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«Rassisten, Frauenfeinde und Homophobe in der Organisation»

Londons Polizei am Tiefpunkt

Polizei
Symbolfoto: King's Church International / Unsplash

Obwohl gegen sie wegen sexuellen Fehlverhaltens oder häuslicher Gewalt ermittelt wird, sind mehr als 100 Beamte der Londoner Polizei weiter regulär im Dienst.

Von Benedikt von Imhoff, dpa

Sie zeigte einen Kollegen als Vergewaltiger an – dennoch musste eine Londoner Polizistin mit diesem Mann zusammenarbeiten. Einem muslimischen Beamten wurde Schinken in die Stiefel gesteckt, einem Sikh schnitt sein Vorgesetzter den Bart ab, schwule Polizisten gehen ihren Kollegen lieber aus dem Weg, junge Polizistinnen mussten als Einführungsritus ganze Kuchen essen, bis sie sich übergeben. Was nach Einzelfällen klingt, hat System: Ein neuer Untersuchungsbericht hat schonungslos eine verrohte Kultur in der Londoner Polizei aufgedeckt.

Die Metropolitan Police (Met) sei «institutionell rassistisch, sexistisch und homophob», urteilte Ex-Regierungsmitarbeiterin Louise Casey, die mit dem Report beauftragt worden war. Die Behörde habe dabei versagt, Frauen vor Sexualstraftätern in Uniform zu beschützen – sowohl innerhalb der Met als auch ausserhalb. «Es ist nicht unsere Aufgabe als Öffentlichkeit, uns vor der Polizei zu schützen. Es ist die Aufgabe der Polizei, uns Bürger zu schützen», sagte Casey, die als unabhängiges Mitglied im Oberhaus sitzt.


Premierminister Rishi Sunak zeigte sich bestürzt. Das Vertrauen in die Polizei sei enorm beschädigt worden, sagte der konservative Regierungschef in einem am Dienstag veröffentlichten BBC-Interview. Ob das auch für ihn gelte? «Das Vertrauen aller», betonte Sunak.

Seit Jahren kommt die Met nicht aus der Krise. Sinnbildlich steht der Fall Sarah Everard. Dass ein Polizist die 33-Jährige im März 2021 unter Einsatz seines Dienstausweises entführte sowie anschliessend vergewaltigte und ermordete, hat das Ansehen der Bobbys – so der freundliche Spitzname der britischen Schutzpolizisten, mit denen Touristen gerne posieren – zutiefst erschüttert. Dieser Fall war es, wegen dem Casey mit dem Bericht beauftragt wurde.

Doch auch danach treten immer neue Skandale zutage. Erst im Februar wurde ein Beamter, der in derselben Einheit diente wie der Everard-Mörder, zu mindestens 30 Jahren Haft verurteilt – er hatte über einen Zeitraum von fast 20 Jahren ein Dutzend Frauen immer wieder vergewaltigt und missbraucht. Auf die Frage, ob es in der Met ähnliche Täter geben könnte, antwortete Casey: «Ich kann Ihnen nicht ausreichend versichern, dass dies nicht der Fall ist.»


Erst am Montag wurde bekannt, dass mehr als 100 Polizisten, gegen die wegen sexuellen Fehlverhaltens ermittelt wird (MANNSCHAFT berichtete), regulär im Dienst sind. Caseys 363 Seiten starker Bericht macht deutlich, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen nicht so ernst genommen wurde wie andere Arten von Gewalt – auch innerhalb der Met sei Mobbing verbreitet.

Doch das ist nur ein Teil der schmerzhaften Wahrheit. Die Behörde ist zudem institutionell rassistisch, wie Casey betonte. Damit hat sich die Lage seit einer Untersuchung von 1999 so gut wie nicht verändert. Schliesslich herrsche in der Met eine «tief sitzende Homophobie», urteilte Casey. Ihr Bericht sei «drastisch, streng und schonungslos».

Hinzu kommen kaum vorstellbare Arbeitsbedingungen. So müssten Beamte ihre Beweismittel in «überfüllten, baufälligen oder kaputten Kühl- und Gefrierschränken» verstauen. Manche Geräte sind so voll, dass sie zugeschnallt werden müssen. In einem Fall wurde eine Lunchbox im selben Kühlschrank gefunden wie eine Probe aus einem Vergewaltigungsfall. In einem anderen ging ein Kühlschrank kaputt – die dort aufbewahrten Beweismittel waren dadurch unbrauchbar. Der grösste Teil der Belegschaft sei überarbeitet und unerfahren.

Die Aufklärungsrate bei Vergewaltigungen und Einbrüchen ist miserabel, wie ein Untersuchungsbericht der Aufsichtsbehörde HMICFRS im Herbst gezeigt hatte. Dafür ist die Zahl der Straftäter in Uniform hoch. Einstellungen würden nicht ausreichend überprüft – wohl auch, weil nach einer radikalen Kürzungswelle seit wenigen Jahren wieder in breitem Massstab eingestellt wird.

Wir haben Rassisten, Frauenfeinde und Homophobe in der Organisation.

In der Pflicht ist mehr denn bisher Londons oberster Polizist Mark Rowley. Seit Amtsantritt hat der Commissioner, seit einem halben Jahr an der Spitze der Met, deutlich gemacht, dass er rigoros gegen korrupte und gewalttätige Polizisten durchgreifen wird. «Wir haben Rassisten, Frauenfeinde und Homophobe in der Organisation», bekannte Rowley nun. «Wir haben schon Leute suspendiert. Wir ermitteln gegen Leute. Wir schmeissen sie raus», sagte er dem Sender Sky News.

Mit dem neuesten Bericht steht die Met endgültig auf dem Prüfstand, von einer «letzten Chance» war schon vorab die Rede. Nun forderte Aufklärerin Casey eine «völlige Überholung» der Behörde. In der Zeitung Times betonte sie: «Mein Bericht hält der Met einen Spiegel vor. Nun ist es Zeit zu handeln.» Caseys Fazit: «Die Zukunft der Polizeiarbeit und die Erlaubnis der Öffentlichkeit, sie zu überwachen, hängt davon ab.»

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