«Shwule Grüsse vom Balkan» (25) – Lebe deine Freiheit
Die Suche nach Erdung und Freiheit – eine Reise nach Nepal
Eine Mutter auf der Suche nach ihrem eigenen Weg und der Erkenntnis, dass ihr Sohn ihr ein Beispiel in Sachen Freiheit gibt.
Im «Vecernji list», dem kroatischen Abendblatt, hat Bogdana gelesen, wie sehr die nepalesische Hauptstadt Kathmandu Menschen aus dem Westen anzieht. Besonders dann, wenn sich diese erden möchten.
Erdung hat Bogdana dringend nötig: Einer ihrer Söhne ist shwul, was für sie einer Apokalypse gleichkommt. Der andere – sie würde ihn als normal geraten, also als hetero bezeichnen – ist HIV-positiv und baldiger Vater eines unehelichen Kindes. Was sie nicht als Apokalypse, aber durchaus als Mini-GAU bezeichnet: «Er hat sich beides bei einer Moskauer Animierdame geholt. Und das als Profisportler, der täglich im Rampenlicht steht. Wie stellt mich das als Mutter dar?»
Folglich gibt es keinen Boden, in den sie vor Scham nicht versinken könnte. «Ein schwarzes Loch wäre die einzige Rettung, da es mich und meine Probleme vor lauter Schwerkraft auflösen würde.» So zumindest ihr Fazit, was ihr Leben angeht. Grund genug, mal in sich und gleich fortzugehen. Darum hat sie bei einem erfahrenen Trekking-Büro eine Expedition nach Nepal gebucht, Meditationsausflüge inklusive.
Wer weiss, vielleicht ist die Welt dort eine bessere für mich: Hier habe ich ständig Kummer
«Bist du sicher, dass du dir das antun willst? Ich meine, du bist weder die geborene Wanderlust noch die ausgeglichene Buddhistin», foppt sie ihr shwuler Sohn Aleksandar am Gate in Zürich. «Wer weiss, vielleicht ist die Welt dort eine bessere für mich: Hier habe ich ständig Kummer», säbelt sie seine Umarmung in einer unterkühlten Weise ab.
Diese putineske Art hat sie sich vermutlich im Laufe des Kommunismus im ehemaligen Jugoslawien antrainiert. Wer weiss, vielleicht war sie für Titos Geheimdienst mal tätig, scherzt Aleks mit sich selbst. Beim genaueren Nachdenken beschleichen ihn jedoch Gefühle, die ihm gar nicht behagen …
Auf jeden Fall bleibt er am Gate einmal mehr verdutzt und schuldhaft stehen: Dieses schlechte Gewissen, diese Schuld hat sie ihm und seinem Bruder Alen schon in der Kindheit immer wieder aufgebürdet. Für Lappalien. An diesem Schuldgefühl beissen sie bis heute – vor allem dann, wenn sie ihrer Mutter einen Wunsch ausschlagen.
«Ok, dann wünsche ich dir eine gute und vor allem glückliche Reise», lächelt sich Aleks aus seiner Schuld heraus. Immer noch hoffend, sowas wie Mutterliebe oder zumindest einen zärtlichen Blick seiner Mutter zu erhaschen. Stattdessen walzt ihn ein versteinertes Nicken platt. Bogdana dreht sich um Richtung Gate. Aleks bleibt zurück und schluckt einen weiteren Kloss in der Grösse einer Ofenkartoffel runter, die sich – eingepackt im rauesten Schleifpapier – durch sein verletzliches Inneres reibt.
Keinen Mann? Keine Kinder? Keine Verpflichtungen? Sei froh und lebe deine Freiheit!
Derweil schreitet Bogdana zielstrebig zum Flieger: Mit jedem Schritt verspürt sie eine stärker werdende Leichtigkeit. «Warum ist das so?», fragt sie sich. Dann ploppt in ihrem inneren Gedankenkarussell eine Art Plakatwerbung auf: «Keinen Mann? Keine Kinder? Keine Verpflichtungen? Sei froh und lebe deine Freiheit!»
In Emoji-Manier würde sie an dieser Stelle grosse, verdutzte Augen von sich geben. Gleich mehrfach. Zum ersten Mal in ihrem Leben fällt ihr ein halber Mount Everest vom Herzen: Sie muss sich nicht für andere verbiegen oder eine gute Miene zum bösen, gesellschaftlich erwarteten Spiel machen. Sie muss sich nicht für ihre Worte oder Taten rechtfertigen. Sie kann einfach sein, wer und wie sie ist.
Ich habe meine Söhne verraten und immer nur nach den Vorstellungen anderer gelebt!
So wie … Da fällt es ihr wie Schuppen von den Augen: «So wie Aleks!» Sie schnappt kurz auf, nachdem sie sich in den Flugzeugsitz gepflanzt hat, und realisiert: Ihr shwuler Sohn sich wünscht nur eins: ein freies Leben. Nachdenklich sackt sie nun ganz im Sitz zusammen, während das Bordpersonal die Sicherheitsinstruktionen emotionslos durchchoreografiert, als würden sich Zwieback und Reiskeks gerade paaren. «Was bin ich für eine Rabenmutter!», schimpft sie mit sich selbst. «Ich habe meine Söhne verraten und immer nur nach den Vorstellungen anderer gelebt!»
Dreizehn Stunden Flug liegen nun vor ihr. Zeit genug, ihr eigenes Leben Revue passieren zu lassen. Und sich zu sammeln, bevor sie in ein ganz neues Leben eintaucht, das ihr so fremd sein dürfte wie Donald Trump eine Niederlage. Eine neue Ära bricht an.
*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic.
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