnell zu rühren und schäme mich dessen auch nicht.

Der Dokumentarfilm, den Sie eben erwähnten, ist auch rührend. Wie viel Redebedarf besteht eigentlich, wenn die Filmbranche nun zum Deutschen Filmpreis zusammentrifft? Ich glaube, es besteht weniger Rede- als Umarmungsbedarf. Neulich war ich auf einem Geburtstag, und es war sofort spürbar, wie schön es ist, mal wieder unbefangen in der Gruppe beieinander zu hocken, sich zu umarmen, sich auf die Wange zu knutschen. Wir haben alle Nachholbedarf. Aber ich ahne, worauf Sie hinauswollen. Natürlich gab es in diesen anderthalb Corona-Jahren auch die eine oder andere Verwerfung bei uns in der Branche.

Mehrere Menschen aus der Filmszene haben im Frühjahr mit der Aktion #allesdichtmachen für Diskussionen gesorgt. Einige Videos waren satirische Kommentare zum Umgang mit der Pandemie. Wie ist in den vergangenen Wochen noch darüber diskutiert worden? Ach Mensch, es ist vor allem eine Frage, die sich Journalistinnen und Journalisten stellen. In der Branche selber ist das kein Thema mehr. In meinen Augen war das eine verkorkste Aktion, ich habe damals meinen Senf dazu gesagt und mich gleichzeitig vor meine Kollegen gestellt, wenn es plötzlich hiess, die sollten irgendwelche Rollen nicht mehr spielen. Ich reagiere auch deswegen etwas gereizt darauf, weil es der Tiefpunkt meiner dreijährigen Amtszeit war, weil es hart war, sich gegen rund 50 Kolleginnen und Kollegen zu stellen.

Es gab noch eine zweite Kampagne, die viel Aufmerksamkeit bekommen hat – die Aktion #actout (MANNSCHAFT berichtete). Mehrere Kolleginnen und Kollegen haben öffentlich gemacht, dass sie zum Beispiel schwul, lesbisch oder bisexuell sind. Sie waren auch dabei. Haben Sie lange überlegt? Spontan habe ich erst abgesagt: «Sexualität ist privat, das geht keinen was an.» Aber es gibt ja selbst in unserer vermeintlich supertoleranten Branche noch Ressentiments, Getuschel, Vorurteile. Wie überall. Und dann dachte ich: «Wenn ich gefragt werde bei einer so grossen Aktion, dann kann ich denen weder als privater Uli noch als Präsident der Filmakademie meine Solidarität versagen.»

Und wie waren die Reaktionen? Es gab sehr viele positive Reaktionen und ein paar negative.

Die Kampagne wurde im Magazin der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht – was hat sich seitdem getan? Naja, das ist ein Gesprächsangebot in die Gesellschaft hinein, da kann sich nicht von heute auf morgen etwas tun. Aber wir haben ein Zeichen gesetzt, das ist wahrgenommen worden. Viele haben vielleicht ein paar Gespräche geführt, Gedanken ausgetauscht. Manche haben gesagt: «Och, haben die’s nötig?» Und andere haben gesagt: «Mensch, selbst in der Filmbranche gibt es offenbar immer noch Vorurteile.» Und wieder andere haben sich vielleicht gefragt: «Habe ich selber noch Ressentiments?» Mehr ist es nicht, als sich ein paar Gedanken zu machen. Das gilt auch für andere Themen.

Zum Beispiel? Zum Beispiel für das grosse Thema Rassismus. Da kann man sich auch fragen: «Wann bin auch ich rassistisch?» Mehr will doch so eine Aktion im Grunde nicht. Es wäre schön, wenn wir unser Bewusstsein immer wieder ein bisschen frisch machen und uns fragen: «Wann benehme ich mich im Alltag eigentlich daneben?»

Weil wir uns alle mal ein bisschen daneben benehmen? Na klar! Weil wir Menschen sind, Fehler machen und wir alle Vorurteile haben. Die einen mehr, die anderen etwas weniger. Und wenn man nicht ganz verblödet ist, dann ist es doch schön, sich ein bisschen im Alltag darum zu bemühen, im Schneckengang ein besserer Mensch zu werden. Das macht ja auch Spass. Man bekommt bessere Laune – und die Menschen um einen herum auch.

Das klingt 1a wie aus einem Lebensratgeber. Au weia, finden Sie das zu «Lehrer Lämpel»-haft?

Nein, in der Regel haben diese Bücher ja recht, so abgedroschen sie manchmal auch klingen. Wenn wir schon beim Freundlichsein sind: Haben Sie – wie versprochen – Ihre Supermarktbelegschaft schon ins Theater eingeladen? Antwort: Neulich hat eine der Ladys schon gefragt: «Was ist denn eigentlich aus Ihrer Einladung geworden? Haben Sie schon vergessen, was?» Und da habe ich gelacht und gesagt: «Nee, keineswegs. Aber ein voll besetztes Haus ist doch schöner als so eine Schachbrettmusterbude.»

Im vergangenen Jahr wurde der Deutschen Filmpreis im Fernsehen vergeben – ohne viel «Tschingderassabum», wie Sie damals sagten. Was passiert diesmal – lassen Sie es wieder knallen? Ich freue mich riesig, dass wir wieder ein grosses Fest haben. Wir waren ja – wahrlich nicht nur die Filmbranche – zum Teil existenziell von diesen anderthalb Jahren bedroht. Und etliche sind es noch. Ich nehme uns wirklich nicht wichtiger als wir sind – aber für einen Mikrokosmos wie unsere Filmbranche ist es schön, mal einen Abend Party zu machen. Und zu sagen: «Uns gibt es noch, wir leben, wir haben tolle Leistungen in diesem wirklich schwierigen Jahr erbracht.»

Ulrich Matthes (62) ist Präsident der Deutschen Filmakademie. Er hat in Filmen wie dem Weltkriegsdrama «Der Untergang» mitgespielt und arbeitet am Deutschen Theater in Berlin. In seinem neuen Film «Freunde» ist er an der Seite von Justus von Dohnányi zu sehen – die beiden spielen zwei alte Bekannte, die sich nach langer Zeit in einer schwierigen Zeit wiedersehen. Der Film läuft am 20. Oktober (20.15 Uhr) im Ersten.

Vorgängerin von Matthes war Iris Berben als Präsidentin der Deutschen Filmakademie, bis 2019 übte sie das Amt aus. Jetzt äusserte sie sich über einen missglückten Aprilscherz: ihr Coming-out (MANNSCHAFT berichtete).

Das könnte dich auch interessieren